Freitag, 19. Oktober 2012

SunrisE

Sunrise-Cafe“ - Strandbuden mit solch vielvesprechend nach Groschenromanen klingenden Namen, sind wie Speisekarten mit Bildern oder bellende Hunde, die nicht beißen. Sie müssen den Triumph als Aushängeschild nutzen, weil sie sonst nichts zu bieten haben. Denke ich, als ich endlich total verschwitzt vor diesem einsamen Cafe am kilometerweitem fast menschenleerem Strand gestrandet bin, zu dem mich das Durchfragen jenseits der Ortsgrenze geführt hat.
Wenn ich in der Lage wäre, mein Gefährt auf zwei Metern unbefestigter Straße zu wenden ohne mich möglicherweise zum Gespött der Passanten zu machen und wenn ich nicht durchgeschwitzt gewesen wegen der Stiefelei mit Mopedklamotten durch den Sand und wen ich nicht schnell eine Unterkunft haben wollte, um den Ort an einemNachmittag abzuhaken, …
... dann wäre ich wahrscheinlich nicht hier, sondern irgenwo im Ort zwischen Tempeln, Backpackerabsteigen und Handycraftläden gelandet und hätte den Ort an einem Tag abgehakt.
Aber jetzt bin ich hier.
„One night, maybe two“, sag ich dem Besitzer, als er mir die Hütte zeigt, die noch die Bewohner der Wintersaison und den Geruch von leerstehenden Kellern aufweist. Ist mir egal. Ich schlaf vor der kleinen Terrasse im Sand. Ich ignoriere das Gestrüpp und den Müll zwischen den welken Bättern auf dem Boden und sehe nur das Meer und höre die Brandung durch die Palmen, die vor der Tür stehen.
Ich hole kurz das wichtigste Gepäck für einen Tag, nachdem ich noch kürzer überlegt habe, ob ich das Bike angeberisch von die Bude durch den Sand quäle. Aber es ist nicht möglich hier zu parken, ohne, das es von der Flut unterspült wird oder im steilen Sandhang im Eingang steht.
Naja, ein Tag.

immerhin mal ein bild von mir, wenn auch nicht erkennbar
Und dann vergeht der Nachmittag ohne, dass ich irgendwas bedeutungsschwangeres gemacht habe.
Hier ist es ruhig. Ich geh schwimemen. Die wenigen Menschen hier sind Dauerauswanderer beim Zeittotschlagen oder einfach beim Leben. Das neuseeländische Päärchen kommt seit Jahren für mehrere Wochen hierher, nachdem sie die Welt gesehen haben, die zwei Briten sind seit der Hippieaera in den 70gern hier. Ich trink Tee und unterhalte mich. Der Kölner Rentner haut hier sein Harz4 durch und der junge Israeli hat beschlossen sich hier niederzulassen. Ich geh schwimmen, bin die einzige im Wasser und die Wellen sind phänomenal. Der Deutsche, der in Indien an einer Schule arbeitet kommt auch immer wieder an diesen Platz und der Brite hängt hier seit Monaten ab. Alle genießen die Ruhe und gehen entsprechend mit ihr um. Es wird geredet und nicht gegröhlt. Es wird nicht gesoffen (ok, hier gibt’s auch nix, aber wer will, hat was im Gepäck), höchstens gekifft.
Wie anders ist hier die Atmosphäre, als im Nachbarstaat Goa. Herrlich
Ok, zwei Tage.

Ich beginne den Morgen mit dem Versuch zu schwimmen. Außer hochkonzentriertes Wellenhüpfen mit lebensrettenden Armwirbeln ist allerdings nichts drin. Die Brandung ist zu heftig und die Unterströmung zieht mich immer wieder weg. Dann hau ich mir doch lieber ein fettes Frühstück rein und erkunde die Umgebung.
Zwei weitere Strände hab ich mir vorgenommen zu erobern, den Cuddel-Beach und den Om-Beach, die durch kleine Klippen voneinander getrennt sind. Eine Stunde Fußweg, sagen die Menschen hier. Mit dem Fotoapparat bewaffnet ziehe ich los und brauche bis in die Nacht.

das war dann am nächsten morgen fotoshooting
„Hey, can I rent you?“, brüllt mir ein langhaariger tiefbrauner Surfer entgegen. Hoppla, ein Dejavue aus Marokko holt mich ein. Derselbe Typ Kerl, dem ich in Agadir nur mit Mühe aus den sexungrigen Klauen entkommen bin. „OMG“ (Oh my god), hab ich die Idylle und den Menschenschlag hier doch falsch eingeschätzt??
„I need your Camera, tomorrow, my photograph is ill, and the waves should be very good. Can you do this?“ Ich bin platt und es dauert keine zwei Sekunden bis ich die vermeindliche Anmache als sympathisch witziges Wortspiel verstehe, weitere zwei Sekunden, bis ich meinen Plan am nächsten Tag abzureisen aufgebe und eine Sekunde um „Yea, no promlem“, zu sagen. Etwas zu schnell, denn er bittet mich um 7.30 am Strand zu sein. „Wieder kein joggen“, geht mit durch den Kopf. Hätte ich mir doch noch eine Sekunde Zeit für die Nachfrage gegeben, aber das kenn ich ja langsam von mir.
Noch ein Tag.

