Einer der Great Walks
muss es sein. Milford, Routburn oder Kepler. Für den Kepler spricht
alle Male, dass es ein Rundwanderweg ist und ich weder Shuttelbus,
noch Schiff, noch Helikopter brauche um zurück an mein Auto zu
kommen.
Warum also nicht.
Aber das liebe Geld - seit Neuseeland ständiger Begleiter in meinem Oberstübchen...
Die Sache gefällt mir gar nicht: Eintritt für den National-Park
kann ich ja noch akzeptieren, denn ich bin ich die erste, die sich
lauthals beschwert, wenn ich mich mangels Beschilderung auch nur
einen Kilometer zu viel bewege oder eine Brücke nicht TÜVgemäß
gesichert ist. Rund 60 Dollar pro Hüttenübernachtung finde ich dann
allerdings extrem übertrieben, wenn ich Verpflegung und den
Schlafsack – und ich Frostbeule hab derer zwei dabei – selbst
hinaufschleppen muss. Und was ich vor Vorausbuchungen halte muss ich
nicht erwähnen. Immerhin bin ich jetzt eine Woche vorher hier als
geplant und bin froh, dass ich nichts reserviert habe.
Lange Rede kurzer Sinn:
ich pack mir das Abenteuer mit etwas krimineller Energie ins
Handgepäck. Meine Idee ist es, mich illegal in den Park zu
schleichen, den Weg gegen die Richtung zu gehen und nicht in Hütten,
sondern den dazwischen eingerichteten Emergency Shelters zu
übernachten.
Der Plan scheint genial zu sein, denn ohne Permission in den Park zu gehen bedeutet, dass ich aus jeder Hütte rausgeschmissen oder direkt verhaftet werde. Die Shelters degegen sind immer genau nach drei Stunden Weg zwischen zwei Hütten eingerichtet. So schaff ich die siebzig Kilometer in drei Tagen, hab das kürzeste Stück beim heftigsten Aufstieg und ich muss mir abends nicht das selbstherrliche Wandergeseier der gesinnungsglichen Trekkinggesellen anhören. Stille, Einsamkeit, Natur – der Gedanke gefällt mir außerordentlich.
Wenn mein Kopf
mitarbeitet.
Der Eingang zum Park ist
kurz hinter einem Nadelöhr, einer Schleuse und schon begegnet mir
das erste Schild: „Control gate“ rechts.
Ich geh links.
Das geht ganz einfach und
ich jubel schon innerlich. „Ich in drin!“
Aber schon nach fünf
Minuten kommen mir zwei abgehetzte Mädels entgegen: „Sorry, how
far is it to the contol gate?“
„Fife minutes“, -
aber warum fragen die nach dem „control gate“. Muss man hier etwa
auch auschecken? Ich bin doch offiziell gar nicht drin. Was ist wenn
ich rausgehe? Muss ich am Ende doch blechen?
Hier und jetzt Baby,
ermahne ich mich und genieße den Märchenwald, die Sonne leuchtet
durch das Blätterdach, Moose und Flechten überwuchern das Gehölz
zentimeterdick, Farne, Schlingpflanzen und uralte Bäume geben immer
wieder einen Blick auf den Nebenarm des Fjordes frei. Es ist
herrlich.
Da hör ich hinter mir
Schritte. Oh, das ist aber selten, dass jemand gegen die Richtung
geht. Ich dreh mich lächelnd um und schau direkt wieder weg.
Schluck. - Blaue Hose,
blaues Hemd, blaue Kappe mit Emblem und kein Rucksack. Das ist
bestimmt ein Ranger, der mich jetzt nach meiner Einreiseerlaubnis
fragt.
Quatsch – das ist
bestimmt nur ein Israeli beim frische-Luft-schnappen, mach ich mir
Mut und beschließe noch in dem Moment, den Kerl unauffällig vorbei
zu lassen, dann kann er sich um andere illegale Einwanderer kümmern.
Ich stoppe also, dreh mich wieder um... der Mensch ist verschwunden.
Koooomisch.... Entweder,
der Israeli hat genug Luft geschnappt, oder der Ranger hat mal eben
einen verletzten Baum entdeckt und registriert den schnell.
Ich weiß nur eins. Wenn
mein Kopfkino jetzt drei Tage so weitermacht, hätte ich die Zeit
besser mit Weintrinken am Lake Anau verbracht – das ist
entspannender.
