Montag, 15. Oktober 2012

HeiratindelhI?

Eine verrückte Idee, die sich in kürzester Zeit aus einer männlichen Laune heraus verfestigt hat:
Wir wollen heiraten: indisch, unkompliziert und weit weg von der Heimat, ohne viel Aufsehen und Rummel, ohne Ankündgung, one Einaldung, ohne Fest und ohne Formalitäten.
Ben formulierte die Idee so spontan-jugendlich in einer romantischen Trash-Poesie-SMS, einige Tage bevor er in Delhi eintraf und ich fand es spontan so unromantisch romantisch, dass ich per SMS „ja“ gesagt hatte.
Eine Mischung aus ernstem Versprechen und unverbindlichem Ausprobieren. Das Wort „verloben“ beinhaltet wohl ähnliche Intentionen, beschreibt aber nicht unseren Status.

Versuche klare Aussagen von Indern zu bekommen, sind schwer. Das fängt damit an, dass Grundbegriffe wie „rechts“ und „links“ von 90% der Bevölkerung verdreht angewendet werden. Menschen mit Studium bemerken es vielleicht noch und verbessern sich zeitnah. Aber daran haben wir uns gewöhnt. Außerdem sagen sie zu allem „Yess“ und schwenken den Kopf dabei einmal hin und her, was bei uns unmissvertändlich als „nein“ aufgefasst werden würde, hier allerdings „ja“ meint, aber gerne auch „nein“ heißen mag, besonders, wenn sie nichts verstehen. Das führt zu falschen Essensbestellungen, falschen Wegbeschreibungen und falschen Preisangaben. Wir gewöhnen uns schnell an, den Großteil der Informationen mindestens zweimal einzuholen, Überschneidungen abzugleichen und dann aus der Schnittmenge ein möglichst wahrscheinliche Wahrheit herauszufiltern. 

Sikkh tempel in Delhi
Wir versuchen Informationen über eine Heirat in einem Tempel zu bekommen. Der Rahmen wäre perfekt für uns Papier-Atheisten und im Falle, dass wir es uns doch anders überlgen kein folgeschweres Kündigen.
„No Problem“, erklären uns unterschiedliche Moto-Rikscha-Fahrer. Und die wissen bekanntlich alles. Man müsse nur einen der Tempeloberhäupter aufsuchen, sein Anliegen vortragen und dann ist man schwubbeldihup verheiratet.
der Rikschfahrer nimmts ernst und führt unsdirekt in den Tempel
Naja, es wäre schon hilfreich, wenn man in etwa den Glauben hat – MUSS NICHT- aber sich etwas auskennen mit der speziellen Religion wäre schon angemessen. (An der Stelle dachte ich glatt noch „kein Problem, das les ich mir abends schnell mal an“)
Es kostet auch nichts, aber es wäre schon angemessen einige Tausend Rupien zu zahlen – MAN MUSS NICHT - aber die Erhaltung und Pflege der Tempel bedürfen immer der finanziellen Unterstützung. (Hier fängst das No-Go an)

eins der Rituale??? nein Durstlöschen!!
Und die Rituale sollte man kennen – MAN MUSS NICHT – aber es gehört eigentlich schon eine Aufwendige Zeremonie dazu, bei der man zuerst siebenmal im Uhrzeigersinn um das heilige Wasser gehen muss und dann... (Das würde mehrere Nächte der Übung bedeuten. No-No-Go))
Und dann gehört da auch ein spezielles Gewand für die Frau dazu – MUSS NICHT - aber gehört eigentlich dazu und zollt dem Tempel und der Zeremonie Respekt.
Und der Mann auch – MUSS NICHT - aber...
… und Blumen - MUSS NICHT – aber …
… und Gäste fehlen doch auch – MUSS NICHT SEIN – aber das ist doch sonst keine Hochzeit
... und ...

aber gegessen haben wir noch dort
… uns qualmt der Kopf, denn sooo einfach haben wir uns das nicht vorgestellt, außerdem wäre das weder unkomplizirt noch ohne viel Aufwand. Nach mehreren unabhängigen Infoquellen, glauben wir dies dann auch irgendwann, denn die Schilderungen überschneiden sich bemerkenswert und andere Informanten finden sich auch in den Tempeln nicht. Wahrscheinlich sind die mit Zeremonien beschäftigt.
HA! Wer braucht schon ne indische Hochzeit in einem Tempel, dessen Gottheitsnamen man nicht mal aussprechen kann?

