Freitag, 30. November 2012

RahuL

Mehrere SMS, einige etwas wirr, erneutes Fahren in der Dunkelheit durch das Gewirr von Pune, aber dann warte ich auf meinen Couchsurfing-Gastgeber so gegen acht, vor dem Filminstitut.
Auf dem Moped kommt er angebraust, die lagen Haare zum Zopf gebunden und ein breites Stirnband bändigen die langen Strähnen, die ihm sonst lässig um das Gesicht fallen würden. Ein Intellektuellenziegenbart und schwarze Hornbrille betonen sofort das Kreatvie des Filmmachers und der äußerst westliche Modstil mit Jeans und engem Windbreaker lassen ihn vom ersten Moment an äußerst interessant, wenn nicht anziehend wirken. So anders als der Durchschnittsinder.
Er knallt eine Vollbremssung hin und schmeißt mir seine Kiste vor die Füße und lächelt verlegen. „Dipankar“, stellt er sich vor. „Hoppla. Nervös der Kleine?“, geht mir durch den Kopf, „Wirk ich etwa auf den ersten Blick so aufregend auf ihn, dass er seine Sinne nicht beisammen hat?“ Dreizehn Stunden Fahrt über staubige Straßen hinter Dieselwolken, um fünf aufstehen und drei Nächte Party in Goa machen mein Gesicht nicht laufstegverdächtig – das weiß ich genau.

Kinosaalfassade
„Kirsten“, meine Rückantwort.
meine Passiererlaubnis vom Ftii
Und dann redet er in einem Fluss, abwechselnd mit mir in Englisch und mit den Jungs, die mich hierher geführt haben auf Hindu. Und das in einem Tempo, dass ich nur die Hälfte verstehe. Zwischen den Sequenzen meine ich herauszuhören, dass sein Freund, Mentor und eine Ftii (Name des Filminstitites)-Legende heute einen Kollaps erlitten hat und im Krankenhaus liegt. Schlimme Sache das.
Gleichzeitig erfahre ich, dass Dipankars Zimmer nicht aufgeräumt ist und ich daher das Gästezimmer in einem anderen Wohnblock bekomme was sonst der Unterbringung von Gastschauspielern und ähnlichem Geläut, also auch mich, dient. Ein Prosit auf den Gott der Unordnung. Herrliche Sache das.
Dann zeigt er mir mein Zimmer. Das ist schwer, denn jedem dem er begegnet, wird die der unheilvolle Kollabs von Rahul erzählt, er hält die Mensch an dazu an nochmal ins Krankenhaus zu gehen, dass ich allmählich das Gefühl habe, die Sache ist ernster, als ich bisher verstanden hatte. In „meinem Zimmer“ hat bis heute morgen ein niederländischer Couchsurfer gewohnt, der den Schlüssel im Fensterrahmen innen hinterlegt hat. Dipankar will ihn sich angeln, erklärt mir währenddessen das hervorragende Prinzip der Schlüsselübergabe und schwupp - der Schlüssel fällt nach innen ins Zimmer. OMG – was für ein fahriger Typ. Da stimmt doch was nicht.
Aber flexibel, denn schneller, als ich denken kann, hat er eine Brechstange in der Hand und filmreif biegt und haut abwechselnd auf das Schloss ein. Er ist vom Fach, stelle ich fest. Aber eben Film und nicht Einbrecher, denn das Schloss hält stand. In Kürze versammeln sich allerdings durch den Krach angezogen die die Nachbarstudenten, die fasziniert oder fassungslos zuschauen, das Schloss aber immer noch unversehrt ist. Ich weiß, in Filmen klappt das immer. Ich hatte auch mal versucht mir einer EC-Karte meine zugefallene Tür zu öffnen, weil sich das immer so lässig und leicht anschaut. Ich hatte nur die Karte zerbrochen. Er weiß sich allerdings zu helfen, holt eine Eisensäge und macht sich erneut an der Tür zu schaffen.
„Why do you break this door?“, fragt einer.
„Cause she stays there for some nights“, antwortet Dipankar. Mir kommen Frage und Antwort komisch vor, denn vorgestellt wurde ich doch bereits.
„But this is the ecuipiment room!“
Dipankar hat begonnen das Schloss der Nachbartür aufzusägen. Mein Gott – was ist mit dem los?

Ruhe.
Ich dusche mir den Tag vom Leib, nachdem ich endlich im richtigen Raum bin, damit ich beim Essen gehen wenigstens fühle, dass ich bin.
Aber wir gehen nicht essen, sondern wir fahren.
Angst.
Ich sitz mit meinen legendären unpositiven Gefühlen als Sozia bei ihm hinten drauf und die Tatsache, dass er sich eben beim Bremsen abgelegt hat, die falsche Tür aufgesägt hat und allgemein recht hektisch wirkt, macht mich nicht im minimal zuversichtlicher. Und es stimmt: die Maschine stockt und ruckelt wie ein ungezähmtes wildes Pferd, dass ich ihm entweder in die Rippen knalle oder hinten runterfliege. „The clutch is broken“, sind seine Worte, aber ich glaube eher, dass er ein gebrochenes Verhältnis zum Motorradfahren hat. Er lässt die Kupplung flitschen, dass die Funken fliegen, bremst heftig unmotiviert und gibt dann wieder unnötig Vollgas, Autos stocken und hupen noch wilder, als normal, weil seine Fahrweise unberechenbar ist. Gleichzeitig erzählt er immer wieder von Rahul und weil ich nichts verstehe ist er so freundlich und dreht sich zu mir um. Mama...
Ich bete, dass wir heil ankommen und ich bete auch, dass er mich nie fragt, ober die BMW mal fahren kann - ich dürfte und könnte es ihm nicht abschlagen. (Btw: Beten hat nichts genutzt, er hat mich zu allem Unglück noch hintendrauf genommen - Ich hab mich sicherer gefühlt zu dritt auf einem Mofa mit Martin und Anav in Goa).
Und dann beim mit Abstand besten und mit noch mehr Abstand teuersten Thali, was ich je in Indien gegessen habe versteh ich endlich, was los ist.
Rahul ist tot.
Seit einer Stunde ist er Thema Nummer eins und ich dachte ich hab alles verstanden. Dass er nach dem Tod seiner Freundin sich von Allem losgesagt hat, dass er im Institut aufgefangen wurde, dass er nach seinem Kollaps im Krankenhaus mit Elektroschocks reanimiert wurde, dass dabei eine Rippe gebrochen ist und die sich in die Lunge gebohrt hat und sich dann Bläschen gebildet haben und dass die Ärzte gesagt haben, dass sich heute Nacht alles entscheidet... Alles – nur nicht das Entscheidende, dass er tatsächlich gestorben ist. In den Armen Dipankars. Zehn Minuten bevor ich angekommen bin.
Bang!
Ich krieg eine Gänsehaut und weiß nicht ganz wie ich mich für dieses peinliche Missverständnis entschuldigen soll. Nicht ich ab ihn nervös gemacht. Nicht grundsätzlich ist er ein hektischer Konfuzius.
Es ist Rahul. - Und dann darf man das Moped hinfallen lassen und die falsche Tür aufsägen.