Ich versuche erneut Zeit
zu schinden indem ich mich in Selbstportrait in „fairy-wood“
versuche während ich mir zeitgleich eine Ausrede (basiered auf
Naivität) für die ersten Kilometer zurechtbastel, als der Blaumann
wieder auftaucht.
„Hey Sir, excuse me,
can you take a picture of me? You never have pictures of yourself,
when your travelling alone“, lächel-knieper-flirt.
„Of course. But...
You´re alone? Aren´t you afraid alone?“ Welcher Akzent ist denn
das. Imigrierter Ranger oder doch Israeli.
„No no - what is your
accent? Where are you from?“
„Israel – I just take
a small walk. Your´e doing the whole loop?“
Kiki, bleib locker oder
lass es. Du siehst doch, dass alles gut ist.
Und dann kann ich
wirklich erstmal aufatmen und genieße den mehrstündigen Walk bis
zur ersten Hütte. Herrlich gelegen auf einer Lichtung am Strand läd
sie zum verweilen ein, aber ich koche nur etwas Wasser ab um meinen
Vorrat aufzufüllen, plauder mit ein paar netten Wanderern und
erkläre dem Ranger – das sind hier die Hüttenwirte – der alle
neuen Gäste zum Schwimmen einläd, dass ich leider noch weiter zur
nächsten Hütte muss.
„Iris-Hut? - It´s six
hours!!“
„Oh I know. No problem,
cause its almost three, and it´s getting dark at ten.“
Ohohoh Alarm. Ich muss
die Zeiten im Rückspiegel behalten, sonst mach ich mich verdächtig.
Das sind ja richtig schwierige Denkaufgaben im Urlaub.
Ich mach dass ich
wegkomme, bevor es noch zu Fragen kommt auf die ich nicht vorbereitet
bin, schleiche mich aber dennoch am Ende des Strandes zum Ufer und
lasse es mir nicht nehmen schnell mal ins Wasser zu hüpfen. Aahhh,
die kühle Erfrischung tut gut und befreit die Seele von Stress im
Kopfkino. Ein Blick zum Wandervolk einige hundert Meter weiter zurück
lässt mich glücklich lächeln. Ich will gar nicht bei denen sitzen
und glaub ich will auch diesen Treck jetzt so illegal beschreiten.
Der kleine Adrenalinkick beginnt bei mir hier auf dem Treck und nicht
beim Bungeespringen.
Und er hört bei
Sandflies auf. Nämlich in dem Moment, wo ich nach weiteren drei
Stunden Wanderung bei meinem Schlafplatz Rocky Shelter ankomme, den
Rucksack glücklich auf ein paar Felsen am rauschenden Fluss werfe,
mich daneben fläze und gemütlich in der Abendsonne mein Dinner
einwerfen will. Ruhe, Natur, Idylle, Essen.... und Sandflies. In
Sekunden werden sie zu meinem größten Feind und übertreffen fast
noch die Ranger.
Ich wurde gewarnt, hab
aber bisher keine nervende Menge wahrgenommen. Ich hab bisher aber
auch noch nicht lange still gesessen. Aber jetzt... jetzt kann ich
ach nicht still siten, denn sobaldich in den Entspannungsmodus falle,
fallen diese kleinen unscheinbaren Mistviecher über mich her, wie
Fliegen auf den Scheißhaufen. Sie setzten sich an der Haut fest und
beißen, dass es tagelang unerträglich juckt. Hier hilft kein
hochgiftiges Bug-Repellent und kein hektisches Wedeln. Hier hilft nur
Bewegung. Also bewege ich mich weiterhin. Beim Essen esse ich in
Bewegung, beim Entspannen mache leichte Gymnastik, beim Relaxen laufe
auf und ab... Ach du dicke Scheiße. Bis Sonnenuntergang sind noch
mindestens vier Stunden. Ich kann doch nicht wie ein Irrer hier
permanent auf und ab gehen. Da könnt ich auch noch zur nächsten
Hütte gehen - wenn ich legal unterwegs wäre. Oh, ich könnte so
gemütlich auf einer Matratze im fliegengeschützen Dormroom
liegen... mit netten Menschen plaudern... über illegale Wanderer
lachen, die jetzt der Fliegenplage ausgesetzt wären... wär das
herrlich. Statt dessen verfluche ich meine Idee, beschließe, dass
ich Aufregung genug hatte, dass ich genug gesehen habe und eigentlich
jetzt umdrehn könnte.
gut, dass ich nicht gedreht habe |
Atmen fällt schwer.
