Samstag, 27. Oktober 2012

DerzweiteblicK

normalerweise MIT wasser: die jogg falls
Wenn der Tag mit dem Wecker um halb sechs beginnt und mit Gewitter aufhört, kann dazwischen...
nein, ich muss ehrlich sein. Ich möchte den Tag jetzt nicht schlechtreden, nur weil ich heute grantiggriesgrämig bin. An solchen Tagen kann bekanntlich die Sonne ihr Bestes geben, die Straßen deutscher Straßenbaukunst entsprechend und das Essen wie von Muttern sein. Irgendwas ist dann immer totalverkehrtundbeschissen.


freunde, die man morgens um sieben braucht
Und die Sonne gab ihr Bestes heute wahrhaftig schon um sieben Uhr. Ich hab die Nacht im Freien verbracht und beschlossen noch vor dem ersten Kaffee -sozusagen als Frühsport- die 760 Stufen zum Wasserbecken der Jogg Falls runter zu laufen. Dass mich dort eine Horde brüllender Jugendlicher empfängt, die mich mit viel zu guter Laune für meine Miesepetrigkeit und ihren Ambitionen auf ein ausgedehntes Fotoshooting mit exotischem Wessi abnerven. hab ich nun wirklich nicht erwartet.
Angekitscht von 5 Tagen Abhängen am recht einsamen Strand und durch eine halbromantische Nacht unter freiem Sternenhimmel mit schimmerndem Viertelmond bin ich wohl in den Romantikmodus abgedriftet. Ich dachte ich allen Ernstes dass um die Uhrzeit an einem Montagmorgen noch kein Inder in die Tiefen der größten Wasserfälle Indiens hinabsteigt und ich einsam und nackig im klaren Wasser eine guten-Morgen-Dusche nehmen kann. OHMANNKIKI!!! Da bin ich im Land mit der zweitgrößten Einwohnerzahl der Welt und zudem eins der dichtbesiedeltesten Länder der Welt und glaube wirklich, ich könnte in einem Touristischen Highlight allein sein.
Und ich hab auch gedacht, dass hier nicht der Müll als Zeugnis der Zivilation den Wegesrand schmückt. SCHWACHSINN!!! Warum sollte auf einmal hier der Natur Respekt gezollt werden, wenn Im ganzen Land Mülltonnen ein Fremdworts zu sein scheint. 


Einzig die ach so verehrten Kühen, denen durch den Stempel der Heiligkeit Achtung entgegengebracht wird, interessieren sich fressenderweise für den Drreck auf der Straße. Aber der Ursprung für schmackhafte Gewürze, für heilende Kräuter, für Blumen als Opfergabe, für lebenswichtigen Sauerstoff, für die Resource der zukünftigen Generation, für Lebensquell... erfährt durch diese Misshandlung lediglich Ignoranz, wenn nicht gar Ablehnung.
Ich steiger mich rein, ooooh, ich könnt noch weiter...
schön wars da unten trotzdem - beim zweiten hinsehen
Ich hab auch gedacht, dass das Wasser klar und kalt ist. WOHERDENN? Menschen und Müll machen aus dem Wasser eine grünlichbraune Brühe, auf dessen Oberfläche sich Öl in bunten Schlieren sammelt, dass man nach einem Bad direkt eingecremt wäre.
Kurz: ich bin genervt und weiß nicht warum. Besser ich geh erstmal frühstücken. Nur 730 Stufen hoch und dann links gibt’s Dosa, daruf freu ich mich.
Beim Aufstieg geb ich mir Mühe keinem ins Gesicht zu sehen, sonst hätte ich als weiteren Frühsport Ins-Gesicht-springen dazugenommen. Ich kann zwar verstehen, dass ich mit meinen schweren Mopedklamotten und der weißen Haut eine außergewöhnliche Erscheinung abgebe, aber heute will ich das nicht gezeigt bekommen!!!

