Mehrere SMS, einige etwas
wirr, erneutes Fahren in der Dunkelheit durch das Gewirr von Pune,
aber dann warte ich auf meinen Couchsurfing-Gastgeber so gegen acht,
vor dem Filminstitut.
Auf dem Moped kommt er
angebraust, die lagen Haare zum Zopf gebunden und ein breites
Stirnband bändigen die langen Strähnen, die ihm sonst lässig um
das Gesicht fallen würden. Ein Intellektuellenziegenbart und
schwarze Hornbrille betonen sofort das Kreatvie des Filmmachers und
der äußerst westliche Modstil mit Jeans und engem Windbreaker
lassen ihn vom ersten Moment an äußerst interessant, wenn nicht
anziehend wirken. So anders als der Durchschnittsinder.
Er knallt eine
Vollbremssung hin und schmeißt mir seine Kiste vor die Füße und
lächelt verlegen. „Dipankar“, stellt er sich vor. „Hoppla.
Nervös der Kleine?“, geht mir durch den Kopf, „Wirk ich etwa auf
den ersten Blick so aufregend auf ihn, dass er seine Sinne nicht
beisammen hat?“ Dreizehn Stunden Fahrt über staubige Straßen
hinter Dieselwolken, um fünf aufstehen und drei Nächte Party in Goa
machen mein Gesicht nicht laufstegverdächtig – das weiß ich
genau.
Kinosaalfassade |
„Kirsten“, meine
Rückantwort.
meine Passiererlaubnis vom Ftii |
Und dann redet er in
einem Fluss, abwechselnd mit mir in Englisch und mit den Jungs, die
mich hierher geführt haben auf Hindu. Und das in einem Tempo, dass
ich nur die Hälfte verstehe. Zwischen den Sequenzen meine ich
herauszuhören, dass sein Freund, Mentor und eine Ftii (Name des
Filminstitites)-Legende heute einen Kollaps erlitten hat und im
Krankenhaus liegt. Schlimme Sache das.
Gleichzeitig erfahre ich,
dass Dipankars Zimmer nicht aufgeräumt ist und ich daher das
Gästezimmer in einem anderen Wohnblock bekomme was sonst der
Unterbringung von Gastschauspielern und ähnlichem Geläut, also auch
mich, dient. Ein Prosit auf den Gott der Unordnung. Herrliche Sache
das.
Dann zeigt er mir mein
Zimmer. Das ist schwer, denn jedem dem er begegnet, wird die der
unheilvolle Kollabs von Rahul erzählt, er hält die Mensch an dazu
an nochmal ins Krankenhaus zu gehen, dass ich allmählich das Gefühl
habe, die Sache ist ernster, als ich bisher verstanden hatte. In
„meinem Zimmer“ hat bis heute morgen ein niederländischer
Couchsurfer gewohnt, der den Schlüssel im Fensterrahmen innen
hinterlegt hat. Dipankar will ihn sich angeln, erklärt mir
währenddessen das hervorragende Prinzip der Schlüsselübergabe und
schwupp - der Schlüssel fällt nach innen ins Zimmer. OMG – was
für ein fahriger Typ. Da stimmt doch was nicht.
Aber flexibel, denn
schneller, als ich denken kann, hat er eine Brechstange in der Hand
und filmreif biegt und haut abwechselnd auf das Schloss ein. Er ist
vom Fach, stelle ich fest. Aber eben Film und nicht Einbrecher, denn
das Schloss hält stand. In Kürze versammeln sich allerdings durch
den Krach angezogen die die Nachbarstudenten, die fasziniert oder
fassungslos zuschauen, das Schloss aber immer noch unversehrt ist.
Ich weiß, in Filmen klappt das immer. Ich hatte auch mal versucht
mir einer EC-Karte meine zugefallene Tür zu öffnen, weil sich das
immer so lässig und leicht anschaut. Ich hatte nur die Karte
zerbrochen. Er weiß sich allerdings zu helfen, holt eine Eisensäge
und macht sich erneut an der Tür zu schaffen.
