Samstag, 1. September 2012

WasiststolZ

Noch am Anstiegsweg zum Camp I

Die Tour auf den Ararat ist der Hammer. Seit vier Wochen keine Bewegung außer den Mopedlenker gegen Wind stemmen, hab ich mich auf mein Hirn verlassen, das sich in Extremsituationen daran erinnert, dass ich sportlich und fit bin. Das hat bisher immer in den Alpen funktioniert und mir letztes Jahr auch immerhin die Besteigung des Toubkal von 4200 m Höhe in Marokko ermöglicht. Da hatte ich auch vier Wochen nichts getan.
Der Ararat ist anders.


Verlegenheit macht frech... Nomadenjungs
mein Zeltplatz auf 4200 m

Camp I - Effes auf 3600m, das Gipfelbier ist noch weit
Sind mir die Teilnehmer anfangs noch zu langsam und ich kann trotz Zigaretten und Bierkonsum während des Aufstiegs noch Liedchen trällern und Unterhaltungen führen, komm ich am letzten Tag an meine Grenzen. Ich schlafe kaum, weil der Wind ununterbrochen tobt, besonders nachts. Das Zelt biegt sich auf meinen Körper und der Lärm dringt durch meine Ohrstöpsel, die sonst 20 Perkussionisten nahezu zum Schweigen bringen können.
Wir stehen um zwei Uhr morgens auf und um drei Uhr wird ab 4200 m Höhe losmarschiert. Die Luft ist dünn, das Thermometer zeigt Null Grad und ich keuche bei jedem Schritt. Ich denke nur an den Toubkal; „Kiki, da bist du ohne Führer ohne Karte und ohne Begleitung rauf. Wenige Momente der Luftknappheit und des Schwindels hast du locker weggesteckt. Du hast am Abend vorher geraucht. Was ist jetzt los?“
Ich hechel wie ein Walross mir drei Tonnen Lebendgewicht, fange an mir Sorgen zu machen wegen dem eisigen Wind, den vereisten Steinen und den Geröllfedern.
Sonnenaufgang gegen 6 Uhr nach drei Stunden Marsch

 Nach zwei Stunden bitte ich um Rast. Ich brauche Nahrung, denn Frühstück um zwei Uhr war nicht mein Ding. Der heiße Tee, dank Stefans Flasche ist eine Wohltat und langsam geht auch endlich die Sonne auf. Aber sie hilft nur den Weg besser zu erkennen, die erhoffte Wärme bleibt noch aus. Kurz darauf werden die Steigeisen angelegt und es geht über Schneefelder weiter, die so vereist sind, das man jeden Schritt heftig in den Grund stemmen muss. Der Wind macht mich wahnsinnig und ich habe keinen Blick für den blauen-rosanen Himmel über dem glitzernden Eis. Zugeschnürt und vermummt gegen den Sturm, wird der Mundschutz der Jacke so fest gegen Mund und Nase gepresst, dass es mühselig ist, das bisschen Sauerstoff hier oben in die Lungen zu ziehen. Würgegriffe können kaum schlimmer sein. Meine Finger sind unbeweglich und taub, trotz der dicken Handschuhe. Eine erste Gruppe kommt uns entgegen, weil sie beschlossen haben, dass der Auftstieg wegen dem Wind unmöglich ist. Na prima - jetzt kommen mir erste Bedenken und das Kopfkino mit Bildern vom Film „Nordwand“ machen die Situation nicht besser. Keine guten psychischen Voraussetzungen.