Und von dem Moment an steckt Rahul in so vielen Momenten des Besuchs, dass er am Schluss zu etwas Besonderem geworden ist.
Am nächsten Morgen besuche ich das Osho-Ashram, weil dort eine Schnupperstunde angeboten werden soll. Das Angebot findet allerdings nicht mehr statt und die Preise sind so gesalzen, dass ich in mich reinhorche und schlagartig sowohl meine innere Ruhe sehr deutlich spüre als auch eine heftige Abneigung gegen die die modisch ins Klo gegriffenen roten Gewänder, die man natürlich tragen muss. 
Auch der anschließende Besuch am Bahnhof verläuft ergebnislos, außer, dass ich allmählich fundierte Erhebungen über die Effizienz indischer Bahnfahrkartenkauf aufstellen könnte. Zum Entspannen begebe ich mich auf einen Altstadtbummel und merke, dass mir die Stadt gefällt. 



 Entgegen aller Reiseführeraussagen mag ich das Nebeneinander von Tradition und Moderne, von alter Brüchigkeit neben glänzender Pracht. Wie ganz Indien eben – authentisch. 
Und ich merke aber auch, dass allzu gern Mäuschen spielen möchte, wie die Sache mit Rahul weiter geht. Wahrscheinlich SOLL ich nicht ins Ashram und SOLL ich keinen Zug bekommen. Irgendwie SOLL ich das mitbekommen.
Zurück im Filminstitut begegnet mir der Leichenzug von Rahul. Eigentlich wollte ich mit Dipankar Fotos und Filme schauen, weil mich seine Arbeit interessiert und ich in mein Indien-Bildungspaket die alternative Filmindustrie neben Bollywood aufnehmen wollte. Aber hier kann ich jetzt nicht stören. Mehrere Hundert Menschen haben sich von gestern auf heute versammelt um Rahul auf seinem letzten Weg zu begleiten. Hierfür wurde er noch einmal in der Halle des Wohnheims in dem er mit seinen Studenten gewohnt hat, aufgebahrt. Ein Satz persönliche Kleider, einige Bilder, Kerzen und Blumen sind zu einem kleinen Schrein arrangiert, der die ganze Nacht dort bleibt. Der Leichenzug zieht an meinem Fenster vorbei und nicht Stille begleitet den Sarg auf dem Weg zum Krematorium, sondern von Zeit zu Zeit ertönt etwas, was ich Schlachtrufen zuordnen würde. Ich hab vergessen zu fragen, was das war. Zu fremd fühl ich mich leider noch, um jetzt runter zu gehen und spontan daran teilzuhaben. Aber die Neugierde ist groß.
„You could have come...“ erklärt mir Dipankar beim Essen abends in einem Restaurant, was qualitativ alles indische übertrifft, was ich bisher hatte, aber auch mehr als mein Tagesbudget und eineinhalb Monatsmieten Dipankars ausmacht. Müssen Männer immer so... Wahrscheinlich kann er sich das deshalb leisten.
Aber so reden wir wieder über Rahuls Da´s Filme, den westlichen Einfluss, den er nach Indien gebracht hat, sein Leben und sein intensives Arbeiten. Sein Verhältnis zu den Studenten. Bei seinem Kollaps war er mitten bei Dreharbeiten. Der Mann nimmt immer mehr Form und Gestalt an.
Und dabei erfahre, dass die Kondolenzveranstaltung auf den nächsten Tag um elf verschoben wurde (ich grinse innerlich) und zusätzlich hat Dipankar mir versprochen, dass wir abends zusammen kochen (da isses: ich SOLL beiben). Das ist allemale spannender, als noch n Tempel und noch ne Höhle und dafür bleibe ich mal wieder einen Tag länger. Fahr ich eben hinterher schneller beschließ ich.

