Von Delhi nach Agra sind
es läppische 200 Kilometer. Ben hat aus intrinsischer Motivation
heraus die Herrschaft über den Gasgriff übernommen. Ob aus Gründen
der Ehrenrettung des männlichen Geschlechts oder ganz rational, weil
seine Beine länger sind hab ich nicht hinterfragt. Mir ist es ganz
recht nicht noch 70 Kilo mehr auf diesen Straßen beherrschen zu
müssen.
Aber sowohl mein blindes
Vertrauen zu ihm in allen Lebenslagen, seine Fahrpraxis auf Straße
und Crossstrecke und unsere Liebe bis zum Mond und zurück können
mir nicht das Gefühl nehmen, was ich die ersten Stunden auf dem
Soziussitz durchgemacht habe. Ich glaube ich muss mich nicht schämen,
wenn ich zugebe in dem Moment Lehrer, Instruktor und Angsthase
zugleich zu sein.
„LIIIINKS“ und
„GAAAAS“, sind wohl die am Häufigsten benutzten Worte der ersten
halben Stunde dieses Morgens, seit wir um sieben Delhis Straßen
verunsichern. Von geflüsterten bis geschrienen Intonationen übe ich
mich in allen Varianten der kurzen aber aussagekräftigen
Ausdrucksweise, dass ein Theaterintendant seine wahre Freude an
meinem facettenreichen Repertoire gehabt hätte. Dass alles nur eine
Form von Angst ist glaubt einem keiner.
„SCHAAAALTEN“ und
„DAS IST ZU ENG“ - in Kurzform „NEEEEIN“, und „HUUUUUPEN“
lösen dann die Worte ab, nachdem mein Süßer auch in Kreisverkehren
und beim Abbiegen recht schnell den Linksverkehr verinnerlicht hat
und zudem merkt, dass der vollbepackte Einzyliner nur mit einem
herzhaften Vollgasschub so etwas wie Überholen zustande bekommt.
Dass die Hupe hier zum urbanen Überleben gehört wie das Wasser in
der Wüste, wird jedem Indien-Reisenden in den ersten Minuten klar,
denn das Konzert der Blechbläser beherrscht nahezu jeden Straßenzug
in dem auch nur ein Dreirad parkt.
Ben: Oh mein Gott
kennt die Frau wilde Schimpfwörter, dürfen das deutsche Beamte denn
aussprechen?
Gleichzeitig sitze ich
eng und unbequem. Himmel, ich habe knappe 10 Kilo nach Hause
geschickt und Ben kam mit drei T-Shirts und ner Zahnbürste an.
Klassischer männlich geht’s nicht und weniger weiblich geht auch
nicht – ich brauche meinen Nagellack. Ich mecker und nörgel und
werde zur nervenden Zicke auf dem Rücksitz. Und
als nach einigen Kilometern auch noch die gut ausgebaute
Straße Delhis endet und der schlecht ausgewogene Verkehr beginnt,
fang ich ernsthaft an über unsere Erfolgsquote „glückliches Paar
fährt 2000km durch Indien nach Goa“ nachzudenken. Meine linke
Gehirnhälfte knobelt neue Packstrategien und Verzurrtechniken für
den nächsten Tag aus, meine linke übt sich in meditativen und
beruhigenden Stimulationen.
Es wirkt und wir fahren.
Stunden um Stunden. Die Horrorstrecken mit Schlaglöchern und LKW
warten noch auf uns und nur Staub und Schweiß benebeln uns, so das
wir froh sind am frühen Nachmittg in das Verkehrschaos von Agra
einzutauchen.
Aber irgendwas ist anders
an dem Chaos hier. Es ist fröhlich und bunt. Und die Hupen werden
von Zeit zu Zeit von lauten 120 Beats per Minute übertönt.
„KARNEVAL“, schießt´s
mir durch den Kopf, ich muss lachen und ein Gefühl von Nestwärme
lässt meine Rückenschmerzen schlagartig verschwinden.
Ben: Das ist das
Janmashtami-Fest. Krishnas Geburtstag, der eine Woche lang gefeiert
wird und mit dieser Parade endet. Es erinnert ein wenig an die
Love-Parade mit Umzugswagen, die ´nen DJ und ganz ganz viele
Hornlautsprecher drauf haben. Allerdings so locker zerstoben, wie der
Kölner Geisterzug, der sich nach einiger Zeit auch regelmäßig in
seine Bestandteile auflöst, so dass jeder seine eigen Party feiert.
Hinter dem DJ sitzt dann meistens noch ne ganze Ansammlung wichtiger
Menschen, die die Dosenmusik mit frenetischem Beiwerk anreichert.
Dazu gibt’s ein bisschen Feuerwerk und vor allem: Farbpulver in
großen Mengen. Das wird sich gegenseitig ins Gesicht gerieben, in
die Luft geworfen, Passanten in die Haare geschmiert,
oder lediglich
dem geneigten Janmashtami-Party-Seitensteher über den ganzen Körper
gekippt.
Ich hätte es wissen sollen.
Tage lang musste ich noch an
diesen Moment denken, war ja auch alles voller Farbe...
Trotzdem echt
klasse.
