Freitag, 19. Oktober 2012

Inder-indeR

Ich hab jetzt ein Problem mit entprechenden Bilder, weil durch unser gemeinsames Reisen
nur noch Bens Kamera zum Einsatz kam. Dieses Modell besitzt allerdigs ne Speicherkarte aus dem letzten Jahrtausend und ich kan de Bilder nicht laden, was ich zu spät gemerkt habe.
Sch... aber isses und wir arbeite dran



Die Inder oben im Norden des Landes stammen ja größtenteils noch von den Tibetern ab, viele Vertriebene haben sich im Norden Indiens mit ihrer Kultur niedergelassen. Das erkennt man sowohl deutlich an den Gesichtszügen als auch, wenn man sich ein wenig damit auskennt, an Kleidung (die kleinkarierten langen Gewänder der Frauen und die schlichten Kopftücher), Kochgewohnheiten (tierischen Fett statt Öl) oder Traditionen (Gebetsmühlen) erkennen kann. Meine kleinen Gebetsfähnchen am Motorradlenker signalisieren jedem, dass ich bei den „Tibetern“, also im Norden war.
Weiter südlich erinnern mich als Laien sowohl die Gesichtszüge, als auch die feinere, verschnörkelte Art der Frauenkleidung, Gewand und Schleier in farblich harmonischem Einklang wann immer es geht aufgepimpt mit Glitter und Steinchen und der must-have-rote Punkt auf der Stirn, an die Menschen in Pakistan. Wie viele Frauen in Pakistan -wohlgemerkt in Grenznähe zu Indien, im Rest des Landes hab ich keine Frauen gesehen- in kurzen Gesprächen gefragt, ob sie Inderinnen seien und immer bekam ich die Antwort: „No, Pakistani“, bis ich es sein gelassen habe, weil mein Klischee von schwarz verhüllten Frauen, die aus den Sehschlitzen ihrer beängstigend dunklen Burkas die Welt betrachten, zerbröckelt ist. Die Frauentribüne bei der Wagha-Border-Zeremonie war prächtig farbenfroh anzuschaun und alle riefen mit tiefster Leidenschaft die Pakistanischen Schlachtrufe in den Abendhimmel, laut, fröhlich und selbstbewusst.
Aber noch etwas scheint die Inder im Norden zu unterscheiden, was sie mir so sympathisch macht. Sie sind zurückhaltender.
Je weiter südlich ich mit Ben durchs Landesinnere mit dem Motorrad fahre, desto mehr erinner ich mich an die starrenden Menschenpulke in Pakistan, die mich hiflos und wütend und unbehaglich zugleich gemacht haben. Wo immer wir auch anhalten, sei es an der Tankstelle, an einer Dharba oder einem keinen Shop bildet sich in Sekunden ein Menschenauflauf um uns, dass es unerträglich wird. Und wie die Pakistanis, sind die Inder zu kaum einer Regung hinzureißen. Kein Lächeln, keine Fragen, kein Gespräch. Nur glotzen. Ich merke, dass auch Bens Stimmung sich diesbezüglich ändert. Humorvolle Bemerkungen auf den ersten Kilometern wie: „So fühlen sich Filmstars“, wandeln sich allmählich in non verbales Stirnrunzeln und nach drei Tagen in offene Ablehnung, die dazu führt, dass wir uns bemühen nur noch außerhalb von Ortschaften zu halten oder zu übernachten. Und Filmstars haben in solchen Situationen einen Vorteil: es wird ihnen eine Botschaft übermittelt, wenigstens irgendein Gefühl entgegen gebracht, sei es kathegorische Ablehnung, oder frenetischer Jubel.
Einmal haben wir den Fehler gemacht, zum Frühstück in einem kleinen Ort am Straßenrand zu halten. Ohje – und das nach einer Nacht unter freiem Himmel, bei dem Moskitos mit den Sternen im flutlichtverdächtigem Mondschein Flamenco tanzten, und einer Luftfeuchtigkeit, die um 2 Uhr nachts kleine Pfützen auf den Schlafsäcken hat entstehen lassen. Es hätte romantisch sein können, wenn Moskitos und Feuchtigkeit diese Nacht eine Auszeit genommen hätten. So aber haben wir uns irgendwann, ohne darüber nachzudenken oder nachzuschauen, was außer Strohresten noch in den Ecken zu finden wäre, in den kleinen Stall zurückgezogen, in dem wir die BMW vor den Blicken möglicher Gaffer verbergen wollten. Und nach so einer Nacht giert man geradezu nach heißem Kaffee, der sowohl die Seele als auch die Knochen daran erinnert, wie sie zu funktionieren haben.
Bis wir den Kaffee, bestehend aus heißer Milch mit Zucker, nur der Chef weiß, woher die bräunliche Färbung des Heißetränks kam - Kaffee wars kaum, serviert bekamen, hatte sich die komplette männliche Dorfgemeinschaft um uns versammelt. Die Alphatierchen nahmen in der ersten Reihe Platz, saßen also bei uns mit am Tisch, der Rest formierte sich dahinter oder belagerte das Bike und jedermann sprach über Gott und die Welt und natürlich uns.
Aber bloß nicht mit uns.
Das Bildungsbürgertum lebt hier nicht; Englisch ist zwar Amtssprache aber hier in die Randzone der Zivilisation noch nicht vorgedrungen und daher erschwert es die Kommunikation erheblich. Und das hat mich schon in Pakistan waaaahnsinnig gemacht. Starren, gaffen, womöglich noch miteinander lachen, aber nicht in Kontakt mit uns treten.
Aber die Inder haben Kultur. Und so wurde vor der Zubereitung unseres Kaffees noch schnell in demselben Topf auf dem Feuer der Chai für circa ein Dutzend Gaffer aufgekocht, denn Chai ist hier Kultur und das gehört hier zum entspannten Glotzen dazu wie bei uns Chips und Bier zum Fernsehen. Dafür haben wir vollstes Verständnis.
Wir reagieren entsprechend, allerdings zum Unverständnis des indischen Publikums. Wir ändern unser Frühstücksmenü in die bereits fertigen gefüllteen Teigtaschen. Das bringst uns die Zeitersparnis bei der Zubereitung, was zu sehr an meinen Nerven gezehrt und so können wir uns schneller verdrücken.
Ben empfindet das Gottseidank genauso.
Wir quälen uns weiter über die kaputte, von Schlaglöchern zerborstene Straße, kämpfen wie Matadore gegen unberechenbare LKW, die wahlweise den Schlaglöchern auf ihrer Spur ausweichen oder Kühe, Mopeds, Menschen, Autos, Rikschas, andere Lkw, Busse oder gleich mehrere gleichzeitig davon überholen.
einer mehr im straßengraben 
Kampfspuren bleiben nicht aus. Wir Helden der Blechlawinenarena sind müde und gereizt, eine schwarze klebrige Diesel-Staub-Schicht überzieht uns und zeugt vom harten Leben auf der Straße Unser Material wirkt abgewetzt, verdreckt und einige Schweißnaht-Narben oder ausgerenkte Mopedglieder sind deutlich erkennbar. Aber auch die Gegner klappern und pfeiffen aus dem letzten Loch, obwohl alle noch schnaubend und aggressiv unterwegs sind. Alle? Fast alle. Gestern lagen drei Brummis entmannt im Straßengraben.
Ganz selten gleitet für Bruchteile von Sekunden ein entspannt-anmierter Blick von mir über die Landschaft. Wenn Ben das tut gibt’s sofort Schläge auf den Leib, denn in den Bruchteilen gehen gerne Teile zu Bruch.
Ich nehme grüne saftige Landschaften wahr. Man könnte es genießen. Erdnussfelder, deren kniehohe Büsche gerne ein bis zwei gelbe Blätter an der Spitze tragen, als wollten sie eine Blüte simulieren. Archaischer Ackerbau mit bunt gekleideten Menschen, die in gebückter Haltung das Feld bearbeiten oder auf den Köpfen teilweise riesige Lasten ins nächste Dorf tragen. Holzwagen am Wegesrand mit den Früchten der harten Arbeit. Hirten mit ihrem Vieh. Wilde Flusskurven durchziehen weite Ebenen. Und immer wieder rote Erde. Lehm-Stroh-Hütten und einfache Holzbuden an den Feldern. Wir fühlen uns oft an Afrika erinnert.
Mittags halten wir an einer weiteren Dhaba, ärgern uns mit dem Besitzer rum, weil mir der Preis für Chicken Masala zu hoch vorkommt, setzen uns dann draußen vor die Nachbarbude auf die Sitz-Lieg-Schlaf-Tische und lassen dieselbe Prozedur wie jedes Mal über uns ergehen. Hier gibt’s zum Glück genügend Sitz-Lieg-Schlaf-Tische, so dass wir beim Essen einen Gnadenabstand gewährt bekommen. Die körperliche Distanz ändert aber nichts an den bohrenen und fragenden Blicken. Einige Jüngere stellen sich dreist einfach neben uns und schauen kurz mal zu, die Bedienung knallt das Essen vor uns hin, die Mittgspause in einem wohl nahegelegenen College (die gibts hier mehr als Fressbuden) beschert uns ein paar ordentlich gekleidete Fans dazu, von denen immerhin einer wagt uns auf Englisch anzusprechen, den wir aber leider nicht verstehen. „Abtreten, Baby. Fünf!“ Aber vielleicht wollen wir ihn auch nicht mehr verstehen, wollen nicht mehr lächeln und freundlich sein. Ohne Grund lächelt hier doch auch sonst keiner.