„Why do you break this
door?“, fragt einer.
„Cause she stays there
for some nights“, antwortet Dipankar. Mir kommen Frage und Antwort
komisch vor, denn vorgestellt wurde ich doch bereits.
„But this is the
ecuipiment room!“
Dipankar hat begonnen das
Schloss der Nachbartür aufzusägen. Mein Gott – was ist mit dem
los?
Ruhe.
Ich dusche mir den Tag
vom Leib, nachdem ich endlich im richtigen Raum bin, damit ich beim
Essen gehen wenigstens fühle, dass ich bin.
Aber wir gehen nicht
essen, sondern wir fahren.
Angst.
Ich sitz mit meinen
legendären unpositiven Gefühlen als Sozia bei ihm hinten drauf und
die Tatsache, dass er sich eben beim Bremsen abgelegt hat, die
falsche Tür aufgesägt hat und allgemein recht hektisch wirkt, macht
mich nicht im minimal zuversichtlicher. Und es stimmt: die Maschine
stockt und ruckelt wie ein ungezähmtes wildes Pferd, dass ich ihm
entweder in die Rippen knalle oder hinten runterfliege. „The clutch
is broken“, sind seine Worte, aber ich glaube eher, dass er ein
gebrochenes Verhältnis zum Motorradfahren hat. Er lässt die
Kupplung flitschen, dass die Funken fliegen, bremst heftig
unmotiviert und gibt dann wieder unnötig Vollgas, Autos stocken und
hupen noch wilder, als normal, weil seine Fahrweise unberechenbar
ist. Gleichzeitig erzählt er immer wieder von Rahul und weil ich
nichts verstehe ist er so freundlich und dreht sich zu mir um.
Mama...
Ich bete, dass wir heil
ankommen und ich bete auch, dass er mich nie fragt, ober die BMW mal
fahren kann - ich dürfte und könnte es ihm nicht abschlagen. (Btw:
Beten hat nichts genutzt, er hat mich zu allem Unglück noch hintendrauf genommen - Ich hab
mich sicherer gefühlt zu dritt auf einem Mofa mit Martin und Anav in Goa).
Und dann beim mit Abstand
besten und mit noch mehr Abstand teuersten Thali, was ich je in
Indien gegessen habe versteh ich endlich, was los ist.
Rahul ist tot.
Seit einer Stunde ist er
Thema Nummer eins und ich dachte ich hab alles verstanden. Dass er
nach dem Tod seiner Freundin sich von Allem losgesagt hat, dass er im
Institut aufgefangen wurde, dass er nach seinem Kollaps im
Krankenhaus mit Elektroschocks reanimiert wurde, dass dabei eine
Rippe gebrochen ist und die sich in die Lunge gebohrt hat und sich
dann Bläschen gebildet haben und dass die Ärzte gesagt haben, dass
sich heute Nacht alles entscheidet... Alles – nur nicht das
Entscheidende, dass er tatsächlich gestorben ist. In den Armen
Dipankars. Zehn Minuten bevor ich angekommen bin.
Bang!
Ich krieg eine Gänsehaut
und weiß nicht ganz wie ich mich für dieses peinliche
Missverständnis entschuldigen soll. Nicht ich ab ihn nervös
gemacht. Nicht grundsätzlich ist er ein hektischer Konfuzius.
Es ist Rahul. - Und dann
darf man das Moped hinfallen lassen und die falsche Tür aufsägen.
Und von dem Moment an
steckt Rahul in so vielen Momenten des Besuchs, dass er am Schluss zu
etwas Besonderem geworden ist.
Am nächsten Morgen
besuche ich das Osho-Ashram, weil dort eine Schnupperstunde angeboten
werden soll. Das Angebot findet allerdings nicht mehr statt und die
Preise sind so gesalzen, dass ich in mich reinhorche und
schlagartig sowohl meine innere Ruhe sehr deutlich spüre als auch
eine heftige Abneigung gegen die die modisch ins Klo gegriffenen
roten Gewänder, die man natürlich tragen muss.
