Samstag, 1. September 2012

CampenamstranD

Strand in Nowshahar
Der Iraner an sich ist Zeltfetischist. Das ist nicht an der Kleidung zu erkennen - da sind die Pakistanis besser, sondern eher daran, dass er immer und überall zeltet. 
In Tabriz eskalierte die Situation wohl, weil drei Tage zuvor ein heftiges Erdbeben der Region 250 Tote beschehrte und zwei Stunden vor unserer Ankunft ein weiteres Beben die Menschen in Angst versetzten. Die Stadt war übersäht mit Wurfzelten, weil Zelte in dem Moment mehr Schutz als Häuser boten.
der Morgen danach
Aber trotz alledem, sonst bieten sie Lebensqualität und sie stehen überall im Land - unterschieden nur durch die Farbe: auf nahezu jedem Stückchen Grünfläche, auf dem Seitenstreifen einer Autostraße, auf dem Gehweg einer Stadt, in einer Haltebucht an der Ladstraße, in einer Lücke zwischen zwei parkenden Autos. Es wird gezeltet. Wild. Bei uns unvorstellbr.
Wahrscheinlich hat die Regierung irgendwann, um dies im Zaum zu halten, „Campingplätze“ errichtet, die großflächig, kostenfrei und mit Sanitären Anlagen versehen ist. In meinen Augen ein Stück Freiheit, die es bei uns nicht gibt.

Außerdem ist der Iraner an sich Nachtaktiv.

Strand um dreiundzwanzig Uhr in Nowshahar. Stefan schläft schon lange.

Rechts neben mir wir Volleyball gespielt. Die Kleine hat ihr Kopftuch abgelegt und schmettert die Bälle kraftvoll ihrem Dad um die Ohren. Zwei Meter links neben mir, ist die Gebetsstunde zu Ende, der Grillduft hängt noch in der Luft und die Familie speist, während die Kleinen munter brabbeln. Hinter mir ist die Kohle der Shisha jetzt genügend angewirbelt, der angenehme Duft mischt sich zum Fleisch von nebenan und die Jungs sitzen gemütlich schmauchend drumrum. Eine neue Gruppe Menschen läuft bepackt mit Samowar und Wasserpfeife an mir vorbei und sucht noch ein Plätzchen.
Permanent knattert ein Moped oben an der Straße vorbei, die Autos stauen sich und parken mittlerweile in zweiter Reihe, ohne sich daran zu stören, dass irgend jemand möglicherweise nicht ausparken könnte. Das scheint auch niemanden in irgend einer Weise zu interessieren, wahrscheinlich sind alle morgen noch da. Der Bürgersteig zwischen Straße und Strand ist in Millimeterarbeit mit aneinandergereihten Wurfzelten bestückt. 
Hier sind die Iraner den Franzosen haushoch überlegen, denn scheint es in Frankreich nur eine Outdoomarke zu geben, so scheint es her nur eine Zeltart zu geben. So vermindert man Neid und so fallen die zwei exotischen Behausungen von Stefan und mir sofort ins Auge. Außerdem scheinen die Iraner nicht nur auf dem Autos Perfektionisten im Packen und stapeln zu sein. Tetrismäßig wird jede noch so kleine Lücke, wie bis eben noch neben Stefans Zelt, sofort mit dem Teppich von neuen Nachtschwärmern gefüllt.

Die Familie, die sich neben Stefan einquartiert hat, erwischte mich eben am Moped, als ich ein Objektiv rausfischen wollte. Ich hatte lange überlegt (mindestens so lange, wie kurz vorher, ob ich wirklich komplett bekleidet schwimmen gehen sollte) ob ich mein Stativ zum Fotografieren wirklich auspacken sollte. Der Mann hielt sich fassungslos den Kopf, als er erfuhr, dass ich aus Deutschland bin, zerrte direkt seine ganze weibliche Sippe aus dem Auto, stellte mich vor und machte Fotos. Und obwohl wir uns nicht, aber auch gar nicht verständigen konnten, war es mir unmöglich ein Bild mit dem bereits aufgebautem Stativ zu machen, weil fünf Frauen, samt ihm um mich herumstanden, redeten, lächelten und wenn dann auch wirklich nichts mehr zu besprechen war auf die Einstellungen auf meinem Display schauten. Die Situation rettete dann auch nicht der herbeigerufene Shisharaucher von Stefans anderer Zeltseite, der zwar drei Worte englisch sprach, aber eben nicht die nötigen.