und die jungs konnten wenigstens noch lachen
Ums Moped sammelt sich eine Traube. Die sind unter sich und freuen sich wie Kleinkinder darüber, dass sie unbeobachtet sämtliche Knöpfe drücken können, bei denen dann doch nichts passiert, weil die Zündung aus ist. „Einmal den Blinker einer BMW drücken... ich habs getan“..., wird wahrscheinlich noch nachts im Traum verarbeitet werden und die nächsten Wochen Thema beim Chai-Stammtisch sein. Diese Jungs jedenfalls sind erstmal beschäftigt und stören erst, wenn wir wegfahren wollen.
naja - die waren auch überall im dreck
Die einzig wirklich unbeteiligten an der Szene sind die Hühner, die zwischen unseren Beinen nach Essensresten scharren und ich liebe sie in dem Moment dafür.
Und zeitgleich enwickel ich ein latentes Hassgefühl auf dieses Volk, was überall auftaucht, wo man hält, und durch Nichtstun und diese vermeindliche Kühle eine Distanz schafft, die das Hassgefühl noch verstärkt. Vielleicht versteh ich das Verhalten irgendwann. Aber in solchen Momenten weiß ich, warum man sich bei einer anerzogenen oder antrainierte Freundlichkeit, wie man sie den Asiaten nachsagt oder wie man sie auch bei Geschäftsmännern erkennen kann, wohler fühlt. Oft wird dies vielleicht als falsche Freundlichkeit besonders bei den bezeichnet. Aber ein Lächeln tut nicht weh und kann tausend Tore öffnen. Und was dann hinter dem Tor steckt, das kann man hinterher herausfinden.
Dieses Verhalten hier verschließt sie mir.
Kurz darauf schaufeln wir uns ziemlich gereizt eine Gasse fahren endlich weiter. Ob das angenehmer ist wegen des Straßenbelags und dem Verkehr ist zweifelhaft. Ben kämpft tapfer weiter
Meter um Meter vor, durch Löcher und Holperabschnitte, zwischen Karren und Trucks hindurch und dann …