Als persönliche Erholungsphase lassen uns von verschiedenen TukTukKompetenzen erstmal zu diversen Handicraft-Shops fahren, um Ringe zu kaufen das ist schließlich das Wichtigste und bestimmt Einfachste. Die Preisverhandlungen sind zwar zäh, aber Ben kann so hervorragend desinteressiert schauen und hartnäckig feilschen, dass wir bereits im dritten Laden erfolgreich sind. Dass der größere Ring noch dem Finger angepasst werden muss macht nichts, denn inzwischen haben wir neue Infos zusammengetragen und beschließen einfach am nächsten Tag zum Court zu fahren, weil man da viel unkomplizierter heiraten kann.

Chinaman drinnen
Da kann der Ring gerne noch einen Tag warten, während wir Minimalbewanderung von Touristenpfaden beginnen und nachts zum dritten Mal an diesem Tag bei unserem Chinamann um die Ecke einkehren.
Der Laden ist in seinem erschreckend schmuddeligen Dreck zwar ein Aushängeschild für jedes „dont-eat-there“ in einschlägigen Reiseführern, aber das Essen schmeckt uns seit Tagen einfach nur hervorragend.

 
unser Chinamann
Am nächsten Tag passt Bens Ring immer noch nicht und wir müsse noch einen Tag auf die Ringe warten. Zur Problmlösung würde bei uns ein Kaugummiautomat dienen. In Ermangelung dessen gehen wir in den erstbesten Ramschladen um die Ecke, in dem wir alternativen Provisorien für zwanzig Cent auf Kaugummiautomatniveau besorgen. Passt doch alles, denn in Ermangelung von Champagner ist der Überfall auf einen Liqueur-Store geplant und in Ermangelung eines Festmals werden wir im Wok unseres Chinafreundes baden. 

 
Partylaune....gegen...
Perfekt ausgestattet geht’s zum Gericht. Wir staunen nicht schlecht, denn wir betreten einen abgesperrten Platz, um den sich kleinste Bretterbuden mit minimalstem Inventar unüberschaubar aneinader, übereinamder, ineinande reihen. Aushängeschilder, die mehr Platz einnehmen, als die Buden selbst preisen die Dienstleitung an, leider meist in unverständlichem Hindu. Angefangen bei der indischen Variante der Currywurstbude über den lebensnotwendigen Kopierladen bis zum internationalen Strafrecht ist hier alles vertreten.
...gegen...Zucht und Ordnung
Wir fragen die erste wichtig ausschauende Person, die uns ernüchternd mitteilt, dass eine Heirat in Delhi ohne deutsche Permission ausgeschlossen ist. Schließlich muss offiziell dokumentiert sein dass wir ledig sind. „Jeder, der uns etwas Anderes sagt, wird uns übers Ohr hauen“, sind die ehrlichen Worte, die wir gar nicht hören wollen. Für unser Hirn klingt das zwar nachvollziehbar logisch, aber so schnell wollen wir doch nicht aufgeben. Hier war noch nicht ausreichend Mühe am Start. Zu wenig Diskussionen, zu wenig Geldforderungen, zu wenig geflossener Schweiß, um die Flinte ins Korn zu werfen.
Ein Dutzend Buden weiter entdecken wir das vielversprechende Schild „foreign merriage“ in unserer Schrift. Wir lächeln uns an. Das klingt vielversprechend. Es hätte auch drauf stehen können „Diskussionen, Geldforderungen, Schweißausbrüche, aber dann wären wir wohl nicht dahin gedackelt.