Um elf bin ich vor dem Kinosaal des Instituts, vor dem sich schon etliche Menschen versammelt haben. Es dauert noch die indische halbe Stunde bis zum Einlass und im Geiste verlege ich meinen Höhlenbesuch auf morgen früh. Die besten Zeiten hat der Saal hinter sich, aber Dapankar meint er sei neu - so um die dreißig Jahre alt. Bei uns würde es entweder Kinokarten zum Schnäppchenpreis geben, oder überteuert, weil in historischem Antiquariat vorgeführt. Die Sessel sind nahezu durchgefurzt und die Metallumrandung der Polster sieht aus, als hätte sie einen Kugelhagel an der Front überstehen müssen, aber sie lassen sich praktischerweise mit ein wenig Schwung in Halbliegeposition bringen. Die Soundanlage klingt verzerrt und bringt nur schwer die Worte zu mir so dass ich manche Redner gar nicht versehe. Dennoch bin ich beeindruckt von den Worten, die für den Filmmacher gefunden wurden. Beeindruckt davon, welche Worte er für das Leben gefunden hat und was für eine warmherzige Persönlichkeit mit allen Macken des künstlerischen Daseins er verkörpert haben muss. Ein Leben für die Kunst, die sich der Gesellschaftskritik hingibt – sowohl im eigenen Land, dessen weltberühmten fast monopolistischen Filmstil er abgelehnt hat, als auch weltpolitisch. Beim anschließenden Film "Genesis", der aus den Siebzigern stammt wird mir dann deutlich, dass er die drogenumnebelte, symbolschwangere Ausdrucksweise des Westens nicht nur mitgelebt haben muss, sondern auch in seinen Filmen umgesetzt hat. Mode, Musik und die zeitgemäße Antikriegshaltung erinnern an europäisches Kulturgut – nicht an Bollywoodkitsch. Ich bin schwer beeindruckt und dankbar dafür, dass ich wieder mit einem Teil Klischee über die Kultur eines Landes aufräumen musste.
erst der mopedgeile Vierbeiner...
...dann die Kumpel
Als Gegenleistung des Kulturaustausches darf Dipankar dann BMW fahren, der dritte Inder, der in den Genuss kommt und er ist so glücklich darüber „A dream become true“ ruft er mir nach hinten mit einem Strahlen zu, dass ich weiß,dass alles richtig war. Denn seit die Kondolenzveranstaltung vorbei ist, ich seh ihn zum ersten Mal in den zwei Tagen Lachen. Und wenn das Fahren der BMW dazu beiträgt... 

Er bleibt sogar mit in der Werkstatt und hilft so richtig Künstler-untypisch mit die Bremseläge zu wechseln, das seine Finger hinterher so schwarz sind, wie seine Haare, aber er lacht.
Abends besteige ich den Nachbarberg im Sonnenunteergang, um ein bisschen Bewegung zu haben. Gut dass mir Dipankar vorher noch steckt, dass dieser Berg DER Berg in Rahuls Film ´Genesis` ist.  Rahul steckt mittlerweile im Detail.


Beim abendlich geplanten Kochen, was fast schon den Charakter eines Rahulschen Leichenschmauses hat, kann er dann allerdings wieder nicht mitmachen, weil er ein spontanes Testshooting mit einer Studentin machen muss.
Er bleibt also doch ein Chaot.
Bei mir ist allerdings wieder ein neuer Eindruck Indiens hängen geblieben. Danke Rahul – ohne deinen Tod zu genau dem Zeitpunkt wäre mir dieser Teil der Kultur verborgen geblieben. 
Und noch etwas ist geblieben: Einige von Rahuls Worten, die zitiert wurden, haben wir noch in unseren folgenden SMS verwendet.

http://en.wikipedia.org/wiki/Rahul_Dasgupta

Donnerstag, 29. November 2012

IndieserminutE

...die jetzt ist
...und nebenbei ist dort auch noch kultur in hampi...
und die du gleich darauf vergisst,
geht ein Kamel auf allen Vieren
im heißen Wüstensand spazieren.

In Hampi am Flussufer sitz ich etwas länger als eine Minute. Ich gestehe, dass ich sogar den dritten Morgen hier sitze, obwohl ich ursprünglich nur nur zwei Tage mit Doro bleiben wollte. Irgendetwas, magisches, verführerisches, gemütliches, sphärisches, weiß der Kuckuck was, hat mich aber hier gefesselt.
Nach nur zwei Stunden an diesem Ort ist mir klar, dass ich mein Zugticket verfallen lassen muss, dass ich Doro die grausame Wahl stellen muss entweder mit mir hier zu bleiben oder alleine vor zu reisen, dass ich den Zimmerpreis womöglich alleine zahlen muss, dass ich allein mit dem Zug reisen muss... dass ich hierbleiben muss. Doro mit meiner Entscheidung zu konfrontieren bereitet mir am meisten Gewissensbisse, weil ich irgendwie an Stefans Reaktion in der Türkei denken muss, als ich spontan eine andere Route eingeschlagen hab und ihn dadurch zwei Tage allein gelassen habe. Aber ich kenn sie gut genug um einschätzen zu können, dass sie mich nicht verzweifelt heulend verflucht, sondern ihren eigenen Weg entsprechend anpassen kann. Und sie kennt mich gut genug um zu wissen, dass sowas passieren kann und um mich zu verstehen. Das sind eben Freunde. Und so kommts dann auch.


Ich sitze hier den dritten Morgen und bin begeistert von der friedlichen und geschäftigen Stimmung. Die Menschen gehen gelassen und ruhig ihrer eigenen Beschäftigung nach.
Schon oben am Ghat (die Treppen zum heiligen Fluss) stehen kleine Chaiverkäufer, die um diese Uhrzeit noch zu müde sind die Touris anzujammern. So wirkt die Stimmung authetisch und erholsam für mich. Am Treppenaufgang hat sich der Friseur niedergelassen, der statt ´Bunte´ oder ´Focus´ eine XXL-Reality-Flatscreen mit Szenen vom Fluss bietet. Wahlweise mit Sunrise- oder Sunset-Modus. Wahrscheinlich mit Vorreservierung.


Und unten am Fluss, dessen magisch orangene Farbe eine unwirkliche Farbharmonie in die Szene zaubert wird der Tag begonnen.
Da wird Wäsche gewaschen und ausgeschlagen. Während der eine alte Mann lediglich seine zwei Unterhosen wäscht, die er nach seiner eigenen Morgendusche just in dem Moment unter seinem Rock ausgezogen hat, ist eine Gruppe Frauen mit einem Großauftrag von Bettwäsche beschäftigt. Die gereinigten Tücher liegen dicht an dicht über die Ghats des Flusses zum Trocknen ausgebreitet und erinnern mich mit ihrer streifenförmigen Farbigkeit an moderne Bilder von Gerhard Richter.