Ich bin bescheuert.
Durch das dünne Tuch seh
ich die Fliegenschwärme um die Nase kreisen. Es umständlich eine
Position zu finden, bei der das Tuch weit genug vom Gesicht
weggehalten wird, um beim Einatmen nicht die Nasenlöcher zu
verstopfen und gleichzeitig die Hände nicht an das Tuch kommen, weil
die sonst attakiert werden. Meine Fingr sind immerhin am nächsten
Morgen zerstochen. So hab ich mir das nun nicht vorgestellt.
Lächerlich vermummt bei Tageslicht wegen millimetergroßen Insekten.
Schritte.
Mein Herz rast.
Bin ich nicht schon genug
gestraft mit diesem Killerangriff hier? Muss ich mich jetzt noch in
meiener hilflosen Lächerlichkeit vor einem Förster blamieren?
Bitte nicht noch das.
Ich hör sie kommen.
Panik starrt durch das feingewebte Tuch in die Idylle. Zwei Personen.
Rucksäcke. Und ein erstes Entkrampfen in der Magengegend, denn
Rucksäcke bedeutet in erster Linie Wanderer und daher keine
potentielle Gefahr. Ich frage mich zwar, was die um die Uhrzeit hier
machen, denn in einer Stunde wird es dunkel und drei Stunden Weg sind
es in jede Richtung zu einer Hütte, aber solang die mir nicht an den
Karren pissen, ist alles egal. Mein Zeitplan ist richtig nur diese
Menschen passen sich nicht meinem Plan an und bringen mich daher zum
Schwitzen.
Sie schauen zu mir rüber.
Vielleicht wollen die auch hier pennen? Vielleicht haben die Bier
dabei, was die Situation erträglicher machen würde... Grad will ich
mein Tuch lüften und die zwei fröhlich begrüßen, da drehen sie
sich um und gehen weiter.
Versteh ich nicht, aber
auch gut.
Nachts schlafen
Sandflies. Eine Wohltat, denn mir fällt mindestens dreimal mein
selbstbgebasteltes Kopfkissen vom Tisch und sechsmal das Tuch. Zudem
beschließe ich mitten in der Nacht doch mein Geld im Schlafsack zu
verstauen und die Kamera folgt eine Stunde später. Man weiß ja nie,
wer hier so rumschleicht. Um zwölf Minuten nach fünf attackiert
mich der erste Frühaufsteherschwarm Fliegen und mit ihm der Gedanke,
dass menschliche Frühaufsteher hier spätestens so gegen acht
vorbeikommen. Das bedeutet für mich aufstehen, nutzlos bewegen und
eine Ausrede basteln, warum ich hier und jetzt im Schlafsack bin.
Meine Phantasie arbeitet auf Hochtouren, aber ich finde keine gute
und schlüssige Story. Ich steh also auf, mache in Zeitlupe
Morgengymnastik, frühstücke im Umhergehen und versuche irgendwie
Zeit zu schinden, denn eins ist mir ganz klar: Wenn ich jetzt
losgehe, bin ich zu keiner plausiblen Zeit an der Iris Hut.
Ich hasse mich für meine
blödsinnige Idee umsost hier durch zu wandern. Gleichzeitig schwöre
ich, dass ich die Donationbox fülle, wenn ich hier lebend rauskomme
und verspreche, dass ich in Zukunft immer zahlen werde. Dieser
Zeit-Kalkulations-Druck und Geschichten-Erfindungs-Zwang ist echt zu
stressig. Drei Stunden sind es laut Tafel zur Iris Hut- also zwei bei
schnellem Tempo, also darf ich vor elf dort nicht eintreffen. Ich
schlender blöd rum und mache überflüssige Fotos. Ich futter
Bananen beim Gehen, schleuder die Schale wütend in den Wald.
Natürlich! Sie bleibt in den Ästen hängen. Hiermit gipfelt mein
Zeitschinden in einer Bananenschalen-Rettungsaktion zu befreien.
Entwirren und verbuddeln kann dauern.
„What are YOU doing
here????“
Adrenalin!!!
Aufgerissene Augen, ein
Bündel Stroh im Arm und ein „very poisoned“ Blick begegnet mir
auf Iris Teritorium. Zehn vor elf. Ich hätte mehr Bananenschalen
wegschleudern sollen.
„Oh -I just arrived.
