Montag, 15. Oktober 2012

AgraallaaF

Von Delhi nach Agra sind es läppische 200 Kilometer. Ben hat aus intrinsischer Motivation heraus die Herrschaft über den Gasgriff übernommen. Ob aus Gründen der Ehrenrettung des männlichen Geschlechts oder ganz rational, weil seine Beine länger sind hab ich nicht hinterfragt. Mir ist es ganz recht nicht noch 70 Kilo mehr auf diesen Straßen beherrschen zu müssen.
Aber sowohl mein blindes Vertrauen zu ihm in allen Lebenslagen, seine Fahrpraxis auf Straße und Crossstrecke und unsere Liebe bis zum Mond und zurück können mir nicht das Gefühl nehmen, was ich die ersten Stunden auf dem Soziussitz durchgemacht habe. Ich glaube ich muss mich nicht schämen, wenn ich zugebe in dem Moment Lehrer, Instruktor und Angsthase zugleich zu sein.
„LIIIINKS“ und „GAAAAS“, sind wohl die am Häufigsten benutzten Worte der ersten halben Stunde dieses Morgens, seit wir um sieben Delhis Straßen verunsichern. Von geflüsterten bis geschrienen Intonationen übe ich mich in allen Varianten der kurzen aber aussagekräftigen Ausdrucksweise, dass ein Theaterintendant seine wahre Freude an meinem facettenreichen Repertoire gehabt hätte. Dass alles nur eine Form von Angst ist glaubt einem keiner.
„SCHAAAALTEN“ und „DAS IST ZU ENG“ - in Kurzform „NEEEEIN“, und „HUUUUUPEN“ lösen dann die Worte ab, nachdem mein Süßer auch in Kreisverkehren und beim Abbiegen recht schnell den Linksverkehr verinnerlicht hat und zudem merkt, dass der vollbepackte Einzyliner nur mit einem herzhaften Vollgasschub so etwas wie Überholen zustande bekommt. Dass die Hupe hier zum urbanen Überleben gehört wie das Wasser in der Wüste, wird jedem Indien-Reisenden in den ersten Minuten klar, denn das Konzert der Blechbläser beherrscht nahezu jeden Straßenzug in dem auch nur ein Dreirad parkt.

Ben: Oh mein Gott kennt die Frau wilde Schimpfwörter, dürfen das deutsche Beamte denn aussprechen?

Gleichzeitig sitze ich eng und unbequem. Himmel, ich habe knappe 10 Kilo nach Hause geschickt und Ben kam mit drei T-Shirts und ner Zahnbürste an. Klassischer männlich geht’s nicht und weniger weiblich geht auch nicht – ich brauche meinen Nagellack. Ich mecker und nörgel und werde zur nervenden Zicke auf dem Rücksitz. Und als nach einigen Kilometern auch noch die gut ausgebaute Straße Delhis endet und der schlecht ausgewogene Verkehr beginnt, fang ich ernsthaft an über unsere Erfolgsquote „glückliches Paar fährt 2000km durch Indien nach Goa“ nachzudenken. Meine linke Gehirnhälfte knobelt neue Packstrategien und Verzurrtechniken für den nächsten Tag aus, meine linke übt sich in meditativen und beruhigenden Stimulationen.

Es wirkt und wir fahren. Stunden um Stunden. Die Horrorstrecken mit Schlaglöchern und LKW warten noch auf uns und nur Staub und Schweiß benebeln uns, so das wir froh sind am frühen Nachmittg in das Verkehrschaos von Agra einzutauchen.
Aber irgendwas ist anders an dem Chaos hier. Es ist fröhlich und bunt. Und die Hupen werden von Zeit zu Zeit von lauten 120 Beats per Minute übertönt.



 „KARNEVAL“, schießt´s mir durch den Kopf, ich muss lachen und ein Gefühl von Nestwärme lässt meine Rückenschmerzen schlagartig verschwinden.

Ben: Das ist das Janmashtami-Fest. Krishnas Geburtstag, der eine Woche lang gefeiert wird und mit dieser Parade endet. Es erinnert ein wenig an die Love-Parade mit Umzugswagen, die ´nen DJ und ganz ganz viele Hornlautsprecher drauf haben. Allerdings so locker zerstoben, wie der Kölner Geisterzug, der sich nach einiger Zeit auch regelmäßig in seine Bestandteile auflöst, so dass jeder seine eigen Party feiert. 

Hinter dem DJ sitzt dann meistens noch ne ganze Ansammlung wichtiger Menschen, die die Dosenmusik mit frenetischem Beiwerk anreichert. Dazu gibt’s ein bisschen Feuerwerk und vor allem: Farbpulver in großen Mengen. Das wird sich gegenseitig ins Gesicht gerieben, in die Luft geworfen, Passanten in die Haare geschmiert, 


 
oder lediglich dem geneigten Janmashtami-Party-Seitensteher über den ganzen Körper gekippt. 

Ich hätte es wissen sollen. 

Tage lang musste ich noch an diesen Moment denken, war ja auch alles voller Farbe... 
Trotzdem echt klasse. 

