Mittwoch, 30. Januar 2013

MaorI

Der Morgen begrüßt mich mit einer Sms meines Maori-Couchhosters, dass er meine Nachricht grade erst bekommen hat. Dreifach-Anti-Jubel, jetzt spielt auch noch die deutsche Telekom gegen mich und hat das 1:0 geschossen. Er ist untröstlich, läd mich zum Kaffee und zum Duschen ein, aber ich lehne ab, schließlich will ich den 11km-Guten-Morgen-Wandertreck begehen und mit ihm über Kultur und sein Leben reden und nicht nur kurz vorbeischneien. Meine Missmutigkeit hat sich nicht nicht gelegt.

Aber die Dschungelathmoshäre mit gigantischen Farnbäumen, Palmen, Heidekraut und riesigen Grasblüten vertreibt meine miese Stimmung. Auf Schautafeln werden einige Nutzpflanzen der Maori erklärt, was mir endlich einen kleinen Einblick in die fast verlorene Kultur bietet und laufe muter drauflos, picknicke mein Früchstück an einem sonnien Fleckchen und nach einem Coffee to go (das erste, was ich in dem Land sofort lieben gelernt habe - bis auf den Preis natürlich). Die Idee fühlt sich gut an.
Also simse ich mein frisch gefundenes Originalexemplar erneut an und lade mich frech für heute Abend ein.
Er freut sich – und ich auch.
Meine Laune ist prima, ich bewaffne mich mit Optimismus und beschreite den Weg der alten Kultur.
Erst suche ich heiße Quellen. Überall locken gepimpte Bilder und riesige Werbebanner mit Spa-Angeboten aber ich will ungefiltere, kostenlose Ehrlichkeit, also beleibt mir nichts anderes übrig, als dem kleinen Fluss zu folgen. Ha! Ich find sie tatächlich, In der ersten könnte ich Eier im Turbogang kochen – 
120 Grad lese ich später, aber etwas weiter läuft heiße Schwefel Thermalwasser in das kalte Wasser und ich definier dies als Kiki´s Badewanne.
OOOOps... Ich weiche zurück. Schon beim Hineingehen werden meine Füße heiß, weil die Erde glüht.
Aha! Weißes Gestein ist offenbar heiß, ockerfarbenes ist betretbar. Das hätte leider zur Folge, dass ich nur im kalten Wasser liegen könnte, denn da wo es warm wird, ist es so flach, dass ich mir sofort den Arsch verbrenne. 
In mir steigen Vermutungen auf, warum die Leute Eintritt für aufbereitete Badeanstalten zahlen. Aber ich lass mich nicht weichkochen, vielleicht siegt Not über Tugend, also mein Geiz über das Bedürfnis nach Authentizität, aber ich leg mich ins Wasser. Hoppla: ich unterkühl mir meinen Allerwertesten, kratz mir durch die Strömung die Schiebenbeine auf und verbrenn mir die Finger beim Festhalten an dem heißen Gestein. Durchatmen, schade dass keiner ein Foto machen kann und schnell wieder raus. Ich verbrenn mir nochmal die Füße auf weißem Gestein -nicht aufgepasst-, stinke fürchterlich nach hoffentlich sehr gesundem Schwefel und bemerke, dass mein Silberschmuck pechschwarz angelaufen ist. Drauf geschissen - ich war drin!
Anschließend besuche ich Whakarewarewa, die Thermal Village, in der heute noch Maori auf dem heißen Grund leben und die Hitze nicht nur zum Kochen, sondern auch für Heilbäder und als Touristenattraktion nutzen. Natürliche Recaurcen? Ehrlich? Ich hab zwei Anläufe gebraucht um dieses Zurschaustellen mitzumachen. Aber erstens verdienen die Maori auf diese Art seit Einzug der Touris im achtzehnten Jahrhundert ihr Geld, zweitens will ich ja auch was erfahren und drittens will ich die Geysiere sehen. Oh ihr geldgierigen Tourischlepper – Fünfzig Dollar Eintritt für ein paar Spuckede Erdlöcher. Ich beschwer mich darüber spaßeshalber aber auch ehrlich frustriert bei einem Wärter, der mir posthum hinterher geschlichen kommt und hinter vorgehaltener Hand erklärt: „Go to the Thermal village, it´s cheaper, and you see the same.“
Ich schau ihn mit meinem Maoriblick an.
“Not so near, but...“ er verdreht vielversprechend die Augen.
Ich verdrehe auch die Augen und glaube zu verstehen: Gibt’s hier eine Möglichkeit auf Grenzüberschreitung?
Also bummel ich kurz darauf durch das Thermal-Dörfchen, was immerhin ein normales, bewohntes Dorf ist und bereits vor dem Einzug der Europäer entstanden ist und ich bin wirklich begeistert von den brodelnden Quellen und darauf gebauten Öfen. 
Ich zieh mir die liebenswerte Kutlurveranstaltung mit Songs und Tänzen und Mitmachmaorigebrüll rein (gut dass jetzt keiner ein Foto von mir machen kann), schlender bei wieder aufkommendem Regen noch über die kurzen Rundwanderwege und habe permanent das Augenzwinkern des Wächters im Hinterkopf.
Mist der erste Übergang zum Nachbarmuseum ist mit drei Männern besetzt. Schlender-schlender, der zweite sieht gut aus: um den Zaun gewunden, durch Gestrüpp und Gräser, um einen zweiten Zaun an einem kleinen Abhang gehangelt, durch eine Absperrung und ich bin drin. Pfeif ein munter Liedchen - geht doch.
Ein Wächter schaut mich kurz darauf prüfend und grimmig an. Ganz genau spür ich ein schlechtes Gewissen in der Magengegend entstehen, aber bevor es sich breit macht und mir Unsicherheit aus den Augen leuchtet, drück ich ihm meine Kamera in die Hand, lächel freundlich und bitte ihn ein Foto von mir vor den Geysieren zu machen. PUH. Danach lächelt er auch und ich schleich mich von dannen. Leider wurde grad ein Bus neugieriger und zahlender Menschen entladen, die für ihren Eintritt auch das letzte Eckchen begehen müssen. Wie Lemmige ziehen sie zu meinem Geheimübergang und ich muss nun wirklich bummeln, mache überflüssige Fotos um Zeit zu schinden, schau hochinteressiert fürchterlich langweilige Gesteine an und unglaublich..., ich hab das Gefühl die Blödmänner denken glatt hier ist was Spannendes und machen noch langsamer. Aber gut Ding will Weile. Ich schaff meinen Weg zurück und verspeise noch ein Gemüse-Fleisch-Gericht, was wohl in einem der natürlichen Dampfkessel zubereitet worden ist.