Eine junge dralle Frau wäscht sich. Es ist ein sinnlicher Anblick, wenn sie sich mit Wasser übergießt und langsam ihre Haare ausstreift. Ob sie weiß, wie sie wirkt? Wie sie allerdings sauber wird in ihrer vollen Montur an Unterröcken, Kleidern, Saris, Armreifen, Shirts bleibt wohl ebenso ihr Geheimnis, wie die Magie der Stadt die ich an nichts Konkretem festmachen kann.
Eine andere Frau hat ihr Bad beendet und wechselt umständlich ihre Kleidung. Sie ist mit ihrem Mann hier und beide harmonisieren wortlos miteinander, als würden sie dies seit Jahren so handhaben.
 


 Eine leicht verhärmt wirkende Frau hat ihre Wäsche und sich selbst gereinigt und malt sich mit weißer Farbe Muster auf Arme und Gesicht. Zwischendurch erhebt sie immer wieder in unterschiedlichen Gesten ihre Hände zum Himmel. Mein Kopf formt die merkwürdigsten Bedeutungen dieses Rituals aus - so vieles weiß ich nicht über die Kultur. Gestern erst hab ich mich mit einem Mann am Flussufer unterhalten, der mir erzählte, dass sein Vater gestorben ist und er nun neun Tage lang jeden Morgen für eine Stunde an den Fluss kommt, um mit einem kleinen Feuer seines Todes oder seines Lebens zu gedenken. Ich fand das beachtlich, wurde allerdings stutzig, als er so gar nicht in Trauer wirkend um ein paar deutsche Euromünzen bat, die er seinem Vater darbringen wollte. Leider wurde die Geschichte dadurch dann doch etwas unglaubwürdig und in mir wuchsen schon morgens um sieben latente Hassgefühle, auf diese Geldforderungsmaschinerie, die der Tourismus in Wallung gebracht hat. Aber der Frau konnte ich Tele-sei-Dank ins Gesicht blicken und ihr hätte ich ohne Zweifel diese Geschichte abgenommen.

Die Jugend ist auch dabei. Ein Junge pinkelt ins Wasser. Andere beschmieren sich Daumendick mit Creme und werfen die leere Tube in den Strom. Wen kümmert´s? Gewaschen wird zwei Meter Stromabwärts, da ist das schon verdünnt. 







Und den Mann, der daneben steht und betet, der ist grad eh in einer anderen Welt.





Der tempeleigene Elefant, der tagsüber für zehn Rupies den Spender mit seinem Rüssel segnet, liegt schon seit einer halben Stunde gemütlich auf der Seite und lässt sich von Kopf bis Schwanz mit einer Bürste abschrubben. Auf einen Stubser mit dem Stock des Pflegers hebt er in Zeittlupe das Bein, so dass auch die Kimme geschrubbt werden kann. Jeden Morgen kommt er in den Genuss dieser Wohltat. Nur gestern Morgen wurde er mit einem LKW abtransportiert. Wahrscheinlich zur wöchentlichen Pediküre. Hach - Einmal ein Tempelelefant sein, huscht durch den Kopf, während der Dicke sein Bein wieder in Zeitlupe ablegt. Gleichzeitig überlege ich, warum hier eigentlich kein Eintritt verlangt wird, denn zwei Hände voll Touris sitzen auf den Stufen und die Videokameras schnurren und ein Blitzlichthagel begleitet das Spektakel.



Ein Junge setzt in den klassischen runden Körben zur anderen Seite über. Das wirkt zwischen wild romantischem und hoffnungslosem Unterfangen, denn er dreht sich dabei hin und her. Trotzdem bin ich sprachlos, wie schnell er letzendlich in dem archaischen Stoh-Wok sein Ziel erreicht. Vielleicht sollte ich ein Foto mal Stefan Raabs Redaktion schicken, als neuer Herausforderung für seine Schwachsinns-Sport-Events, die das deutsche Winterloch während der Bundesligapause füllen können.
An diesem Morgen beschließe ich einfach mal zum anderen Ufer über zu setzen und dort den Tag zu beginnen. 
Mal sehn was da alles so in einer Minute passiert...

Donnerstag, 8. November 2012

Rock´n´rolL

Ich fahr gemütlich nach einem dicken Frühstück, einer äußerst herzlichen Verabschiedung mit vielen Fotos und nach verstauen eines Lunchpaketes, bestehend aus einer halben Staude Banane, wie Mutti nicht besser hätte bieten können, um halb zehn los.
Der eine Bangalore sagte ich brauche einen Tag. Der nächste Keraler veranschlagt eineinhalb Tage. Ich indische-Straßen-erprobte kalkuliere zwei Tage. Zwischendurch bietet der Highway Anlass auf drei Tage zu kalkulieren.
„On the road again“
Zwanzig Kilometer lang, Verfahren sei Dank in Kerala, genieße ich herrlichen Kurvenspaß durch abgestorbene Bambuswälder. Leider war in diesem Jahr nach 45 Jahren die Zeit der Blüte, was dazu führt, dass sich der ganze Wald nicht in strahlendem satten grün präsentiert, sondern wie nach einer verunglückten Brandrodung. Die haushohen teilweise beindicken Bambusrohre staksen büschelweise schwarz in den Himmel und werden oft nur noch durch die auch abgestorbenen Schlingpflanzen gehalten. Ein trauriger Zeugnis von Vergängnis, aber für mich steht der Fahrspaß durch Mutter Natur an erster Stelle. 
„C´mon feel the noise“
 Am Liebsten hätte ich die Hupe festgetackert, da ich sie im Daureinsatz nutze um jeden entgegenkommenden zu warnen, dass hier ein Schwertransport mit Blitzgeschwindigkeit unterwegs ist. Eigentlich hoffe ich noch ein letztes mal eine kreuzende Elefantenfamilie zu entdecken, aber ich selbst tröte mir den Weg frei und will nur fahrenfahenfahren.
DA!
Ich stocke kurz, greif unüberlegt in die Eisen, halte mitten auf der Straße und dreh mich noch auf dem Moped sitzend unsicher um. Mein Blick wird festgehalten, unsere Pupillen versinken für eine Ewigkeit ineineander und ich bin überwältigt von den strahlend blauen Augen, die mit den Farben des Himmel konkurrieren. Groß, dunkel, überwältigend kräftig und entwaffnend gelassen geht der überwältigende Koloss einige Schritte auf mich zu.
Ein Büffel.
„Wenn er weiterschreitet geb ich Gas“, denk ich eingeschüchtert und nestel hektisch die Kamera aus dem Tanksrucksack. „Wenn ich Gas geben muss kann ich kein Foto machen“, denk ich weiter und entscheide mich für ein Bild. Scheiße, das falsche Objektiv – so ist das immer. Er scheint die Straße überqueren zu wollen, aber er zögert und trottet gespielt lässig weiter in meine Richtung. Anscheinend ist er wegen dem Unbekannten-Fahr-Objekt mindestens so irritiert wie die Einheimschen, die erstmals einer BMW gegenüber stehen.
Ich schieße einige Bilder aus der 180° Drehung von der Sitzbank aus mit laufendem Motor, packe schleunigst weg und gebe tatsächlich Gas. Ich bin auch irritiert.