Auch der
anschließende Besuch am Bahnhof verläuft ergebnislos, außer, dass
ich allmählich fundierte Erhebungen über die Effizienz indischer
Bahnfahrkartenkauf aufstellen könnte. Zum Entspannen begebe ich mich
auf einen Altstadtbummel und merke, dass mir die Stadt gefällt.
Entgegen aller Reiseführeraussagen mag ich das Nebeneinander von
Tradition und Moderne, von alter Brüchigkeit neben glänzender
Pracht. Wie ganz Indien eben – authentisch.
Und ich merke aber auch, dass allzu gern Mäuschen spielen möchte, wie die Sache mit Rahul weiter geht. Wahrscheinlich SOLL ich nicht ins Ashram und SOLL ich keinen Zug bekommen. Irgendwie SOLL ich das mitbekommen.
Und ich merke aber auch, dass allzu gern Mäuschen spielen möchte, wie die Sache mit Rahul weiter geht. Wahrscheinlich SOLL ich nicht ins Ashram und SOLL ich keinen Zug bekommen. Irgendwie SOLL ich das mitbekommen.
Zurück im Filminstitut
begegnet mir der Leichenzug von Rahul. Eigentlich wollte ich mit
Dipankar Fotos und Filme schauen, weil mich seine Arbeit interessiert
und ich in mein Indien-Bildungspaket die alternative Filmindustrie
neben Bollywood aufnehmen wollte. Aber hier kann ich jetzt nicht
stören. Mehrere Hundert Menschen haben sich von gestern auf heute
versammelt um Rahul auf seinem letzten Weg zu begleiten. Hierfür
wurde er noch einmal in der Halle des Wohnheims in dem er mit seinen
Studenten gewohnt hat, aufgebahrt. Ein Satz persönliche Kleider,
einige Bilder, Kerzen und Blumen sind zu einem kleinen Schrein
arrangiert, der die ganze Nacht dort bleibt. Der Leichenzug zieht an
meinem Fenster vorbei und nicht Stille begleitet den Sarg auf dem Weg
zum Krematorium, sondern von Zeit zu Zeit ertönt etwas, was ich
Schlachtrufen zuordnen würde. Ich hab vergessen zu fragen, was das
war. Zu fremd fühl ich mich leider noch, um jetzt runter zu gehen
und spontan daran teilzuhaben. Aber die Neugierde ist groß.
„You could have
come...“ erklärt mir Dipankar beim Essen abends in einem
Restaurant, was qualitativ alles indische übertrifft, was ich bisher
hatte, aber auch mehr als mein Tagesbudget und eineinhalb
Monatsmieten Dipankars ausmacht. Müssen Männer immer so...
Wahrscheinlich kann er sich das deshalb leisten.
Aber so reden wir wieder
über Rahuls Da´s Filme, den westlichen Einfluss, den er nach
Indien gebracht hat, sein Leben und sein intensives Arbeiten. Sein
Verhältnis zu den Studenten. Bei seinem Kollaps war er mitten bei
Dreharbeiten. Der Mann nimmt immer mehr Form und Gestalt an.
Und dabei erfahre, dass
die Kondolenzveranstaltung auf den nächsten Tag um elf verschoben
wurde (ich grinse innerlich) und zusätzlich hat Dipankar mir
versprochen, dass wir abends zusammen kochen (da isses: ich SOLL
beiben). Das ist allemale spannender, als noch n Tempel und noch ne
Höhle und dafür bleibe ich mal wieder einen Tag länger. Fahr ich
eben hinterher schneller beschließ ich.