Es folgt ein Besuch im alten Badehaus, was als Museum eingerichtet ist weitere Wissenslücken über die Kultur, die Region und die Entstehung des Tourismus schlißet. Ein Nickerchen und anschließender Spaziergang entlang des Rotorua-Sees, den Flüsse mit Sulfat speisen und das Wasser in eine milchg-weiße verwunschene Farbe verwandeln gibt der geschmackosen Kleinstadt einen charismatischen Touch. Überall am Strand brodelt es, wabbert der Matsch in Löchern und das Gestein ist weiß-grün verfärbt.
Um kurz nach sechs steh ich vor der Haustür, seine Tochter holt mich an der Pforte ab und mich empfängt das fröhlichste Lachen, seit ich im Land bin. Er nimmt mich in den Arm, als wären wir alte Freunde, erklärt mich schnell die einzige Hausregel: „My home is your home“, und hält mir eine Flasche Bier entgegen. 

Aaaahhh – kein Problem mit der Regel. Ich fühl mich direkt zu Hause.
Sein Haus ist winzig, und unaufgeräumt. Auf dem Tisch stapeln sich Aktenordner (er ist Richter, da hat man viele Akten), auf der Anrichte zur Küche der Einkauf (er hat vorgesorgt) und Krimskrams. Die abgenutzte orangene Sofaecke dominiert das gesamte Wohnzimmer ein, dass man sich drumherumschlängeln muss und wird nur von dem Flachbildschirm übertoffen. Sowohl das in die Jahre gekommene Mobiliar, als auch abgetretene eine Grundreinigungvertragende Fußboden strahlen eine sympathische Athmosphäre vom Junggesellen aus. Seine Tochter passt in das Bild, sie übt noch das modische Outfit ihren Körperrundungen anzupassen und sie strahlt über das ganze Gesicht. Alles ist gut. Keine falsche Attitüde, einfache Ehrlichkeit.
Schnell stellt er sich drauf ein langsamer zu sprechen, klärt kurz ab, dass ich entweder mit seiner Tochter und der Cousine im Kinderzimmer oder auf der Couch schlafen kann und stellt mich dann vor die Wahl, Gemüse oder Fleisch zu zubereiten. Das geht schnell und er weiß, was er will. Aber ich bin dankbar für diese Offenheit, wir quatschen viel und ich erfahre, dass er zweiundzwanzig Geschwister hat und selber fünf Kinder von vier Frauen. Bei Familienfeiern muss halb Neuseeland zusammenkommen. Er erzählt von einer Maoriinsel, auf der sich üersinnliche Dinge und plötzliche Heilungen ergeben haben, er erklärt, dass kinderlose Ehepaare einfach ein paar Kinder von denen abbegommen, die der Kindersegen heimgesucht hat und er läd mich für den Morgen in eine Maorieigene heiße Quelle ein, in der Touristen verboten sind.
Und endlich endlich eröffnet sich mir ein Bild von einer bestehenden langjährigen Kultur, die auf Spiritualität, Natur und Familie gegründet ist und nicht auf Abziehbildern einer materiellen, westlichen Oberflächlichkeit, die bei der Shoppingmall um die Ecke anfängt, gerade noch für adrenalinpumpende Schwachsinnsactionen stellvertretend als Lebensbeweis, bis zum hauseigenen Elektrogrill reicht.