Ich fahr weiter und erfahre erneut, dass die Bundesstaaten in Indien so verschieden sind wie die Länder Europas. Das fängt mit der Steuer für lebensnotwendige Genussmittel an, weshalb in Goa Bier, Sprit und Zigaretten so billig sind und hört bei lebensbegleitenden Grundelementen auf, weshalb direkt mit Grenzübertritt nach Karnataka der Straßenbelag grottenschlecht wird. 
"Highway to Hell" eben.
Anfangs ist der Belag noch ein abwechslungsreicher Hoffnungsschimmer und ich kann Phasenweise so fahren, dass man es zügig hätte nennen können. Bis Hassan habe ich dann das katastrophale Roadspektakel, dem locker für die Anfahrt zur Hölle im AC/DC Song gereicht hätte.
Mein Kopf bildet Tempozonen auf Straßenbelag ab und defniere in 20er, 40er, und 6oer Geschwindigkeitzonen. Gleichzeitig arbeitet meine mathematische Gehirnhälfte auf Hochtouren und berechnet je nah Straßenbelag, schneller als mein GPS, die Durchschnittsgeschwindigkeit und liefert minütlich neue Hochrechnungen für die potentielle Kilometerleistung des Tages. Die 2oer werden häufiger, so dass ich kaum vorwärts komme. Bei 4oer Bereichen fang ich schon an übermütig zu werden und ab einer Geschwindigkeit von 50 lege ich großzügig und zweckoptimistisch den 6oer Bereich zugrunde. Eine Tendenz von zweieinhalb Tagen pendelt sich beim Fahrzeug in Bewegung ein.
 "Fast as a shark“ ist das nicht.

Blöderweise hab ich mir eingeredet, dass das Fahren angenehmer wird, wenn ich möglichst viele Pausen mache um einerseits Fotos von schönen Motiven festzuhalten und mir andererseits kurzfristige Glücksgefühle aus der kalorienhaltige Ersatzbefriedigung zuführe. Und diese Rechnung geht definitiv zu Lasten der Ankunftzeit.

 Ich stoppe an einer Elefentenfarm, an der nicht nur Dickhäuter, sondern auch elternlose Kinder großgezogen und als Arbeitstiere benutzt werden. Ich fahre durch ranzige ärmliche Ortschaften und der Ochsenkarren wird zum Hauptbeförderungsittel. Dass ich auf einer Hocheebene bin, merkt man an den Berge am Horizont, der üppigen Landwirtschaft und an der üppigen Natur. 

 
Ringsherum ist es grün und saftig, Flüssläufe schlängeln sich über die Ebene und an manchen Orten stehen alte aber hochfrequentierte Tempel, an denen die Menschen im Fluss baden oder Kinder spielen. Ich halte an einer Ziegelfabrik, die in ihrer Farbgebung perfekt zu der roten Erde passt und beobachte begeistert die Arbeiter bei ihrer fast sinnlich wirkenden Arbeit.
 

Leider bekomme ich keine Genehmigung vom Manager, dort innerhalb des Geländes zu fotografieren. Die Jungs hätten mit Sicherheit ihren Spaß gehabt, denn die, die ich schnell mal vor die Linse bekomme, werfen sich beachtlich in Pose und die, die bemerken, dass ich von der Brücke fotografiere winken munter, trotz der zu schleppende Last. Andererseits könnten so unterm Strich doch wieder nur zweieinhalb Tage rauskommen. Dann verursache ich noch den nächsten Menschenauflauf, als ich meinen fünften Versuch starte eine externe Festplatte zu kaufen.

Ich erreiche erst am späten Nachmittag Hassan, knappe 120 km vom Start entfernt und ich bin verzweifelt. Laut meiner Hochrechnung brauche ich für die verbleibenden 480 Kilometer noch zwei Tage, wenn ich morgends um 6 starte und das war zwar meine Worstcaseberechnung, die eigentlich nicht eintreffen sollte. Also fang ich an über diese Arschloch-Großverdiener-Bürosesselfurzer aus Bangalore zu schimpfen, die mit Geldern der Chinesen einen funkelnagelneuen Highway vor die Tür gegossen bekommen haben und die mir armen in der Realität lebenden Wesen diese Strecke empfohlen haben. Ich vergesse hierbei absichtlich, dass einer mich vor der Strecke gewarnt hat.
Ich biege in Hassan zur Küste ab, diesmal den Worte eines Tankwartes vertrauend, der sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in der Gegend auskennt.
„Use your illusion“
Und er hat recht. 40 Kilometer fliege ich dahin und knutsche innerlich den Tankwart, der nun wirklich genausowenig für die gute Teerdecke kann, wie der Bürohengst für die schlechte. Kurzfristig finde ich mein Bikerlächeln wieder, bis die Straße sich blitzartg um 1000 Höhenmeter runterschraubt und der schlimmste Teil der Reise beginnt.

