Samstag, 22. September 2012

AmritsaR - HeiligertempeL

Links neben mir auf dem Boden sitzt eine spindeldürre alte Frau in dreckiggrünen Mustern und betrachtet mich seit ich hier sitze. Zwischendurch hat sie nur mal ihre Position so gewechselt, dass sie besser auf den Bildschirm schauen kann.
Aus den Lautsprechern~klingen meditative Gesänge eines wichtigen Yogis zu fremdartig aber angenehm klingenden Percussions. Einen Tic zu laut. Aber eben nur so viel zu laut, das die Stimmen der tausenden Besucher darin untergehen und man nicht das Gefühl hat, selbst in der Menge unter zu gehen. Der Gesang ist den ganzen Tag zu hören, ich kann fast mitsingen. Aber irgendwie verschafft es dem Ort eine friedliche Stimmung. Ich fühl mich an diesem heiligen Ort so richtig wohl.
In der Mitte des heiligen Sees, rechteckig im Zentrum der Anlage steht der goldene Tempel. Durch einen Steg mit dem Innenhof verbunden. Heute ist Wochenende und es ist voll. Menschenmengen wälzen sich im Uhrzeigersinn auf dem weißen Marmor und mit nackten Füßen um das heilige Wasser, die Schlange in den goldenen Tempel ist unendlich. Alle wollen das Buch sehen, was die Rolle des Guru übernommen hat, seit es keinen würdigen Nachfolger mehr gegeben hat.
Immer wieder sinken Gläubige zum Boden und erweisen dem heiligen Ort ihre Demut oder sie stoppen an einem der Gedenkorte, Schreine oder meditierenden Gurus am Weg um den Tempel.
Rechts neben mich hat sich ein pensionierter Guru gestellt. Das weiße kurze Hemd schimmert mittlerweile dunkelgelb, genau wie meine Hose, die ich seit Tagen trage, nackte dürre O-Beine sind ab den Oberschenkeln abwärts zu bestaunen, nackte Füße hat hier jeder. Er schaut von oben auf meinen Bildschirm und kratzt sich voll Wollust mit der linken Hand in der Kimme. Ich schaue langsam zu ihm auf, sortiere meine Gefühle zwischen erstaunt und entsetzt darüber ein, wie viel Nacktheit ich zu sehen bekomme, obwohl ich gar nicht will und lasse meinen Blick künstlich gelassen zu seinen Auge gleiten. Sein Gesicht verzieht sich zu keiner Regung er schaut nur zurück und kratzt weiter. Ein Freund kommt hinzu. Mit der rechten Hand tätschelt er denselben zur Begrüßung, die Linke weiß derweil, was sie z tun hat.
Eine Schulklasse kommt und verdrängt den Meister des Arschritzenballets. Brav setzen sich alle mit verschränkten Beinen neben mich. Alle, bis auf eine Rebellin, der man ihre Lebenshaltung dank der Schuluniform gar nicht ansieht. Sie streckt die Beine aus und wird sofort ermahnt.
„Fold our legs!“, wurde ich eben auch schon angebrült, als ich für kurze Zeit meine verschränkten Beine ausgestreckt habe. Himmelarsch, der Marmorboden ist auf Dauer echt hart an den Knöcheln und meine Knie sind auch nicht mehr die jüngsten. „Fold your legs!!!“, anscheinend war ich dem Mister zu langsam, denn ich wurde noch lauter angebrüllt und gehorchte posthum dem Vertreter dieser sanftmütigen und gütigen Glaubensrichtung.
Nein, auch der Lehrer ist weder sanftmütig noch gütig, sogar die in die gleiche Richtung angewinkelten Beine stellen ihn nicht zufrieden. Die Füße, das dreckigste Körperteil dem Heiligen Ort entgegen zu strecken ist eine Beleidigung. Desshalb darf man auch die die Füße auf einen Stuhl oder im Bahnabteil auf den gegenüberliegenden Sitz legen, denn es ist eine Beleidigung dem Gegenüber. Die Schülerin setzt sich ordnungsgemäß hin. Unsere Blicke begegnen sich, ein kurzes Zucken der Lider und der Schulter und ich kann ihr ein Lächeln entlocken. Wir haben uns verstanden.
Links neben mir wird frei, nachdem die Frau mit ihrem Mann gestritten hat. Sofort lässt sich eine Familie neben mir nieder. Die Tante legt sich zum schlafen und ich überlege noch, ob ich ihr meinen Oberschenkel als Kissen anbieten soll, da schlummert sie schon. Pünktlich zum Gebet. Der Gesang verändert sich, die Menschen bleiben stehen und legen die Hände aneinander und es wird still bis auf die Stimme aus dem Lautsprecher. Fünf Minuten, dann lockert sich die Situation wieder und die Masse bewegt sich weiter im Uhrzeigersinn über den Marmorboden.

