Links neben mir auf dem
Boden sitzt eine spindeldürre alte Frau in dreckiggrünen Mustern
und betrachtet mich seit ich hier sitze. Zwischendurch hat sie nur
mal ihre Position so gewechselt, dass sie besser auf den Bildschirm
schauen kann.
Aus den Lautsprechern~klingen meditative Gesänge eines wichtigen Yogis zu fremdartig aber
angenehm klingenden Percussions. Einen Tic zu laut. Aber eben nur so
viel zu laut, das die Stimmen der tausenden Besucher darin untergehen
und man nicht das Gefühl hat, selbst in der Menge unter zu gehen.
Der Gesang ist den ganzen Tag zu hören, ich kann fast mitsingen.
Aber irgendwie verschafft es dem Ort eine friedliche Stimmung. Ich
fühl mich an diesem heiligen Ort so richtig wohl.
In der Mitte des heiligen
Sees, rechteckig im Zentrum der Anlage steht der goldene Tempel.
Durch einen Steg mit dem Innenhof verbunden. Heute ist Wochenende und
es ist voll. Menschenmengen wälzen sich im Uhrzeigersinn auf dem
weißen Marmor und mit nackten Füßen um das heilige Wasser, die
Schlange in den goldenen Tempel ist unendlich. Alle wollen das Buch
sehen, was die Rolle des Guru übernommen hat, seit es keinen
würdigen Nachfolger mehr gegeben hat.
Immer wieder sinken
Gläubige zum Boden und erweisen dem heiligen Ort ihre Demut oder sie
stoppen an einem der Gedenkorte, Schreine oder meditierenden Gurus am
Weg um den Tempel.
Rechts neben mich hat
sich ein pensionierter Guru gestellt. Das weiße kurze Hemd schimmert
mittlerweile dunkelgelb, genau wie meine Hose, die ich seit Tagen
trage, nackte dürre O-Beine sind ab den Oberschenkeln abwärts zu
bestaunen, nackte Füße hat hier jeder. Er schaut von oben auf
meinen Bildschirm und kratzt sich voll Wollust mit der linken Hand in
der Kimme. Ich schaue langsam zu ihm auf, sortiere meine Gefühle
zwischen erstaunt und entsetzt darüber ein, wie viel Nacktheit ich
zu sehen bekomme, obwohl ich gar nicht will und lasse meinen Blick
künstlich gelassen zu seinen Auge gleiten. Sein Gesicht verzieht
sich zu keiner Regung er schaut nur zurück und kratzt weiter. Ein
Freund kommt hinzu. Mit der rechten Hand tätschelt er denselben zur
Begrüßung, die Linke weiß derweil, was sie z tun hat.
Eine Schulklasse kommt
und verdrängt den Meister des Arschritzenballets. Brav setzen sich
alle mit verschränkten Beinen neben mich. Alle, bis auf eine
Rebellin, der man ihre Lebenshaltung dank der Schuluniform gar nicht
ansieht. Sie streckt die Beine aus und wird sofort ermahnt.
„Fold our legs!“,
wurde ich eben auch schon angebrült, als ich für kurze Zeit meine
verschränkten Beine ausgestreckt habe. Himmelarsch, der Marmorboden
ist auf Dauer echt hart an den Knöcheln und meine Knie sind auch
nicht mehr die jüngsten. „Fold your legs!!!“, anscheinend war
ich dem Mister zu langsam, denn ich wurde noch lauter angebrüllt und
gehorchte posthum dem Vertreter dieser sanftmütigen und gütigen
Glaubensrichtung.
Nein, auch der Lehrer ist
weder sanftmütig noch gütig, sogar die in die gleiche Richtung
angewinkelten Beine stellen ihn nicht zufrieden. Die Füße, das
dreckigste Körperteil dem Heiligen Ort entgegen zu strecken ist eine
Beleidigung. Desshalb darf man auch die die Füße auf einen Stuhl
oder im Bahnabteil auf den gegenüberliegenden Sitz legen, denn es
ist eine Beleidigung dem Gegenüber. Die Schülerin setzt sich
ordnungsgemäß hin. Unsere Blicke begegnen sich, ein kurzes Zucken
der Lider und der Schulter und ich kann ihr ein Lächeln entlocken.
Wir haben uns verstanden.