Busse kämpfen um jeden Zentimeter und überholen waghalsig durch Riesenlöcher bretternd in den unüberschaubarsten Kurven. Und die Rechnung, sich hinter ein solches Monster zu klemmen, was den Weg freischafelt geht leider nicht auf, weil im Minutentakt wahlweise benutztes Plastikgeschirr, Bananenschalen im Kilopack oder Kotze aus dem Fenster fliegt. Mein neuer Todfeind entsteht und ich hab auch kein Mitleid mit den Höllenrasern, wenn ich mir einbilde, sie sind unter Zeitdruck leiden. Das ist einfach nur Wahnsinn auf acht Rädern.
„Screaming for vengance“
Total entnervt checke ich um kurz vor sechs in dem ersten Hotel ein, was mir am heutigen Tag begegnet ist, ignoriere die grobschlächtige Baurbeiteratmosphäre und den abgewrackten Charme der Bruchbude und freu mich letzten Endes überhaupt nicht über die gut gemeinte Warnung des Portiers, meine Tür abzuschließen und nicht mehr auszugehen, weil hier so viele betrunkene Männer sind. Da ich schon draußen war, um zu versuchen hatte in der Dunkelheit an irgend etwas Ess- und Trinkbares zu kommen, glaub ich dem Kerl. Zu lüstern kamen mir, trotz aller Freundlichkeit die Blicke aus den roten drogengeschwängerten Blicken der Typen hier vor. Und zu kurz ist die Erfahrung des nächtlichen Besuches erst her, um d jetzt lächelnd drüber zu stehen.
Also spiele ich die Nummer „mich gibt es gar nicht“. Ein Angestellter besorgt mir Wasser aus dem nahegelegenen Ort und nachdem ich das äußere Riegel mit meinem Schloss festgeschlossen habe, so dass mich auch keiner hier einsperren kann, verschwinde ich im Inneren der vier qm. Ich rauche durch einen Spalt der geschlossenen Vorhängen am Fenster, was nur zu einem Gang rausgeht. Ich versuche keine Geräusche zu machen und mich nicht durch eine Ritze sehen zu lassen. meine letzten Vorräte verputze. Gleichzeitig versuche nichts zu berühren, weil die Seuche mir aus jeder Ritze der abbröckelnen Farbe entgegenspringt, wenn sie nicht mit genug klebrigem Dreck dort angepappt ist.
Ich stelle den Wecker auf 5 Uhr morgens. Hier muss ich nicht gemütlich ausschlafen.
Um sechs sitz ich, gestärkt mit eigenem Kaffee und den restlichem Minibananen, auf dem Bike.
„Keep on running“
Nebelschwaden hängen im Wald, Hunde schlafen auf der Straße, vereinzelte Mopdfahrer zuckeln durch die Kehren - die kanatarkanische Hektik-Welt ist noch nicht erwacht und erreiche in einsamer Idylle den Küstenhighway. Aber es bleibt auch irgendwie fast langweilig schläfrig. Kaum Trucks, wenig Busse, reparierte Schlaglöcher.
Das läd zum Heizen ein und ich bin so schnell und gut gelaunt, dass ich bis Mittags ohne Stopp fahre. Und dann gönne ich mir einen zwanzig Kilometer langen Umweg zum OmBeach, um eine wohlverdiente Frühstückspause einzulegen. 
Zweihuntertsiebzig Kilometer in sechs Stunden hab ich noch nie in Indien geschafft. Irgendjemand meint es gut mit mir.
„Such a perfect day“
Sogar ein Bad in den Wellen, ein kurzes Dösen am Strand und einige Starfotos mit schnittigen Männerfiguren sind im Zeitfenster drin. Und dann schmeckt auch noch mein feuriges Masala zum Frühstück.



Um vier lauf ich in Palolem ein und es empfängt mich Doro mit einem kühlen deutschen AC/DC Bier.

Rock´n´Roll halt.

Mittwoch, 7. November 2012

BrenneN

„Es wird brennen!“
Ich mache große Augen, schaue erschrocken, denke aber innerlich nur, dass ich ja nicht von diesem Glauben bin und solch Weissagungen bei mir nicht eintreten können.
Was soll denn wie bei mir brennen? Und warum? Weil ich in diesem Tempel in Udupi mit meinen Füßen über fünf Stufen zu einem Schrein getreten bin? Weil hier die Statue einer heiligen giftige Schlange, wohl eine der zig Darstellungsformen von Vishnu, dargestellt und angebetet wid? Weil ich über die verbotene Schwelle zu ihrem Gemach, getreten bin? Kann ich doch nicht wissen! Und der Wächter diesr ganzen heiligen Angelegenheit hat nur eine zweideutige von mir fehlinterpretierte Handbewegung gemacht und gezischt. Was heißt schon zischen?
Erst als ich entschuldigend und peinlich berührt die Stufen hinabsteige und die Gläubigen mit aneiandergelegten Händen zwischen ehrfurchtvoll und entsetzt mich anstarren sehe, wird mir klar, dass ich hier in ein fettes Fettnäpfchen getreten bin. Eine schöne wohlhabend wirkende Inderin erklärt mir in perfektem Englisch, dass diese Gottheit Böses vollbringen kann, wenn man sich ihr nähert.
„Dont go there, otherwise you´ll get burning pain“.
Aha! Sie erklärt mir mein vermeindliches Unheilsurteil in einem dermaßen nüchternen und emotionlosem Tonfall, als erkläre sie einem Kind, das Gras grün ist. Ist gut, ich weiß es jetzt und bin ich mir über das Maß meines Vergehens bewusst.
Ich frage mich allerdings ernsthaft, warum dieses „Unwesen“ an so einem friedlichen Ort einen ebenbürdigen Platz wie wohlwollende und glückversprechende Gottheiten bekommen. 
In dem Krishna-Tempel hier in Udupi, eines der heiligsten Zentren der Vaishnava in Südindien, herrscht ansonsten eine wundervolle Athmoshäre. Die Stimmung ist friedlich harmonisch, Kerzen leuchten zu Pyramiden aufgestellt in jedem Winkel, abertausende von Blumen schmücken auf Ketten gefädelt die Räumlichkeiten, die Gläubigen werfen sich nicht auf die Knie, sie legen sich mit gekonnten Yoga-Bewegungen mehrfach hintereinander hingebungsvoll vor die Gottheiten, Frauen singen hymnische Lieder und Fotoausstellungen erzählen die Ausgelassenheit vom letzten Fest.
Warum auf einmal dieser Schrein der Inkarntion als böse Schlange, die gemieden werden muss und gleichzeitg angebetet wird?
Manchmal wächst dies über die Logik meines westlich gepägten Hirns hinaus.
Ich schleder noch etwas weiter, genieße einige Tempel mehr in diesem herrlichen Ort, schwing mich anschließend auf mein Bike und fahre nach Malde in mein Hotel. Schließlich will ich morgen früh weiter und muss noch packen und es wird gleich dunkel.