Um elf bin ich vor dem
Kinosaal des Instituts, vor dem sich schon etliche Menschen
versammelt haben. Es dauert noch die indische halbe Stunde bis zum
Einlass und im Geiste verlege ich meinen Höhlenbesuch auf morgen
früh. Die besten Zeiten hat der Saal hinter sich, aber Dapankar
meint er sei neu - so um die dreißig Jahre alt. Bei uns würde es
entweder Kinokarten zum Schnäppchenpreis geben, oder überteuert,
weil in historischem Antiquariat vorgeführt. Die Sessel sind nahezu
durchgefurzt und die Metallumrandung der Polster sieht aus, als hätte
sie einen Kugelhagel an der Front überstehen müssen, aber sie
lassen sich praktischerweise mit ein wenig Schwung in
Halbliegeposition bringen. Die Soundanlage klingt verzerrt und bringt
nur schwer die Worte zu mir so dass ich manche Redner gar nicht
versehe. Dennoch bin ich beeindruckt von den Worten, die für den
Filmmacher gefunden wurden. Beeindruckt davon, welche Worte er für
das Leben gefunden hat und was für eine warmherzige Persönlichkeit
mit allen Macken des künstlerischen Daseins er verkörpert haben
muss. Ein Leben für die Kunst, die sich der Gesellschaftskritik
hingibt – sowohl im eigenen Land, dessen weltberühmten fast
monopolistischen Filmstil er abgelehnt hat, als auch weltpolitisch.
Beim anschließenden Film "Genesis", der aus den Siebzigern stammt wird mir
dann deutlich, dass er die drogenumnebelte, symbolschwangere
Ausdrucksweise des Westens nicht nur mitgelebt haben muss, sondern
auch in seinen Filmen umgesetzt hat. Mode, Musik und die zeitgemäße
Antikriegshaltung erinnern an europäisches Kulturgut – nicht an
Bollywoodkitsch. Ich bin schwer beeindruckt und dankbar dafür, dass
ich wieder mit einem Teil Klischee über die Kultur eines Landes
aufräumen musste.
...dann die Kumpel |
Als Gegenleistung des
Kulturaustausches darf Dipankar dann BMW fahren, der dritte Inder,
der in den Genuss kommt und er ist so glücklich darüber „A dream
become true“ ruft er mir nach hinten mit einem Strahlen zu, dass
ich weiß,dass alles richtig war. Denn seit die
Kondolenzveranstaltung vorbei ist, ich seh ihn zum ersten Mal in den
zwei Tagen Lachen. Und wenn das Fahren der BMW dazu beiträgt...
Er bleibt sogar mit in der Werkstatt und hilft so richtig Künstler-untypisch mit die Bremseläge zu wechseln, das seine Finger hinterher so schwarz sind, wie seine Haare, aber er lacht.
Abends besteige ich den Nachbarberg im Sonnenunteergang, um ein bisschen Bewegung zu haben. Gut dass mir Dipankar vorher noch steckt, dass dieser Berg DER Berg in Rahuls Film ´Genesis` ist. Rahul steckt mittlerweile im Detail.
Er bleibt sogar mit in der Werkstatt und hilft so richtig Künstler-untypisch mit die Bremseläge zu wechseln, das seine Finger hinterher so schwarz sind, wie seine Haare, aber er lacht.
Abends besteige ich den Nachbarberg im Sonnenunteergang, um ein bisschen Bewegung zu haben. Gut dass mir Dipankar vorher noch steckt, dass dieser Berg DER Berg in Rahuls Film ´Genesis` ist. Rahul steckt mittlerweile im Detail.
Beim abendlich geplanten
Kochen, was fast schon den Charakter eines Rahulschen
Leichenschmauses hat, kann er dann allerdings wieder nicht mitmachen,
weil er ein spontanes Testshooting mit einer Studentin machen muss.
Er bleibt also doch ein
Chaot.
Bei mir ist allerdings
wieder ein neuer Eindruck Indiens hängen geblieben. Danke Rahul –
ohne deinen Tod zu genau dem Zeitpunkt wäre mir dieser Teil der Kultur
verborgen geblieben.
Und noch etwas ist
geblieben: Einige von Rahuls Worten, die zitiert wurden, haben wir noch in unseren
folgenden SMS verwendet.
http://en.wikipedia.org/wiki/Rahul_Dasgupta