Links neben mir wird
frei, nachdem die Frau mit ihrem Mann gestritten hat. Sofort lässt
sich eine Familie neben mir nieder. Die Tante legt sich zum schlafen
und ich überlege noch, ob ich ihr meinen Oberschenkel als Kissen
anbieten soll, da schlummert sie schon. Pünktlich zum Gebet. Der
Gesang verändert sich, die Menschen bleiben stehen und legen die
Hände aneinander und es wird still bis auf die Stimme aus dem
Lautsprecher. Fünf Minuten, dann lockert sich die Situation wieder
und die Masse bewegt sich weiter im Uhrzeigersinn über den
Marmorboden.
Javi kommt, wir verstauen
sein Gepäck im Schlafraum, in dem jeder Tourist gratis übernachten
kann und gehen zum Essen, was jedem Besucher gratis offeriert wird.
Hier betritt man ein voll
durchorganisiertes Mega-Cateringsystem. Wir gehen eine Treppe hoch,
an rechts und links riesige Wagen mit Metallgeschirr stehen. Schon
vor Betreten der Treppe bekommen wir einen runden Teller mit
unterteilen Fächern in die Hand gedrückt, drei Schritte weiter eine
Schüssel in die andere und oben an der Treppe stehen Frauen und
klemmen uns einen Löffel unter einen noch freien Finger. Bevor man
überlegt wo es lang geht, denn gegessen wird in riesigen Räumen auf
mindestens zwei Etagen, winkt uns ein mürrischer Kerl auf die linke
Seite, wo schon eine Menschenmenge wartet.
Just in dem Moment öffnet
sich die riesige Tür zum Saal. Dunkler Marmorboden, auf dem quer
durch den Raum lange Bastmatten liegen. Auf denen wird Knie an Knie
und Rücken an Rücken Platz genommen. Es beginnt ein Schieben und
Drängeln, als gäb´s was umsonst und obwohl der Raum bestimmt 1000
Leute fasst und wir schnell drin sind und Platzanweiser darauf
achten, dass nahtlos aufgefüllt und zeitnah Platz genommen wird,
bekommen wir nur einen der letzten Plätze am Rand einer Baustelle in
kleinen Pfützen.
Nicht Nachdenken, keine
Zeit, schon kommt der erste „Kellner“ mit weißem Turban und
gießt uns Wasser aus einem mit einem Teller verschlossenen und einer
Hülse angeklebten Öffnung in die Schalen. Er trifft schon ganz gut,
mehr als die Hälfte landet tatsächlich in der Schale und im Wasser
sitzen wir eh schon.
Nicht Nachdenken, Teller
nicht bewegen, ein Schlag Milchreis mit Kokosstückchen klatscht auf
den Teller, etwas dünnflüssig für meinen Geschmack, aber das lässt
sich hinterher besser vom Boden wischen, denn auch hier landet nicht
alles im Teller. Der junge Kerl muss entweder noch üben oder an
seiner Laune arbeiten, denn seine schlabberige Ladung Nahrung landet
bei Javier zum Großteil in seiner Wasserschale und bei mir auf dem
Boden.
Ich habe kurz Zeit
darüber nachzudenken, dass dies gestern der Nachtisch war, wunder
mich über die Reihenfolge, aber da landet der nächste Schlag Breinahrung neben dem Milchreis. Currylinsen und ich lächel innerlich: Scheiß auf die verdrehte Reihenfolge; ich
liebe scharf mit süß kombiniert und schubse weißen Brei über die
Trennwulst auf dem Teller in grünen Brei schlabber die Babynahrung.
Werde ich wegen meiner Mixtur beobachtet? Wahrscheinlich nicht, denn
hier werde wir eh permanent beobachtet.
Aaaachtung. Neben mir
fliegen die ersten Brote wie Frisbeescheiben im Sinkflug in die
geöffneten Hände der Gourmets. Zack. Der Fladen landet platschend
in meiner Hand, wie ein Kenner zerreiße ich es fachmännisch,
benutze die Stücke als Löffel und beschließe, dass dieses Brot
zwar verführerich warm ist, aber leider nicht schmeckt. Und wenn ich
schon permanent zunehme, dann nicht von diesem leider gescmacklosen losen Brot.
Bei Javier landet jetzt endlich der passende Reis, nachdem die
dazugehörigen Linsen verputzt sind. Ich verzichte und nehme lieber
nochmal die scharfen Linsen nach und...
... stress kommt auf... nicht denken, sondern
essen.