Javi kommt, wir verstauen sein Gepäck im Schlafraum, in dem jeder Tourist gratis übernachten kann und gehen zum Essen, was jedem Besucher gratis offeriert wird.

Hier betritt man ein voll durchorganisiertes Mega-Cateringsystem. Wir gehen eine Treppe hoch, an rechts und links riesige Wagen mit Metallgeschirr stehen. Schon vor Betreten der Treppe bekommen wir einen runden Teller mit unterteilen Fächern in die Hand gedrückt, drei Schritte weiter eine Schüssel in die andere und oben an der Treppe stehen Frauen und klemmen uns einen Löffel unter einen noch freien Finger. Bevor man überlegt wo es lang geht, denn gegessen wird in riesigen Räumen auf mindestens zwei Etagen, winkt uns ein mürrischer Kerl auf die linke Seite, wo schon eine Menschenmenge wartet. 
Just in dem Moment öffnet sich die riesige Tür zum Saal. Dunkler Marmorboden, auf dem quer durch den Raum lange Bastmatten liegen. Auf denen wird Knie an Knie und Rücken an Rücken Platz genommen. Es beginnt ein Schieben und Drängeln, als gäb´s was umsonst und obwohl der Raum bestimmt 1000 Leute fasst und wir schnell drin sind und Platzanweiser darauf achten, dass nahtlos aufgefüllt und zeitnah Platz genommen wird, bekommen wir nur einen der letzten Plätze am Rand einer Baustelle in kleinen Pfützen. 

Nicht Nachdenken, keine Zeit, schon kommt der erste „Kellner“ mit weißem Turban und gießt uns Wasser aus einem mit einem Teller verschlossenen und einer Hülse angeklebten Öffnung in die Schalen. Er trifft schon ganz gut, mehr als die Hälfte landet tatsächlich in der Schale und im Wasser sitzen wir eh schon.
Nicht Nachdenken, Teller nicht bewegen, ein Schlag Milchreis mit Kokosstückchen klatscht auf den Teller, etwas dünnflüssig für meinen Geschmack, aber das lässt sich hinterher besser vom Boden wischen, denn auch hier landet nicht alles im Teller. Der junge Kerl muss entweder noch üben oder an seiner Laune arbeiten, denn seine schlabberige Ladung Nahrung landet bei Javier zum Großteil in seiner Wasserschale und bei mir auf dem Boden.
Ich habe kurz Zeit darüber nachzudenken, dass dies gestern der Nachtisch war, wunder mich über die Reihenfolge, aber da landet der nächste Schlag Breinahrung neben dem Milchreis. Currylinsen und ich lächel innerlich: Scheiß auf die verdrehte Reihenfolge; ich liebe scharf mit süß kombiniert und schubse weißen Brei über die Trennwulst auf dem Teller in grünen Brei schlabber die Babynahrung. Werde ich wegen meiner Mixtur beobachtet? Wahrscheinlich nicht, denn hier werde wir eh permanent beobachtet.
Aaaachtung. Neben mir fliegen die ersten Brote wie Frisbeescheiben im Sinkflug in die geöffneten Hände der Gourmets. Zack. Der Fladen landet platschend in meiner Hand, wie ein Kenner zerreiße ich es fachmännisch, benutze die Stücke als Löffel und beschließe, dass dieses Brot zwar verführerich warm ist, aber leider nicht schmeckt. Und wenn ich schon permanent zunehme, dann nicht von diesem leider gescmacklosen losen Brot. Bei Javier landet jetzt endlich der passende Reis, nachdem die dazugehörigen Linsen verputzt sind. Ich verzichte und nehme lieber nochmal die scharfen Linsen nach und...
... stress kommt auf... nicht denken, sondern essen.
Das Zeitfenster für die Nahrungsaufnahme scheint beendet zu sein Druck wird aufgebaut. Die vordersten Reihen erheben sich schon und strömen mit leerem Geschirr in der Hand dem Ausgang zu. Die nächsten Hungrigen warten. Der Druck wird vrstärkt: schon klatscht reinigendes Wasser zwischen die Stoffreihen um mit einem 2m breiten Abzieher werden die Kleckerspuren der Gäste und des Personals zu beseitigen. Das System funktioniert. Auch in unserer Reihe wird geschlungen, aufgestanden und geputzt. Schnell, die nächste Fuhre drängt schon rein und füllt systematisch die ersten Reihen. Fließbandarbeit wurde hier erfunden und im laufe er Jahre perfektioniert.