… dann lerne ich die Inder schlagartig lieben.
Wir liegen unter einem dieser Monstertrucks.
Keiner kann sich vorstellen, wie schnell das passieren konnte. Ein LKW überholt einen anderen, kommt uns entgegen, wir können nicht ausweichen, weil ein Moped an der Seite steht, der Verkehr kommt zum Stehen. Ben tastet sich langsam vorwärts zwischen Truck und Moped und dann fährt dieses Arschloch mit seiner Roadtrain einfach wieder an. Ben weicht instinktiv zur Seite titscht an das stehende Moped, lenkt gegen und in dem Moment erwischt uns der LKW, zieht uns mit der ganzen Fuhre zu Boden und als ich die Augen öffne, liegen wir zwei samt Moped unter dem Auflader.
Scheiße hoch drei.
Gottseidank steht der Truck schnell wieder.
Seitlich ist kein Rauskommen, da hat sich das Moped verkeilt und Ben liegt drunter. Ich bete, dass der Wichser nicht losfährt, denn dann sind meine beiden Lieblinge Mus. Ohje. Was ist mit Ben? Der liegt immer noch unter der Maschine. Was ist mit der BMW? Ich husche unter der hinteren Achse raus. Alle Körperteile arbeiten ordnungsgemäß. Ein kurzer Dank gen Himmel und an die Schutzengel, die mich heute Morgen nicht die Protektoren haben ausziehen lassen.
Und dann liebe ich die Inder schlagartig!
Zuverlässig, wie aus dem Nichts dreißig Mann an einer Dhaba auftauchen können, stehen hier schon ein Dutzend Inder wie aus dem Nichts um die Unfallstelle. Woher weiß ich nicht aber ist auch egal. Ein gemeinsames Ziel öffnet Tore der Gemeinsamkeit und fremd sein wird durch Hilfsbereitschaft an zweite Stelle gerückt. Dankean den, der diese Instinkte den Menschen mitgegeben und den Indern jetzt und hier bewahrt hat.
Ben steht. Und bis auf einen verlorenen Schuh und eine Schramme am Knie scheint erstmal alles in Ordnung zu sein. Eine konkrete Schadensmedung kommt dann später, wenn sich der Schock gesetzt hat. Einige Hände kümmern sich um ihn, einige Gemüter wollen ihn zum Sitzen und Wasser trinken animieren. Die andern ziehen, drücken und fachsimpeln an dem Motorrad, brüllen den Fahrer des LKW Befehle entgegen, der gelassen aus seinem Fahrerhäuschen schaut, als warte er auf einen frischen Chai und den Morgengruß der Liebsten.
Die Helfer drücke das Motorrad gegen den Boden, dass es fast Kopf steht, der Fahrer fährt kurz an und dann wird das gute Stück aufgerichtet und im Blitzverfahren gerade gerichtet. Navi und Spiegel lasen sich gererücken. Aber der Koffer sieht schlimm aus und und ist aus der Halterung gerissen. An der Stelle der riesen Beule ist mein Laptop geparkt, hoffentlich hat der nichts abbekommen, ich hab die aktuellen Fotos nicht gesichert.
Was für bescheuerte Gedanken einem durch den Kopf gehen...
Wir sind uns einig, dass wir weiterfahren. Wir tauschen nur die Fahrer, da ich definitiv weniger abbekommen habe und relaxter bin. Das Grundbedürfnis nach so einem Erlebnis in Ruhe zur Ruhe zu kommen ist bei uns Beiden. Da hilft es auch nicht, dass ich die Inder auf einmal liebe, weil sie so schnell zur Stelle und so hilfsbereit waren. Alles zu seiner Zeit.

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