Das Zeitfenster für die
Nahrungsaufnahme scheint beendet zu sein Druck wird aufgebaut. Die vordersten Reihen
erheben sich schon und strömen mit leerem Geschirr in der Hand dem
Ausgang zu. Die nächsten Hungrigen warten. Der Druck wird vrstärkt:
schon klatscht reinigendes Wasser zwischen die Stoffreihen um mit
einem 2m breiten Abzieher werden die Kleckerspuren der Gäste und des
Personals zu beseitigen. Das System funktioniert. Auch in unserer
Reihe wird geschlungen, aufgestanden und geputzt. Schnell, die
nächste Fuhre drängt schon rein und füllt systematisch die ersten
Reihen. Fließbandarbeit wurde hier erfunden und im laufe er Jahre perfektioniert.
die Stomp-crew von morgen |
dRaußen geht das Ühänomen weiter: In zwei Reihen wird uns
draußen dann da Geschirr abgenommen und der Weg der dreckigen Teller
zum Spülplatz, an dem bestimmt Einhundert Helfer an mehreren Becken
die Teller und Schüsseln waschen ist mein „personal Highlight“.
Es ist laut es ist dreckig und es ist hektisch, aber irgend wie ist
das wie mit sex&drugs&rock´n´roll. Eine herrliche
Kombination.
Die heiligen Gesänge des
Tempels sind laut genug um sie hier noch gut zu hören, sie mischen
sich mit dem permaneten Klappern und Brabbeln der Tellerwäscher. Der
Beat aber, das rythmischen Herz liegt bei den tellerwerfenden Jungs.
Sie fangen die Teller auf, schlagen sie zweimal heftig gegen eine
Metallwanne aus, befreien sie dadurch von Essensresten und werfen ihn
dann in die nächste Metallwanne. Boom Boom Klatsch, Boom Boom
Klatsch geht der Herzschlag der Zeremonie wie bei Queens „We will
Rock You“ und von Zeit zu Zeit wird mit einem Tßschhhhhhh, die
volle Wanne weggzogen und eine neue hingestellt ohne den Rhythmus zu
stören. Wenn die Idee zu Stomp irgendwo in der Realität ihre
Wurzeln hat, dann hier.
Wir wollen rauchen nach
dem Essen, aber auch das ist anders in Amritsar. Hier herrscht
Rauchverbot ÜBERALL. Was regen sich Kneipenbesitzer und
Kettenraucher in Deutschland eigentlich über das lächerliche
Nichtraucher-Schutz-Gesetz auf. Und warum hab ich in Pakistan noch
zehn Packungen gekauft?
Wir verlassen die
Tempel-Area und schleichen wie Verbrecher in immer kleiner Gassen.
Mein erster Versuch gestern vor den Toren des Tempels eine Zigarette
anzumachen endet im panischen Entsetzen eines Wächters. Als würde
Satan leibhaftig hinter mir stehen und tötliches Gift durch die
Berührung der Zigarette versprühen, riss der Tempelwächter mir gegenüber die Augen weit auf,
wedelte aufgeregt mit den Armen, signalisierte mit jeder Pore seines
Körpers, dass ich die Zigarette vernichten soll und schickte ein
Kind, was an seiner Seite stand mit einem Becher Wasser zu mir, damit
ich sofort meine Hände waschen und den Mund neutralisieren kann.
Ähnlich ist es jetzt.
Wir werden immer weiter weggeschickt. Jeder winkt uns mit einer
Handbewegung einige hundert Meter weiter, bis wir endlich entnervt in
einer klitzekleinen Gasse landen. Hier sind einige Mopeds an der
Seite geparkt und die Gasse macht einen Knick, so dass man uns nur
sieht, wenn man von einer Seite kommend direkt an uns vorbei geht.
Wir hocken uns hin und fühlen uns nun tatsächlich wie Teenager, die
auf dem Schulhof heimlich rauchen und Angst haben vom Lehrer erwischt
u werden. Wir haben Glück, sogar die zwei Vorbeigehenden verhalten
sich wie verbündete Oberstufenschüler, sie zwinkern uns zwar nicht
gönnerhaft zu (diese Rewungen nehmen seit Pakistan permaent ab),
aber sie tun wenigstens so, als würden sie es nicht bemerken.
Javier und ich erklären
diesen Ort als unsere persönliche Raucherecke. Nur sieben Minuten
vom Hotel und man spart sich das peinliche Schmöken auf dem Klo.
Bisher haben wir sie nicht wieder gefunden, dafür aber andere
Raucherecen.
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