Ich beobachte Kinder beim Spielen im Sand, einen Mann, der mit einer einzigen Schnur versucht zu angeln, Frauen, die meterlanges Holz auf dem Kopf transportieren, einen Mann, der sich nach dem Scheißen die Kimme sauberspült und bin begeistert, welch Ruhe die ganze Szenerie ausstrahlt und mit was für einer sanften Hingabe jede dieser Handlungen vollführt wird.
Der Begriff „Achtsamkeit“ geht mir durch den Kopf und ich muss lachen, weil wir in unserem Kulturkreis Hunderte von Euro für Seminare ausgeben, um zu lernen was hier zwischen Spiel, Scheißerei und harter Arbeit zur Lebensphilosophie gehört.
Ich fotografiere Fischerboote und wunder mich über die Farbenvielfalt, die einem mit Photoshop bearbeitetem Hochglanzprospekt geklaut zu sein scheint. Die Menschen lächeln und reden mit mir. Sie starren nicht stupide und sie wollen auch nichts verkaufen. Einfach so.

Ich fang an auf Goa zu scheißen.
Ich schlender durch das Örtchen und werde gegrüßt, ignoriert, angelächelt. Herrlich. Kein Shop an dem ich vorbeigehe und eine trostlos-resignierte Stimme mir ein „Good morning madam, how are you, have a look into my shop, very cheap“ entgegenleiert. Erst jetzt merk ich, wie sehr mich das angekotzt hat. Ich kaufe ein paar neue FlipFlops ohne um den Preis zu feilschen, weil ich nicht schon vor Betreten des Ladens das Gefühl habe übers Ohr gehauen zu werden.
Entspannend.

Ein paar Stufen geht es zu einem der Tausend Tempel dieses Örtchens hoch und schon vorher verkündet mir ein lächelndes freundliches Gesicht, dass die Aussicht dort oben auf den Strand hervorragend sei. Oben begrüßt mich ein farbig bemalter aber einfacher Tempel auf dessen Umrandung dasselbe lächelnde freundliche Gesicht von eben zwischen Büchern sitzt und für die Abschlussprüfung der Uni lernt, wie er erzählt. 
Und er erzählt über seine Heimatatadt Hampi, deren Großteil vor einem halben Jahr von der Regierung dem Erdboden gleich gemacht wurde, um das Weltkulturerbe zu erhalten. (Zur Erklärung, Hampi ist eine heilige Ruinenstadt, an deren Rand sich illegalrweise eine neue Sieldlung mit Häusern, Hotels und Geschäften gebildet hat.) Seit zehn Jahren war dies von der Regierung wohl angekündigt. Aber wie vieles von der Regierung angekündigt und nicht umgesetzt wird, weiß wohl jeder Bürger in jedem Land zu berichten. Und auf einmal und unverhofft machten die Nägel mit Köpfen und jetzt gibt es neben der historischen Ruinenstadt noch einen modernen Trümerberg.
Und er erzählt von den Elefanten, die dort morgens ein Bad im Fluss nehmen und von dem See, in dem man tauchen kann und von dem Nachbarort, der eh viel netter als Hampi sei und und und … und ich schreib Doro abends, dass wir da auf jeden Fall gemeinsam hinfahren.