Abends bei 3-4
Roofgarden-Beers bemerken wir, dass es zwei Varianten gibt: der eine
Zug hält sich besonnen an traditionellere Musik. Die klingt über
die miesen Stereos ja eh schon schön verzerrt und schräg. Bizarrer
wird’s dann aber bei der zweiten Variante, wenn
Euro-Dance-Trash-Musik gespielt wird. Dann glaubst´e echt, du stehst
mitten in der Tiergarten Loveparade. Ich persönlich hab mich ja
wohlgefühlt dabei. Man soll sich ja selber auch mal überraschen..
Uahhh... Kaum schläft man mal was länger, vergisst die
morgendlichen Vorsätze wie Frühstücksyoga, Strandjoggen und
Munterschwimmen, da ist der Text ordentlich komplettiert.
Hervorragend. Vor allem, weil ich dadurch merke, was ich alles so
übersehe und nicht mitbekomme. Aha! Hornlautsprecher waren auf den
Wagen! Ich kann mich nur an die meterhohen Boxen erinnern, die zwar
laut aber schrabbelig verzerrt klangen, aber mindestens so viel Rock
auf die Straße gebracht hat, wie der Garagenpunkk längst
vergangener Jugendzeiten. Das hört sich schecklich an, fetzt aber
einfach.
ich kann gar nicht genug bekommen, von den Bildern... |
Und
das Volk hat gefeiert. Es IST wie Karneval: um die Wagen wird
getanzt, gelacht, gejubelt und kräftig mitgesungen. Statt Kamelle
wird Farbpulver geschmissen, wer etwas davon abbekommt lacht fröhlich
und entgegengesetzt wie beim Goccia wird jeder Farbmarkierung mit
Stolz getragen. Es dauert keine zwei Minuten, da sind wir mittendrin.
Ben leuchtet in Konkurrenz zu the PinkPanther und der Farbgebung
meines Fotoapparates nach zu urteilen liege ich eher auf
Regenbogenniveau.
Der Beat und die lachenden Menschen reißt einen
mit, da ist vergessen, dass die Lunge seit Stunden nur Diesel
verarbeitet hat, die Nerven an der Stoßstange eins Tatas kleben und
der Rücken nach professioneller Massage schreit. Da ist egal, dass
das Pulver nach Chemieunfall schmeckt, und die Klamotten noch Wochen
nach Kindergeburtstag aussehen.
Karneval
eben – I love it.
Nebenbei
bemerkt:
Wir sind wegen dem Taj Mahal hierher gekommen. Nicht dass
wir TouristnHighLightCatcher sind. Aber Indien zu sehen heißt auch
das bekanntste Bauwerk des Landes, sei es nun aus Liebe zu seiner
Frau oder zu Allah gebaut, einmal abzulichten. Man kann das Foto dann
hochhalten, wie eine Trophäe, wie einen Klospruch: „I was here“
und befriedigt mit einem Schlag Menschen aller Bildungsschichten (Au
Backe bildungspolitischer Fauxpas: Das hab ich meinen Schülern nicht
beigebracht! Ich muss ein Mail an Katja schreiben!!). Denn eins ist
so sicher wie as Amen in der Kirche, wenn man in Indien war: die
Frage „Warst du am Taj Mahal?“
Und
ja, wir waren da. Und von dem Plateau des weltbekannten Bauweks
konnte man hervorragend beobachten, die die Farbschlacht der Straße
in die Reinwasch-party am Flussufer überging, wo die feierwütigen
sich voller Inbrunst in die nächste Schlacht stürzten.
Feiern
können sie. Das muss man ihnen lassen.
Taj Mahal (Mutter
aller Tourihöllen)
Wem muss ich
eigentlich noch erzählen, dass das ganze Teil lediglich Touriabzocke
ist? Von vorne bis hinten und oben bis unten. Wer wie ich, mit einem
Haufen undurchsichtiger Elektronik behängt, und dann auch noch mit
Zigaretten in der Tasche, da rein möchte, der kennt erst mal das
schwer bewaffnete Personal kennen. Durchleuchtetüren wie am
Flughafen mit Rampen zum Hochgehen damit sich die Denkmalschützer
nicht soweit bücken müssen. Und dann geht das Gefummel los. Ich war
sein Alptraum. Mp3-Recorder, Feuerzeug und Zigaretten bei einer
Person, das ist zuviel. Nach kurzer Diskussion darf ich den Recorder
mitnehmen muss die Kippen aber abgeben. Egal, war ein
grottenschlechtes Plagiat zum Abgewöhnen.
Hatten wir zuvor
angenehm wenig (exakt keine) Touris in Indien entdeckt, so geht hier
der Boom los. Mein japanischer Anteil in mir hechtet sofort zu seinen
Landesfreunden um sie vor dem Taj Mahal in Szene zu setzen. Belustigt
und verwundert lassen es meine neuen Freunde mit sich machen.
Aber dann dreht sich
der Spieß um. Heerscharen von indischen Fotografen stürzen auf uns
herein und wollen unbedingt uns mit sich selbst auf das Motiv haben.
Wir machen das mit und sind genauso perplex, wie die Japaner eben
gerade. Scheint hier so zu gehören. Bis auf das eine mal, da wollte
der eine Inder nur Kiki mit aufs Bild haben. Da war ich n bisschen
eifersüchtig. Aber ehrlich gesagt finde ich sie auch viel hübscher
als mich oder diesen Taj-Klotz da im Hintergrund.
REISETIP: du wolltest
da grade per Zufall hin? Ich sag, vergiss es, außer du hast wie ich
einen Japaner in dir.
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