Dann kommen wir zum Kamm, den wir auf der Spitze überqueren müssen. Es geht zwar nicht rechts und links steil runter, wie ich befürchtet habe, aber der Wind legt zu. Losgerissene Eisstücke, teilweise groß wie Schallplatten flitzen durch die Luft, nutzen den Kamm als Sprungschanze für den Angriff auf uns. Die kalten Geschosse fliegen uns teilweise bis zur Kopfhöhe wie Butterflymesser um die Ohren. Die Dinger tun schon weh, wenn sie unausgewachsen gegen die Beine und Arme schnellen, Was richten die großen Schollen auf Halshöhe an. Der Spuk in meinem Kopf geht weiter. Nur ganz kurz kann ich der Situation etwas Schönes abgewinnen, dass erkläre ich wieder alles zum Wahnsinn. Wir setzten weiter einen Schritt vor und taumeln im gleichen Moment drei zurück. Da kostet Kraft, ich schwöre nie wieder zu rauchen und jeden morgen zu joggen.
Eine zweite Gruppe kommt uns entgegen – aufgegeben.
Ich will nicht mehr. Ich weiß wirklich nicht, was die ganze Scheiße hier oben soll. Ich will meinen Liebsten wiedersehen und meine Reise weiterführen. Wem zum Teufel muss ich hier was beweisen? Fotos machen ist unmöglich, Aussicht genießen aussichtslos und meine Finger spür ich seit Stunden nicht mehr.
Ich äußer meine Gedanken laut. Das kostet Kraft. Innere. Ich geb eigentlich nicht auf.
Thomas will weiter, Stefan schweigt und wir drei einigen uns, dass unser Führer mit uns absteigt und die schon in Sichtweite antrottende nachfolgende Gruppe Thomas mitnimmt. Immerhin sind wir seit drei Tagen gemeinsam aber in zwei Gruppen unterwegs, weil die Schweitzer sich ihren Personal-Guide leisten wollten und auch langsamer gehen.
Eine gute Lösung, so bleibt mir nur der eigen Frust der Aufgabe und nicht das Gefühl für das Scheitern der Anderen verantwortlich zu sein. Stopp: nennen wir es Planänderung statt scheitern.
Aber es kommt anders. Die Schweitzer Gruppe nimmt Thomas mit. Stefan schließt sich zu meiner Verwunderung auch an, obwohl ich seit dem ersten Tag nur quälenden Kampf in seinem Gesicht gesehen habe und ich Stein und Bein geschworen hätte, dass er es nicht packt.
Und ich kann es nicht verknüsen alleine abzusteigen. Trotz dem Hass auf die Situation drehe ich auch um und hole alle wieder ein. So geht das nicht. Ist es Stolz? Selbstachtung? Überwindung? Ich weiß es nicht und ich versteh es auch nicht.
Muss ich auch nicht, denn es ist unglaublich und irgendwas ist anders: Der neue Bergführer nimmt einen etwas anderen Weg, die Schweitzer bilden eine harmonisch Einheit, wir drei Gestalten sind gebeutelt aber Willensstark. Keine Ahnung, aber wir gehen. Der etwas andere Weg nimmt dem Wind die massive Kraft, so das man wie in Trance Schritt um Schritt laufen kann, ohne permanent zurückgeworfen zu werden. Ich folge den ersten Beiden, denn sie gehen mein Tempo, der Rhythmus stimmt, die Harmonie birgt Ruhe, durch meinen Kopf summen meditative Klänge, ich bin am Ende, aber es läuft. Nicht ich – irgendetwas läuft.
5165 m
Und irgendwann seh ich eine kleine Fahne. Soll diese lächerliche kleine zerfledderte Ding in der Schneewüste das Gipfelkreuz sein? Dafür der Kampf?
Nein. Dafür gekämpft, dass ich wirklich oben angekommen bin. Stolz recke ich den Arm in den Sturm während ich mit der anderen die Fahne umfasse. Irgendjemand fotografiert. Es wird sich gratuliert.
Aber irgendetwas ist falsch - ich bin nicht stolz.
Ich hab nicht das Gefühl wie auf dem Toubkal, den ich allein ohne Bergführer und Karte bezwungen hab. Nicht so hoch, nicht so kalt, nicht so berühmt nicht so spektakulär. Aber da war ich mit mir da. Und jetzt fehlt irgendwas.
Tage später kann ich es fassen.

Tage später liege ich an dem spiegelglatten wunderschönen Balik Gülü, einem Bergsee, von dem so viele geschwärmt haben, in der Nähe des Ararat. Lächerliche 2200 m hoch, winzige 70 km vom Campingplatz entfernt, unspektakulär mit dem Moped hingefahren umgeben von ruhigen, sanften Bergen, die eher zum Sonntagsspaziergang statt zm Abenteuer einladen, in der warmen Sonne.
Rike - bei dem Bild muss ich an deine Worte denken
Und doch bin ich glücklicher als auf dem Gipfel des monströsen Nachbarberges, der mit seiner schneebedeckten Spitze immer noch über die Weite grüßt. Ich sitze am See, picknicke Brot mit Suçuç und Tomate, schaue in die ferne, nehme die Stille in mir auf und langsam versteh ich warum ich jetzt ein Gefühl von Stolz habe: Ich hab es allein gemacht – war nicht fremdbestimmt.
Ich hab mich durchgefragt, wie der See heißt und wo er liegt. Ich bin alleine hingefahren, nach 20 km von der Straße ab und über Asphalt, der seinen Namen nicht verdient, durch Baustellen, die kein Ende versprachen, durch Dörfer, die nach Ende aussahen,

 Wege, die Highways für Ziegen aber nicht für Mopeds sind und Auffahrten, in denen mir schlagartig bewusst wird, dass ich ohne Schutzkleidung unterwegs bin, immer der Nase nach und immer wieder gefragt. - Ich hatte niemanden der mir den Abmarschtermin für den nächsten Morgen nennt, der die Route kennt und der mich führt, der mir ein Lunchpaket schmiert, der die mobile Küche vor Ort aufbaut und der sagen kann, was hinter der nächsten Kurve kommt.

Ich habe mit zahnlosen Frauen geflirtet und mit jungen Burschen auf dem Pferd Fische bestaunt. Ich habe mit einem Hirten Fotos gemacht und mit den Einwohnern eines ganzes Dorf, was wohl vom Scheiße-dörren lebt, gelacht.

 
  Ich hatte niemanden, der den organisierte Chai-trink-stopp im Nomadendorf bei seiner Mutter ankündigt, in dem letztendlich alle zahlenden Touristengruppen abgeladen werden. Alle bekommen ihren Chai serviert, dürfen auch gerne mal ein Foto schießen und insgeheim wird von Mama-Nomade doch ein aussagekräftiges Bakshish für die gespielte Gastfreundschaft erwartet wird.
Ich hab die Gesichter gesehn...


Nicht falsch verstehen, ich habe jede Minute der Ararat-Tour genossen, aber Glück oder Stolz  wird für mich aus einer anderen Quelle genährt.

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