so gut sieh man nur nach 1460 stufen laufen vor dem kaffe aus
„The gras on the other side is always greener“, denke ich, als ich vor dem Chailaden sitze, meinen viel zu dünnen Kaffee in der Hand halte und beobachte, wie in der Bude nebenan knusprig dünne Dosas gebacken werden, während die Dame meine dicken schlabberigen Dosas hilflos, wendet. Mein Glück scheint anzuhalten, meine schlechte Laune bestätigt zu werden. Ist desshalb der Laden nebenan so brechend voll, oder ist dort zufällig ein Betriebsausflug gelandet? Ach, ich lass mir einfach Nachschlag von der grünen Nussauce geben, bestell einen zweiten Kaffee extra strong und verfeiner den mit ner Rolle Kekse.
Geht doch.
Eigentlich ein herrlicher Morgen. Ich muss heut wohl nur zweimal hingucken.

Nach dem gemütlichen Packen, viel ist ja nach ner Nacht unterm Sternenhimmel nicht zu tun, fahre ich dieselbe Stecke zurück. Ja, das war anders geplant, aber ich finde die Straße, die ich suche nicht, alle Schilder sind in „gegen-mich gerichteter“ Kringelschrift und alle Passanten erklären mir den Weg über den National Highway, der angeblich so gut sein soll.
Ich nenne ihn lieber berechenbar: Dort, wo ich in der Ferne Fahrzeuge wie nach einer Schlacht im Kinderzimmer auf dem Straßenteppich wild durcheinander auf der Straße sehe, weiß ich, dass ein spaßiger Hindernisparcour auf mich zukommt. Das passiert durchschnittlich jeden Kilometer. Und diese Löcher haben es in sich. Manchmal fahre ich im 80° Winkel über die Straße, manchmal auf dem unbefestigten Seitenstreifen der Gegenfahrbahn und einige Male bin ich einfach stehen geblieben und hab überlegt, wie ich da wohl rüber komme. Ich setzt mir im Geiste klein Etappenziele zum Überprüfen der Stimmung. Da ich aber möglichst tief in den Süden kommen möchte, fällt jede Überprüfung positiv aus.
Selbstverarschung dient als Stimmungsmacher und das klappt ganz hervorragend.

Murdeshwar muss ich sehen, die angeblich größte Statue der Welt stellt Shiva dar und wurde wohl erst vor zehn Jahren gebaut. Sie überragt imposant die Bäume und ist vom Highway deutlich zu sehen, so dass auch ich merke, dass ich vorbeigefahren bin.

Die Stadt ist wahrlch kein Ashängeschild für gigantische Herrlichkeit, aber der herrliche Tempel liegt direkt am Meer, und ist eingefasst von einer beeindruckend prachtvollen Anlage über der riesiggroß diese wunderschöne Gottheit wacht. Was für ein gigantischer Anblick.
Natürlich bin ich zur Mittagszeit da, lande erst im Tempel im Pilgerstrom und anschießend vor geschlossener Tür vom Turm zu Murdeshwar und geschlossener Tür zu Shivas Innerem.
Bei so viel verschlossenen Türen und ungeschossenen Fotos überlege ich mich selbst zum Besichtigen auszustellen und mit dem Moped vor die monströse Göttlichkeit zu fahren. Eine bewachte Straße führt bis fast dahin. Aber der fotobesessene Inder hat zwar wenig Verständnis für Verkehr oder Umweltschutz, aber fürs Foto machen allemal.
Die Idee fühlt sich gut an und soll meine Laune bessern. Also los.