Abends bei 3-4 Roofgarden-Beers bemerken wir, dass es zwei Varianten gibt: der eine Zug hält sich besonnen an traditionellere Musik. Die klingt über die miesen Stereos ja eh schon schön verzerrt und schräg. Bizarrer wird’s dann aber bei der zweiten Variante, wenn Euro-Dance-Trash-Musik gespielt wird. Dann glaubst´e echt, du stehst mitten in der Tiergarten Loveparade. Ich persönlich hab mich ja wohlgefühlt dabei. Man soll sich ja selber auch mal überraschen..

Uahhh... Kaum schläft man mal was länger, vergisst die morgendlichen Vorsätze wie Frühstücksyoga, Strandjoggen und Munterschwimmen, da ist der Text ordentlich komplettiert. Hervorragend. Vor allem, weil ich dadurch merke, was ich alles so übersehe und nicht mitbekomme. Aha! Hornlautsprecher waren auf den Wagen! Ich kann mich nur an die meterhohen Boxen erinnern, die zwar laut aber schrabbelig verzerrt klangen, aber mindestens so viel Rock auf die Straße gebracht hat, wie der Garagenpunkk längst vergangener Jugendzeiten. Das hört sich schecklich an, fetzt aber einfach.
ich kann gar nicht genug bekommen, von den Bildern...

Und das Volk hat gefeiert. Es IST wie Karneval: um die Wagen wird getanzt, gelacht, gejubelt und kräftig mitgesungen. Statt Kamelle wird Farbpulver geschmissen, wer etwas davon abbekommt lacht fröhlich und entgegengesetzt wie beim Goccia wird jeder Farbmarkierung mit Stolz getragen. Es dauert keine zwei Minuten, da sind wir mittendrin. Ben leuchtet in Konkurrenz zu the PinkPanther und der Farbgebung meines Fotoapparates nach zu urteilen liege ich eher auf Regenbogenniveau. 

Der Beat und die lachenden Menschen reißt einen mit, da ist vergessen, dass die Lunge seit Stunden nur Diesel verarbeitet hat, die Nerven an der Stoßstange eins Tatas kleben und der Rücken nach professioneller Massage schreit. Da ist egal, dass das Pulver nach Chemieunfall schmeckt, und die Klamotten noch Wochen nach Kindergeburtstag aussehen.
Karneval eben – I love it.


Nebenbei bemerkt: 
Wir sind wegen dem Taj Mahal hierher gekommen. Nicht dass wir TouristnHighLightCatcher sind. Aber Indien zu sehen heißt auch das bekanntste Bauwerk des Landes, sei es nun aus Liebe zu seiner Frau oder zu Allah gebaut, einmal abzulichten. Man kann das Foto dann hochhalten, wie eine Trophäe, wie einen Klospruch: „I was here“ und befriedigt mit einem Schlag Menschen aller Bildungsschichten (Au Backe bildungspolitischer Fauxpas: Das hab ich meinen Schülern nicht beigebracht! Ich muss ein Mail an Katja schreiben!!). Denn eins ist so sicher wie as Amen in der Kirche, wenn man in Indien war: die Frage „Warst du am Taj Mahal?“

Und ja, wir waren da. Und von dem Plateau des weltbekannten Bauweks konnte man hervorragend beobachten, die die Farbschlacht der Straße in die Reinwasch-party am Flussufer überging, wo die feierwütigen sich voller Inbrunst in die nächste Schlacht stürzten.
Feiern können sie. Das muss man ihnen lassen.





Taj Mahal (Mutter aller Tourihöllen)

Wem muss ich eigentlich noch erzählen, dass das ganze Teil lediglich Touriabzocke ist? Von vorne bis hinten und oben bis unten. Wer wie ich, mit einem Haufen undurchsichtiger Elektronik behängt, und dann auch noch mit Zigaretten in der Tasche, da rein möchte, der kennt erst mal das schwer bewaffnete Personal kennen. Durchleuchtetüren wie am Flughafen mit Rampen zum Hochgehen damit sich die Denkmalschützer nicht soweit bücken müssen. Und dann geht das Gefummel los. Ich war sein Alptraum. Mp3-Recorder, Feuerzeug und Zigaretten bei einer Person, das ist zuviel. Nach kurzer Diskussion darf ich den Recorder mitnehmen muss die Kippen aber abgeben. Egal, war ein grottenschlechtes Plagiat zum Abgewöhnen.
Hatten wir zuvor angenehm wenig (exakt keine) Touris in Indien entdeckt, so geht hier der Boom los. Mein japanischer Anteil in mir hechtet sofort zu seinen Landesfreunden um sie vor dem Taj Mahal in Szene zu setzen. Belustigt und verwundert lassen es meine neuen Freunde mit sich machen.
Aber dann dreht sich der Spieß um. Heerscharen von indischen Fotografen stürzen auf uns herein und wollen unbedingt uns mit sich selbst auf das Motiv haben. Wir machen das mit und sind genauso perplex, wie die Japaner eben gerade. Scheint hier so zu gehören. Bis auf das eine mal, da wollte der eine Inder nur Kiki mit aufs Bild haben. Da war ich n bisschen eifersüchtig. Aber ehrlich gesagt finde ich sie auch viel hübscher als mich oder diesen Taj-Klotz da im Hintergrund.

REISETIP: du wolltest da grade per Zufall hin? Ich sag, vergiss es, außer du hast wie ich einen Japaner in dir.



























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