die Stomp-crew von morgen
dRaußen geht das Ühänomen weiter: In zwei Reihen wird uns draußen dann da Geschirr abgenommen und der Weg der dreckigen Teller zum Spülplatz, an dem bestimmt Einhundert Helfer an mehreren Becken die Teller und Schüsseln waschen ist mein „personal Highlight“. Es ist laut es ist dreckig und es ist hektisch, aber irgend wie ist das wie mit sex&drugs&rock´n´roll. Eine herrliche Kombination.
Die heiligen Gesänge des Tempels sind laut genug um sie hier noch gut zu hören, sie mischen sich mit dem permaneten Klappern und Brabbeln der Tellerwäscher. Der Beat aber, das rythmischen Herz liegt bei den tellerwerfenden Jungs. Sie fangen die Teller auf, schlagen sie zweimal heftig gegen eine Metallwanne aus, befreien sie dadurch von Essensresten und werfen ihn dann in die nächste Metallwanne. Boom Boom Klatsch, Boom Boom Klatsch geht der Herzschlag der Zeremonie wie bei Queens „We will Rock You“ und von Zeit zu Zeit wird mit einem Tßschhhhhhh, die volle Wanne weggzogen und eine neue hingestellt ohne den Rhythmus zu stören. Wenn die Idee zu Stomp irgendwo in der Realität ihre Wurzeln hat, dann hier.

Wir wollen rauchen nach dem Essen, aber auch das ist anders in Amritsar. Hier herrscht Rauchverbot ÜBERALL. Was regen sich Kneipenbesitzer und Kettenraucher in Deutschland eigentlich über das lächerliche Nichtraucher-Schutz-Gesetz auf. Und warum hab ich in Pakistan noch zehn Packungen gekauft?
Wir verlassen die Tempel-Area und schleichen wie Verbrecher in immer kleiner Gassen. Mein erster Versuch gestern vor den Toren des Tempels eine Zigarette anzumachen endet im panischen Entsetzen eines Wächters. Als würde Satan leibhaftig hinter mir stehen und tötliches Gift durch die Berührung der Zigarette versprühen, riss der Tempelwächter mir gegenüber die Augen weit auf, wedelte aufgeregt mit den Armen, signalisierte mit jeder Pore seines Körpers, dass ich die Zigarette vernichten soll und schickte ein Kind, was an seiner Seite stand mit einem Becher Wasser zu mir, damit ich sofort meine Hände waschen und den Mund neutralisieren kann.
Ähnlich ist es jetzt. Wir werden immer weiter weggeschickt. Jeder winkt uns mit einer Handbewegung einige hundert Meter weiter, bis wir endlich entnervt in einer klitzekleinen Gasse landen. Hier sind einige Mopeds an der Seite geparkt und die Gasse macht einen Knick, so dass man uns nur sieht, wenn man von einer Seite kommend direkt an uns vorbei geht. Wir hocken uns hin und fühlen uns nun tatsächlich wie Teenager, die auf dem Schulhof heimlich rauchen und Angst haben vom Lehrer erwischt u werden. Wir haben Glück, sogar die zwei Vorbeigehenden verhalten sich wie verbündete Oberstufenschüler, sie zwinkern uns zwar nicht gönnerhaft zu (diese Rewungen nehmen seit Pakistan permaent ab), aber sie tun wenigstens so, als würden sie es nicht bemerken.
Javier und ich erklären diesen Ort als unsere persönliche Raucherecke. Nur sieben Minuten vom Hotel und man spart sich das peinliche Schmöken auf dem Klo. Bisher haben wir sie nicht wieder gefunden, dafür aber andere Raucherecen.

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