Aber ich brauch mich gar nicht selbst zu inszenieren.
An meiner BMW stehen wieder mal interessierte Menschen, die gebildet genug sind mich sofort auf Englisch mit Fragen zu überhäufen. Die Englisch sprechende Bevölkerung hat hier massiv nachgelassen. Und wenn es einer die Sprache beherrscht und dazu noch saubere Kleidung und einen gepflegten Haarschnitt trgt, dann sind es Ausflügler aus Banglaore. So auch diese. Wahrscheinlich steht der polierte Mercedes hinter den Bussen. In Kantarka hab ich mehr gesehen als in ganz Indien, konkret: drei. Passend zum gestreiften Poloshirt mit Bügelfalte, wird das I-Pad gezückt und der Rest der Familie in vors Bike in Szene gesetzt. Der Kleine noch dazu. Ach schnell noch ein Bild, schließlich hat er nicht gelächelt. Die Familie ist nett und interessiert, aber mir macht die Hitze zu schaffen und meine Stimmung tendiert heute rein gar nicht zu solchen …..
Potzblitz, was geht hier ab? Um uns stehen Dutzende Menschen. Shiva kann abdanken, hier mach ich das Rennen. Der eine prüft den Reifendruck, der nächste spielt am Gas, ein anderer tätschelt liebevoll den Rest des Schaffells und einer dreht mir tatsächlich den Kölner Dom am Kotflügel gerade. Jetzt, wo ein Sprachführer den Anfang zu mir gemacht hat traut sich auf einmal jedes männliche Wesen, was zwei Beine hat um mich. Der Eisverkäufer lässt seinen Wagen allein, die Parkplatzwächter, Busfahrer, Schuhverwahrer und Besucher sammeln sich um mich, ja sogar die Postkartenverkäufer, die ich mir in kurzer aber heftiger Zeit zu Todfeinden gemacht habe, trauen sich vorsichtig in meine Nähe und lächeln versöhnlich. Ich muss weg - zu Shiva. Das ist nicht nur die Sonne, die mich schwitzen lässt.
ganesh hilf
„I give you my facebookadress, then you can look for the fotos.“
Oh nein! Polohemd will noch Facebookadressen austauschen.
Was interessiert mich...
Ich lächel äußerlich. Hab heute immerhin schon den Postkartenjungs, den Fotojungs, den lieben Tourijungs, die ich für Fotojungs hielt und dem Kellner verbal eins übergebraten; nicht noch diesen wirklich freundlichen Spießbürgern. Und er schreibt schnell.
„Byebye, nice to meet you“, und weg sind sie in ihrem klimatisierten Familienvan. Die haben ein Erlebnis mehr im Herzen sitzen und ich habe hundert Freunden mehr im Weg stehen.
Ein hübscher Kerl hat direkt die Rolle des Sprachrohrs übernommen und stellt ununterbrochen die Fragen, die ich dankbar vermisst habe: „How much cost? How much horsepower? How much petrol?“ Ich könnte die Antworten vorne auf die zerbochene Windschild schreiben, um dieser heute echt nervenden Baggage zu entgehen. Dabei hau ich einem den Ärmel übers Gesicht, aber der lächelt nur und wahrscheinlich wird er die Stelle jetzt nie wieder waschen. Um mein Bein über die Sitzbank zu schwingen, muss ich glatt um Platz bitten. Langsam fühl ich mich echt unwohl, denn überall sind Finger die irgendwas begrapschen müssen. Masse hat Macht, geht mir bei sowas immer durch den Kopf und entsprechend groß ist mein Wunsch zu verschwinden.
Scheiße, ich komm rückwärts nicht aus der Parklücke und vorwärts bin ich zugeparkt.
Hoppla, Sprachrohr versteht meine bittende Aufforderung mich zu schieben und redet dabei unverblümt weiter. Multitaskingtalent. Ich werf den Motor an und es bildet sich eine Gasse in Fahrtrichtung, so dass ich das Gefühl hab, der rote Teppich wird vor mir ausgerollt. Aber die Richtung stimmt nicht, ich hab ja noch das Rendevouz mit Shiva und muss wenden. Was für ein herrlicher Moment: Ich deute mit einer anscheinend magischen Handbewegung meinen Wendekreis an und wie durch eine Choreografie festgelegt schließt sich die Menge vor mir, andere weichen zur Seite und eine neue Gasse bildet sich, durch die ich hocherhobenen Helmes, die Bremshand zu einem lockeren Gruß gereckt durch ein winkendes Spalier fahre.
Gerettet. Ich schau ein zweites Mal hin und plötzlich wird die Situation lustig. Ich kann lächeln.