Als wir mit kochen fertig sind, finden sich plötzlich noch drei weitere Gäste ein, seine Nichte und zwei Cousinen aus Australien, die sofort mit um den Wohnzimmertisch Platz nehmen. Die Couches reichen nicht aus, aber das stört keinen, denn man kann eng zusammenrücken und den Boden benutzen. Wir plaudern munter, trinken meinen mitgebrachten Wein und alles ist easy.
Später wälzen wir sein Hostbuch und ich stelle fest, dass ich ungefähr der 270ste Couchsurfer in drei Jahren bin. Seine Lebensaufgabe scheint Gastfrendschaft und das verbreiten seiner Kultur zu sein. „I´m a lucky man“, betont er immer wieder. „My very best friend...“ das sagt er zu jedem zweiten Bild – diesmal: „from Korea“. Er hat die halbe Welt bei sich zu Hause gehabt. Jede Person mit ihrer eigenen Story, ihrer eigenen Geschichte ihrem eigenen Typ.
„I´m a lucky man“, höre ich an diesem Abend noch häufiger.


Der nächste Morgen startet um halb sechs.
Ich bin gespannt, auf was ich mich da bei diesem Kerl eingelassen hab. Mindestens die Hälfte der Couchsurfer lächeln auf Bildern aus diesem Bad in die Linse. Was denken wohl seine Lebensgenossen, wenn Jacko jede Woche ein anderes Gesicht hier hin schleppt. Ha, was sollen sie denken, mich kennt hier keiner.
Rein äußerlich erwartet mich ein vor langer Zeit mal grün gestrichener Bretterzaun, in dessen Mitte ist ein rechteckiger Pool in die Erde gemauert, dessen heißes, weißes, dampfendes Wasser mich mit Wohlwollen erfüllt. Einige Maori-Gesichter lächeln mich an. Umkleiden sind lediglich eine weitere halbe Bretterwand. Hier gehts mir gut. Einfach und ursprünglich. Ich erinner mich an die heiße Quelle in Tatopani in Nepal, nur dass es dort wesentlich kälter war und der Ausblick auf die schneeweißen Berggifel dramatischer - so ähnlich ist die Athmosphäre.
Ein geothermisch erhitztes Maori-Schwefelbad, fernab vom Tourismus, spiegelnden Fassade und überhöhtem Eintritt. Ich genieß die dampfende Hitze, obwohl mir eher nach joggen zumute ist und freu ich, dass ich nichts von der Unterhaltung der Männer verstehe, weil die Sprache so fremdländisch klingt. Ich liege in dem Pool, schau in den Himmel und spüre gleichzeitig die wohltuende Hitze des Wassers und die frische Kühle der frühen Morgenluft. Ich bin gleichzeitig weit genug weg, um in kein Gespräch verwickelt zu werden und doch nah genug, um eine fremde Welt zu schnuppern, die Normalreisenden verborgen bleibt. Hier steckt ein Teil der Kultur, die ich gesucht habe und die noch nicht untergegangen zu sein scheint. Mir geht’s gut und ich weiß, dass es so gerne weitergehen darf.
 
Hinterher geht’s zu Rührei, Nescafe und meinem vierrädrigen Vehikel, zurück in die Welt, die ich jetzt bereit bin mit allen traditionellen und modernen, mit allen europäisierten und adrenalingespeisten Facetten kennen zu lernen und anzunehmen. Maori oder Nicht - Neuseelands Kultur macht halt die Mixture als Gesamtpaket aus.

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