Nachts werd ich wach.
Das Licht brennt hell und neben mir im Bett sitzt ein vermummter Mann, der unverständlich in mantrischem Singsang auf mich einredet. Zuerst denk ich ich träume. Dann denke ich der Hotelmanager will mich warnen. Dann krieg ich Panik.
Wer ist das? Wie kommt der hier rein? Was will der? Überflüssige Fragen.
Blöde Frage. Der Kerl muss hier weg.
Soweit es mein Seidenschafsack zulässt ohne meine Nacktheit preiszugeben drück ich den Mistkerl weg und er leistet zum Glück keinen Widerstand. Sein Tuch ruscht von Gesicht und bevor er es wieder umbinden kann, rieche ich eine fürchterliche Fahne und sehe, dass er vielleicht erst Anfang zwanzig ist. Ich drück ihn heftig zur Tür und will ihn rausschmeißen, aber der Scheißer hat sie von innen verriegelt.
Paaani... aber ich brauch das Wort Panik gar nicht zu Ende, denn in Trance schiebt er den Riegel, den ich bisher noch gar nicht wahrgenommen hab, selbst zurück. Er lässt sich nach draußen schieben. Tür zu. Knopf rein. Überlegen.
Nein erst mal anziehen, dann ist ein Wehren einfacher.
Ich hatte die Tür nicht abgesperrt, wie ich es nie mache und jetzt hab ich dafür bezahlt. Aber der Knopf bei diesem lächerlichen Türgriff ist jetzt zugedrückt, ich scheine erstmal sicher zu sein, so dass ich mir hektisch das Pfefferspray schnapp und die wichtigsten Sachen kontrolliere. Typisch Single im Doppelbett, lagert alles, aber auch alles Wertvolle auf dem zweiten Bett. Vom Laptop über die Kamera mit allen Objektiven, die GoPro und mein Portemonai. Alles ist noch da. Ich muss mich wirklich nicht fragen, was er hier wollte.
Scheiße, seine Schuhe stehen hier.
Da springt die Tür auch schon wieder auf und er drängt rein.
Noch in Unterhose stürm auf ihn zu, schmeiß ihm die Schuhe ins Gesicht, schubs ihn raus und halt ihm das Pfefferspray vor die Fresse. Ich brüll ihn an, dass er sich verpissen soll, so dass es mindestens bis zum Hafentor zu hören sein müsste. Und aus irgendeinem Grund zieht er sich zurück. Er kann das Spray nicht kennen, also vielleicht bin ich ihm zu zickig. Das wär ja schön. Die Frage ist, wie er die Tür jetzt in Bruchteilen von Sekunden auf bekommen hat. Die Schlösser scheinen ein Fake zu sein.
Also schieb ich den Riegel, den ich ja jetzt kennengelernt habe auch noch vor, zieh mir die Jeans an und ne Zigarette rein. Ein Uhr. Diese beschissene Nacht kann noch lang werden. Was mach ich nur?
Draußen steht der Kerl und murmelt benommen aber hartnäckig durch die verschlossene Tür. Ich versteh „sorrow“, aber wer noch nicht mal „go“ mit 120 Dezibel versteht, der wird sich nicht mit diesem Wort entschuldigen. Ich brüll ihn von drinnen an, dass ich ihn töten werde und hoffe, dass irgendeiner vom Hotel das hört und kommt. Aber außer dem monotnen Gebrabbel ist alles totenstill.
Dann wird es wirklich still. Ich probier das Spray aus und es funktioniert. Und dann fällt mir nichts besseres ein, als nen Kaffee zu kochen und zu rauchen, schließlich will ich auf gar keinen Fall hier auch nur eine Sekunde in Schlaf fallen. 
Dann leg ich mich aufs Bett. Das Pfefferspray ist in einen einen Pulswärmer an meiner rechten Hand geklemmt, so dass ich es beim Einschlafen nicht aus der Hand verliere. Die Eisenkette fürs Moped ist um die linke Hand gewickelt neben mir deponiert. Der Kerl kann kommen.
Ich döse vor mich hin, werde trotz Kaffee müde und denke zaghaft und viel zu träge darüber nach schon zu packen, da hör ich das Arschloch wieder an meiner Tür rütteln.
Ich spring auf.
In dem Moment kracht die Tür auf, er hat das Schloss und den Riegel zerschmettert und stürmt rein. Ich lauf ihm entgegen, drücke das Spray und pfeffer ihm alles entgegen, was die Dose zu bieten hat. Ich huste, ich würge und die Augen brennen, aber er muss mindestens das Gleiche spüren und er flieht. Ich knall die Tür ins Schloss und renne zum Fenster, nicht wissend, ob ich heulen, husten oder kotzen muss. Scheiße hoch drei. Mein Gesicht und meine Hände brennen wie Feuer und ich bekomm keine Luft. Röchelnd reiß ich alle vier Fenster auf und heulend stell ich den Ventilator auf vollste Umdrehung. Dafür liegt meine Kneifzange bereits da, weil der Knopf fehlt und die Zange landet sofort als neue Zweitwaffe in meiner Hosentasche.Minutenlang steh ich um Luft kämfend am Fenster.
Wie muss er sich jetzt fühlen? Ich hoffe natürlich, dass leidet. Und ich hoffe, dass er keine rachelüsternen Kumpels bei sich hat. Denn entweder er und seine Kumpels machen mir jetzt die Hölle heiß, oder er schmort jetzt in der Hölle und gibt auf. In vier Stunden wird es hell. Das kann lang sein.
Ich fang an zu packen. Zuerst die schwere Tasche, die mit den Endurostiefeln gekrönt auf den Stuhl vor die Tür gestellt wird. Falls er kommt, soll er erst mal stolpern. Eine normale Türklinke wäre mir jetzt lieber zum verbarrikadieren. Während dem Packen muss ich überlegen, wie ich alles aufs Moped bekomme ohne irgendwelche Dinge unabgeschlossen und unbewacht zu lassen. In Kinderrätseln ist die Lösung immer versteckt, fluche ich vor mich hin und muss an das Rätsel mit dem Mann denken, der einen Salat, eine Ziege und einen Wolf über einen Fluss bringen muss, aber immer nur zwei ins Boot bekommt. Und dann hab ich die Lösung, als ich entdecke, dass man die Badezimmertür von außen mit einem Riegel verschießen kann, der einer Atombombe standhält, während der Türriegel aus Marzipan zu sein gewesen scheint.
Der Täter leckt wohl eine Wunden, denn ich hab Ruhe. Ich spring sogar blitzschnell unter die Dusche, denn mein rechtes Bein und vor allem meine Füße, die bei dem Angriff nackt waren, brennen noch fürchterlich von dem Pfefferspray und die hab ich eben nicht gewaschen.
Gemächlich und das Hörorgan in Alarmbereitschaft arbeite ich vor mich hin.
Um fünf rüttelt wieder jemand an der Tür.
„Fuck you – GO!“ brülle ich. Ruhe. Mehrere scheinen zur Arbeit zu gehen und ich gönne ihm, jetzt verheult und wehleidig dadurch zu müssen.
Um halb sechs hohle ich bis an die Zähne bewaffnet und das Treppenhaus mit Flutlicht ausgestrahlt meine Wäsche vom Dach. Ich kann wieder richtig schauen nur mein Bein und Füße brennen noch.
Um fünf nach halb sechs schließe ich mein Gepäck im Badezimmer ein und bringe die erste Fuhre zum Moped im Hinterhof. Ich wende die treue BMW in Fluchtrichtung und lade auf. Das Pfefferspray ist bei jeder Bewegung durch den Pulswärmer fest in der Hand gesichert, die Zange watet in der Hosentasche auf ihren Einsatz und die Kopflampe ist auf Spot gestellt, dass der Angreifer geblendet wird. Ich ziehe alle Register der Selbstverteidigung und bin baff über meine Klarheit in den Gedanken nach nur zwei Stunden Schlaf, dieser Teufelsnacht und den immer noch brennenden Füßen.
Um zehn vor sechs verzurre ich die letzten Dinge. Alles bleibt ruhig.
Um sechs sitze ich auf dem Bike. Jetzt bloß nicht in den matschigen Spurrillen der Einfahrt langlegen. Mit viel Phantasie fängt es an zu dämmern.