ha - das pendent zu dem troll in norwegen
Zu Shiva wird mir wie erwartet der Weg versperrt.
„Just for one foto“, scheint die moderne Zauberformel von: „Sesam öffne dich“ zu sein und der Polizist lässt mich relativ schnell und schmiergeldlos passieren.
Oben am Weg warten meine neuen Freunde, eben noch ´Feindbild No2´ nach den Postkartenjungs. Trotzdem schnapp ich mir einen vermeindlich begnadeten Schnappschussprofi dessen Blick sowas wie Intelligenz vermuten lässt und er schafft es tatsächlich nach einigen Instruktionen meinerseits, wenigen Probeversuchen seinerseits und vielen Lachsalven der nicht betroffenen Knipser andereseits mit meiner Kamera ein Bild zu machen, was nicht den Titel `Kiki und seine Freunde`, sondern `Kiki, die Dicke und Shiva` verdient.
Auf den zweiten Blick, hats geklappt.

Ich hasse die Schlaglöcher und überlege zu wenden. Zurück zu meinem ruhigen Strand. Anderrseits ist mein nächstes Stimmungsüberprüfungsziel Udupi und die Landschaft ist herrlich. Kokosnussplantagen, Flussdelta und zur Krönung weißer Strand und Meer begleiten meinen Blick, sobald ich ihn vom Straßenbelag lösen kann. Die Ortschaften bieten von ärmlichen Hütten bis bunten Schmuckbauten alles, was das Auge verkraften kann und das Fahren wird auf den letzten 50 Kilometern sogar entspannend, da die Straße bis auf einige Baustellen richtig gut wird.
Kurz vor Udipi folge ich einem Schild, was wohl eine Abkürzung darstellt, ich holper über Schotter, durchquere Schlammlöcher und Felsbrocken und lande nach einigen Kilometern schlagartig auf einer sechsspurigen Hauptstraße, deren Hektik und Krach mir den Spaß an der Stadt vergehen lässt. In solchen Momenten liebe ich das allein reisen. Keine Moment lasse ich den Frust aufkommen, der mich jetzt wieder zermürben könnte. Ich frage mich durch, drehe und setzte als neues Etappenziel das 5 km entfernte, im Reiseführer zwar erwähnte aber verrissene Malpe. Dieser Ort liegt immerhin am Meer und ich könnte Udupi je nach Lust und Laune am nächsten Tag nochmal ansteuern.
Und wieder ist es der zweite Blick, der diese beschissene Situation letztendlich herrlich werden lässt.
der nächste morgen am hafen
Ein quirliges und lebhaftes Treiben bestimmt die Atmosphäre. Das Städtchen wirkt sehr authentisch, denn auf den Straßen sind fast ausschließlich Männer, kaum einer spricht Englisch und die Hotelpreise sind nicht verhandelbar. Es scheint hier nicht viele Touristen zu geben und die Wenigen steigen vermutlich in dem Luxusresort einen Kilometer weiter außerhalb ab. Ich finde ein preiswertes Hotel, was den Flair von Monteur-Unterkunft hat. Die Jungs schlurfen über den Gang und ein Lächeln oder Grüßen haben sie nicht gelernt. Vor meiner Tür sammeln sich leere Bier und Whiskeyflaschen was sowohl Schlampigkeit beim Personal, als auch verloddert-rohes Treiben bedeuten kann und mein Bike parkt hinter der Bude zwischen Schutt, Müll und anderen Mopeds.
Ich fühl mich wohl und buche mich direkt für zwei Nächte ein und verschwende aber dennoch einen zweiten Gedanken daran, wo mein Pfefferspray steckt.

Die Zweite Nacht ist für den besseren Blick.




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