What do you think about the weather?“
„Where are you comming
FROM?“
Die lässt sich nicht
ablenken. So sieht die auch aus, Hausdrache in drahtig
durchsetzungsfähg.
„I come from the Hut.“
Lüge! „Mmmm. Moooo... The one with M in the beginning.“
Vielleicht hilft Hilflosigkeit.
„When did you
leave????“ Nein, sie reagiert nicht, sie ist hart. Männer wären
drauf angesprungen.
„Uiii, very early.
About six.“ Keine Lüge.
„Ahhh, you come from
Morana Hut.“
„Yea. Thats it.“
„Ahhh, you come the
other way round.“
„Yea. I go to Luxmore
today, cause I only have three days for the treck.“
„It´s a long way.“
„No problem. How´s
about the weather. There should be sun.“ Nicht, dass ich mein
eigentliches Anliegen vergesse.
„This is Newzealand.
Maybe it´ll be fine.“
Et is wie et is würde
der Kölsche lässig sagen. – Diesem Drachen würde ich allerdings
lieber...ich bleib aber freudich und habe mittlerweile Wasser getankt
- das Wichtigste hier. - Bei dem Versuch mein Frühstück auszupacken
kommt zu der nervenden Rangerin allerdings ieder meine Fliegenplage
hinzu.
„Lot´s of flies
around.“
Sie bleibt nüchtern:
„It´s less. But you could leave the place, if you don´t like it.“
Arschkuh. Wir werden nie
Freunde werden. Aber ich bin kurz dankbar für die Fliegen und pack
das Angebot beim Schopf:
„I think it´s better“,
und ich stecke liebend gerne meine Bananen wieder ein, bevor diese
Gesetzesreiterin noch weiter nachhaken kann. Ein freundliches Winken,
ein friedliches Lächeln und ich bin dann mal weg.
Ein Stück weiter am
Wasserfall lässt sich auch gut frühstücken, bevor ich mich den
heftigen Anstieg zur nächsten Schutzhütte hocharbeite. Drei Stunden
brauche ich, muss mehrfach Pause machen, kämpfe mich über
Schluchten, Felsen und Geröllabhänge bis ich endlich endlich über
der Baumgrenze lande und mit herrlicher Aussicht belohnt werde.
Allein dafür hat sich die Plackerei mit Sandflies, Devil of law, und
eigens produziertem Wahnsinn gelohnt. Jetzt nur noch etwas über den
Kamm laufen, dann gemütlich an der Schutzhütte relaxen und
allmählich für die Flucht aus dem Nationalpark Rescherche
betreiben. Dafür brauche ich sympathische, deutschsprachige
Menschen, die mir entgegen wandern.
Und da kommen schon
Potential. Ein junges Paar setzt sich zu mir an den Tisch und
unterhält sich auf Englisch. Aber Deutsche haben einen so
unverkennbar schrecklichen Akzent, dass sie jederzeit sofort
identifiziert werden können. Peinlich aber hilfreich. Er ist so
einer. Bei ihr bin ich mir unsicher, aber Hauptsache ich kann mit
einer Person in die Muttersprache wechseln, so dass nicht jeder in
der Umgebung das Gespräch mitbekommt. Jetzt muss ich mich nur noch
gekonnt ins Gespräch mischen, was eigentlich nicht schwerfallen
sollte, aber ich sitzt mit dem Rücken zu denen und signalisiere
dadurch Desinteresse...
„Oh no, there is snow
in Germany. I talked to my husband yesterday“, ich dreh mich um.
„Really. Is it much?“
„Enough, that little
children have fun with it“, geht doch.
mein zweiter schlafplatz hat wände !!! |
„Sag mal, ihr seid ja
andersrum rein in den Park... Wie ist das denn am `control gate`? Da
bin ich ja gar nicht durchgekommen, bin also ohne Registrierung hier.
Komm ich da einfach so wieder raus? Oder...“
Große Augen starren mich
an.
„Du bist ohne Erlaubnis
hier?“ Er hat´s direkt geschnallt. „Wie machst du das denn mit
den Hütten?“
Jetzt kommt Ehrlichket
und Vertrauen ins Spiel: „Ich schlafe nicht in Hütten.“
„Ja... Wo denn... Geht
doch gar nicht anders... Wie...“
Hmmm, ein bisschen stolz
bin ich in dem Moment schon auf meine Aktion. Liebe Engelchen, bleibt
bei mir, damit das so bleibt.
das erlebt man nur alleine |
mount luxmore |