Die Straßen sind leer, Nebel hängt über dem Wald und über den Flussmündungen und die kühle Luft tut gut. Ich schicke ein fettes Danke gen Himmel. Mein fünfter Schutzengel hat gute Arbeit geleistet. Und dann tätschel ich meiner Dicken noch liebevoll den dicken Faketank und danke ihr, dass sie fährt und fährt und fährt und ohne zu mucken anspringt und mir so ermöglicht einfach abzuhauen ohne auf irgendeinen beschissenen Bus zu warten.
Ich fahr an dem Tag über die schönsten Straßen und durch die hübscheste Landschaft Indiens und treffe auf überfreundlich Menschen, als wolle das Land sich für dieses Arschloch entschuldigen. Ich komme durch eine Stadt, in der Abschlussparade von einem riesigen heilige Fest ist, hübsche Inder wollen mich einladen darn teilzunehmen und mir blitzt durch den Kopf, dass ich mir so gewünscht habe. Aber ich will nur fahren und irgendwo an einem absolut ruhigen, wohltuenden und gepflegten Ort zu sein. Ich bilde mir ein, das sind die Berge. Ich fahre 11 Stunden. Ich halte nur zum Tanken und Essen. Nachmittags versuche ich am Straßenrand unter Bäumen zu schlafen, weil ich hundemüde bin. Aber ich komme nur dazu die Augen etwas zu schließen, weil meine Füße immer noch berennen. Sogar anhaltende Jungs, die schnell mal ein Foto von der Dicken oder von mir schießen, bringen mich nicht dazu nur einmal zu blinzeln. Das gibt etwas Kraft für die letzten Kilometer.
Und dann stellt sich an meinem Etappenziel Mananthavadi als überfüllte hektische Kleinstadt heraus. Frust. Das kann nicht ein und das soll nicht sein. Ich halte ein zweites Mal um dem Schicksal eine Chance zu geben und -ich glaube nicht an Zufälle- halte dirket vor dem Menschen am Straßenrand, der für eine Handvoll Rupies mit seinr Enfield vorfährt und mich wenige Kilometer bis Karikulam zu dieser paradiesischen Farm mitten im Wald bringt. Mich begrüßt ein sauberes gepflegtes Zimmer, freundlichen Menschen und herrlichem Essen - alles inclusive für 8 Euro am Tag. Hier bliebe ich und lecke meine Wunden. 
Der einzige Wermutstropfen sind die immer noch brennenden Füße vom Pfefferspray, was erst aufhört, als ich hier in der Ruhe die Stiefel ausziehe und Kühle an die Haut strömt.

Und dann irgendwann später, bei einem kühlen Bier am Abend, erinnere ich mich ganz plötzlich an die Worte der schönen Frau in dem Tempel: „Es wird brennen“. 
Und ich glaube nicht an Zufälle