Grillstände am Strand
Überall steigt Grillrauch zum Himmel, überall sitzen Gruppen von friedlichen Menschen, spielen Kinder Ball oder flitschen leuchtende Ringe in die Luft, Menschen scherzen, lachen, quatschen, ich versteh nix fühl mich aber trotzdem wohl. Ringsherum am Strand stehen Zelte, wirbelnde Shishakohle bringt Straßenkünstlerathmosphäe und, von Zeit zu Zeit jagt ein Moped über den Strand - Zack – ein Ball gegen mein Zelt. Die Kinder suchen ihn, wuseln um mein Zelt und das vielleicht 10-jährige Mädchen sagt freundlich „I´m sorry“. Wir suchen den Ball, bis es von schräg gegenüber tönt: „Inside. inside“
Im Meer tummeln sich immer noch Badende. Männer natürlich halbnackt und Frauen völlig bekleidet. Mein Versuch eben auch schwimmen zu gehen, ließ mich nur sehnsüchtig an mein letztes nackt baden in Van denken sondern es führte auch dazu, dass mein Zelt von der nassen Garderobe unter Wasser steht und die Jeans morgen bestimmt immer noch zwei Kilo Nassgewicht hat. Ein Blick verrät, dass jetzt Wellen aufgekommen sind, der Spaß würde sich also jetzt potenzieren aber der Gedanke an den Aufwand lohnt das Vergnügen nicht. Das ist echte Scheiße an dem Land.
Der fast englischspechende Shisharucherkommt vorbei und drückt mir einen Zettel mit seiner Telefonnummer in die Hand und erklärt ganz selbstverständlich, dass er in Kashan wohnt, und dass wir ihn unbedingt besuchen sollen, wenn wir dort vorbeikommen. Um die Einladung zu untermauern hat er seinen Bruder im Schlepptau, der etwas besser Englisch spricht und der drückt mir unverzüglich und noch ehe ich noch irgendwas sagen kann sein Handy ans Ohr, damit ich mit seiner Schwester in Kashan reden kann. Ich bin platt. Die fackelt auch nicht lange rum, diktiert mir auch noch ihre Nummer, lässt sie profimäßig von mir wiederholen und beendet das Gespräch mit den Worten: „See you tomorrow. I wait for you“. Die Jungs von gegenüber bekommen mit, das ich aus Deutschland bin, kommen kurz rüber, stellen sich vor, wünschen alles Gute und gehen wieder.

Woher kommt diese Gastfreundschaft, diese respektvolle Nähe, denn keiner hat mir jemals das Gefühl gegeben aufdringlich zu sein. Auch die Brüder verabschieden sich freundlich und verschwinden, kein langes Gerede, so das es mich all zu lange beim Tippen stören könnte.

Ich erinner mich an die Horde gutsituierter Mittzwanziger, die mit ihren fetten Autos heute nachmittag vor mir parkten, als Stefan kurz Cola holte. Ich lag träumend im Gras, als die acht Frauen und Männer plötzlich um mich standen, mein Moped fotografierten und auf mich einedeten. Mein Hirn signalisierte Gefahr, was es aber nicht war, sondern nur freundliche Neugier, denn nach einem ausgiebigen Fotoshooting mit jedem und jeder mal, fuhren sie von dannen.
Und genauso die andere Nobelkarosse, die neben hielt während die Insassen fröhlich winkten und den Daumen hoch hielten, und dann ein Stück weiter parkte. Normalerweise wird einem dann mulmig. Wir aber denken uns nichts dabei und auf einmal kommt ein älterer Herr in weißem Hemd zu uns und schenkt uns eine Tüte mit gebrannten Mandeln, gratuliert uns zu dem Trip und verschwindet wieder.
Oder der Melonenverkäufer, der an einem Parkplatz in den Bergen neben uns hält, uns die besten Weintrauben mit einem zahnlosen Lächeln und mehren wohlwollendem Kopfnicken in die Hand drückt, seinen Kleinlaster wieder startet und verschwindet.
Oder das Päärchen an der Tanke, wo wir uns extra um die Ecke stellen, um in Ruhe nur eine Cola zu trinken. Sie fahren an uns vorbei, grüßen, halten, wollen ein Foto machen und schenken uns Gebäck... und dann hält auch schon der Nächste, der uns zwar nichts schenkt, aber uns im astreinen Englisch eine Potenzierung der türkische Wegbeschreibung liefert, nach der wir überhaupt nicht gefragt hatten.

Das gibt’s doch nicht. Kaum hat die Gebetsfamilie neben mir ihr Geraffel zusammengepackt, steht das nächste Zelt mit Kleinfamilie da. Mittlerweile ist es Mitternacht, aber der Kocher wird angeschmissen und der Grill wieder angeheizt und das Arrangement von Basmatiduft und Kebap weckt mein Hungergefühl empfindlich.




Die Kehrseite der Medallie: Abgetrennter  Frauenereich      
Ein Gedanke an Hamburg schwirrt mir durch den Kopf. Als ich dort an einem lauen Frühlingstag mit Ben und Davy um die Alster fuhr trafen wir einen Iraner. Er saß mutterseelenallein am See, inmitten von Bergen an Essen, hatte sich seinen Grill angeschmissen, aß, trank und genoss die Sonne. Es lud uns zum essen ein und erzählte, dass er sein Land vermisse. Jetzt, wo ich hier sitze, inmitten der grillenden Familien, kann ich seine Einladung verstehen und auch in bisschen seine Sehnsucht.

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