Beschwingt ziehe ich weiter, genieße dass ich für drei Kilometer zwei Stunden brauchen darf und genieße noch mehr, dass die Menschen hier anscheinend aus den Herzen heraus freundlich sind, vielleicht, weil sie glücklich sind. 
Etwas weiter den Weg die Klippen entlang, passiere ich eine Badeguft in der halbnackte Männer rumspringen, und lande an einem erneuten Tempel, der auf einem Felsvorsprung trohnt und sich etwas mehr aufplustert. Hier springt einem die Spiritualität direkt ins Gesicht: Wasser kommt aus dem Fels, schlafende oder meditierende (sind das?) Bramahnen liegen davor und im Inneren lernt ein Schüler Verse ohne Stottern abzulesen. Ich stell meine schwere Tasche vor der Tür ab, weil man drinnen eh nie fotografieren darf und sie von Heiligkeit umgeben mit Sicherheit nicht geklaut wird.
„Don´t leave your bag outside...“
HÄ? Der Kerl mit der Truckerkappe und Boxershort hat doch vor einer Minute noch neben dem Tempeleingang gepennt.
„...it disturbes my meditation!“
????
Ich bin sprachlos.
Entschuldige mich mehrfach, um meinem Kopf Zeit zum arbeiten zu geben:
Egal ob im Schlaf oder in der Meditation. Man bekommt in solchen Momenten doch nicht mit, ob jemand eine Tasche abstellt. Warum stört ihn das denn dann?
Und warum entspricht der freundliche Kerl mit roter Baseballkappe, zwei-Wochen-Bart und kräftiger Statur so gar nicht meinem Bild von Mönch in Meditation? Aber schnell denke ich an den turbantragenden bärtigen Segelflieger, der vorgestern am Strand von Arambol vor meiner Nase gelandet ist und ich bin befriedigt in der Unstimmigkeit der Dinge. Lass dich überraschen .
Und das tu ich.
Er erzählt vom Eins-Sein mit dem Kosmos, der Befriedigung in der Meditation und dem Glück an diesem stillen Ort. Er spricht Englisch und nutzt viele Fachbegriffe, die mir fremd sind. Aber ich hänge an seinen Lippen und klebe an seinem Gesicht und kann alles nachvollziehen, weil er beim Sprechen den ganzen Körper intensiv mitbewegt, Arme und Hände zur Untermalung seiner Worte benutzt und sein Gesicht dieses Glück von dem er berichtet ausstrahlt. Unter normalen Umständen könnten diese Bewegungen als schwul interpretiert werden. Aber er gestkuliert so wild und empathisch als würde er beim Sprechen tanzen und allein das macht Freude beim Zuhören, denn er spricht mit mir und tanzt für mich und er spricht über sein glücklichs Dasein.
Er erinnert mich an Javier. Oh my Best-Friend - U would enjoy.
Er erzählt mir weiter, dass der Om-Beach ein heiliger Ort sei und sehr sehr spirituell sei, daher auch der Name, und sich in Neumondnächten viele Menschen dort versammeln um die Energie in sich aufzunehmen und miteinander auszuleben. Oh Gott. Gut das Neumond gestern war, so komm ich um diese Erfahrung herum. Ich habe später zwei weitere Menschen danach gefragt. Der eine sagte: „Das ist ein LSD-Beach, das ist das einzige spirituelle.“ Der nächste sagte: „Das sind alles Spinner, der heißt Om, wegen der Form.“
Wir verabreden uns für 5 pm. Dann möchte er mir in 15 Minuten meditieren beibringen und wenn das nicht klappt, kann ich wenigstens Delfine beobachten, die um die Zeit in die Bucht kommen.
Ist das nett hier.
Dann mach ich mich auf den Weg zum Om Beach.
Ich verlaufe mich in der Mittagshitze auf der Klippe. Aber vom Strand erkenne ich dann, dass durch Baumaßnahmen für neue Unterkünfte der Berg terassenförmig abgetragen wird. Und um verirrte Touristen wie ich davor zu schützen, dass sie in die so entstandenen Schluchten fallen, wird das Gelände mit natürlichem Stacheldraht – das sind aneinandergeflochtene Dornenbüsche, die einen höllische Schmerzen zufügen - dass ich mich nicht wage mit meiner Billigvariante von FlipFlops darüber zu steigen. Also zurück auf den Berg und mein Multituch, was bisher Strandmatten-Kopftuch-Kleid-Vorhang-Schal-Zudecken-Vibrationsschutz-Funktion hatte wird um die weitere Fähigkeit `Sonnenschirm` erweitert.
Der Strand ist hübsch leer und mit einigen Buden versehen, ein potentieller Ort zum Wohlfühlen. Noch sind hier mehr Kühe als Touris und erst als ich eine Gruppe Neuankömlinge mit Trollies über den Sand stampfen sehe, kommt eine Ahnung von der bevorstehenden Neckermann-Saison auf.
Auch auf der nächsten Klippe muss ich nach dem Weg fragen und schlepp mich über die kleine Hochebene, bis ich den sagenumwogenen Om-Bech erreiche.
Goldener Sand, träge Kühe, dezenter Müll und wesentlich mehr Leute. Vor allem Menschen, die in Rudeln auftreten.
Ein Schattenplatz unter Bäumen im Sand lässt mich aufatmen.Ich schließe die Augen, atme tief, versuche zu entspannen, gehe gedanklich die Shakren ab, aber so sehr ich auch in mich reinhorche... keine Spiritualität. Vielleicht mit offenen Augen beim Genießen der natürlichen Schönheit „Aaaaargh!“ Eine Kuh, wahrscheinlich auf LSD kleben geblieben, tranced genau auf mich zu. Ich brüll sie unheilig an. 
drei kühe sie sonne anbetend
Vielleicht will sie auch nur ihren Weg im Schatten fortsetzten. Ich kick ihr asimäßig Sand entgegen. Vollrausch. Mich rettet nur noch das reaktionsschnelle Tuch-um-Körperwickeln und zur Seite rollen. Das Kopfschütteln passiert automatisch. Und eine Minute später roll ich mich fassungslos auf meinen alten Platz zurück, um mich auf ihre Hufabdrücke im Sand zu betten.
ThanxGod. Du bist doch an diesem Ort, hast dich mir nur anders gezeigt.
Als ich auf dem Rückweg in einer Strandbar neues Wasser kaufe und die ersten Russen beim Kampftrinken höre wird mir erst recht klar, dass dies nicht mein Beach werden wird. Göttlichkeit hin oder her.

 Aber um eine lange Geschichte kurz zu machen, ich bin jetzt den vierten Tag hier, will morgen fahren und überlege schon wieder, ob ich noch einen kleinen Tag dranhänge. Was ist nur mit mir los???

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