Und dann ging´s los mit endlosen Fragen über unsere Herkunft, unsere Religion, unseren Grund in Inden zu heiraten. Infos, dass es unmöglich ist ohne deutsche Erlaubnis zu heiraten (wissen wir, wollen wir aber nicht hören), mögliche Wege, dies doch zu tun (da schau guck - wir sind doch bereit uns übers Ohr hauen zu lassen, sonst säßen wir hier nicht), was aber nicht offiziell ist und nicht anerkannt wird (egal, wir sind eh noch zu frisch zusammen, um zu heiraten), nicht nachvollziehbare Diskussionen über wenn und aber von Möglichkeitn und dass dies doch anerkannt wird, wenn wir das in Deutschland rückbestätigen lassen (hoppla, was lange Diskussionen bewirken und an der Stelle überflutet mich der erste Schweißausbruch, trotz auf Tiefkühltruhe gestellte AC, denn hier kommt ein Gefühl von Ernsthaftigkeit auf,), dass dies aber nur ein Formular mit Stempel der Behörde Indiens ist (jaja-das reicht!) und dass dies alles nur 50.000 Rupien kosten würde. WAAAAS? (Tropenhitze, Stillschweigen und weit aufgerissene Augen). Dafür kauf ich hier ne neue Enfied Bullet, mit einem Sound, der jedes Heiratsglockengeläut schüchtern erstummen lässt.
Ich fang an zu diskutiren und der Beamte lässt mit sich feilschen. Er will sogar meine Preisvorstellung wissen, aber Ben zieht mich raus. Er hat recht. Denn wer mit sich handeln lässt kann nichts Offizielles bieten. Wir gehen.
Aber dies wäre nicht Indien, wenn dieselbe Behörde nicht nebenan nochmal vertreten wäre. Das ist wie auf dem Mopedmarkt oder dem Gewürzbazar. Die Konkurrenz schläft direkt daneben. Aber auch hier ist es wie auf dem Bazar: der Preis ist der gleiche, es wird genauso gefeilscht und wir ziehen ab.
HA! Wer braucht schon ne indische Hochzeit mit falschen Papieren und korrupten Staatsdienern, wenn Liebe hier wie bei ebay höchstbietend verschachert wird?

Old Delhi - aber bei Nacht

Wir bummeln gemütlich durch die vermüllten Gassen Old Delhis, statt durchs indische Wahrzeichen der Liebe das Taj Mahal. Wir schlendern an alten Männern mit abgetragener Kleidung, ölverschmierten Händen und schweren Lasten beladen vorbei, statt durch ein Spalier von festlich gekleideten Freunden und Familienmitgliedern. Wir kaufen uns einen Mangosaft statt uns mit Champagner zu übergießen. Wir hören nie abreißendes hektisches Hupen des Verkehrs, statt den Hochzeitswalzer. Just in dem Moment beschließt mein Süßer, dass wir hier und jetzt der Stimmung die zeremonielle Krone aufsetzen und die Plastikringe austauschen.
der Tempel wollte uns auch nicht wirklich
Wir bleiben stehen, streifen uns verlegen lächelnd (zumindest ich) die Ringe auf dem schmalen Gehweg zwischen Bauruinen, Müll und Autoteileverkäufern über und nehmen uns in den Arm. Vorsicht! Ein solcher Austausch von Zärtlichkeit bedeutet hier schon eine sexuelle Handlung, aber hinter uns wird munter geklatscht. Ich hör wohl nicht richtig. 
Wir küssen uns vorsichtig und bemüht unauffällig, aber vor uns wird auch geklatscht. Und als wir uns voneinander lösen und bei Weitergehen im Arm halten, lachen nicht nur wir, sondern unser ganzes Umfeld bildet eine keine Gasse für uns, die Menschen lächeln uns an, applaudieren und einen herzlichen fremden Jubel kann ich auch hören. 
Mit etwas Phantasie werden daraus Standing Ovations.

HAAAAhhh! Wer braucht schon eine indische Hochzeit, wenn das Gefühl im Herzen transportiert wird und sogar wildfremde Menschen dies mit einem teilen können. 
Verrückt! 
Danke für diesen Moment!





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