Sonntag, 3. Februar 2013

Seafood-und-dosenbieR



trauriges Kino

wahr
Mein nächster Stopp liegt nur fünfzig Kilometer südlich von Christchurch, aber nachdem ich in gemäß Lehrbuch in den Tourismus eingetaucht bin und sogar in Chch eine Bustour durch die RedZone, das gesperrte Stadtzentrum, was vom Erdbeben 02/2011 am meisten getroffen war, gemacht hatte, brauch ich etwas Erholung. So viel Zerstörung noch zwei Jahre nach dem großen Beben, hat mich schockiert.
 
Gap-Filler: Pallett-Pavillion mit lifemusic
 
Kreative Kontainer-Shopping-Mall

Der historische Stadtkern, das Kneipen-viertel, das empfohlene Restaurant, in dem ich Muscheln essen wollte, die einzigartige Kirche – alles kaputt. Zwar entstehen wunderbare Kulturprojekte, GAP-Filler, aber die Stadt wirkt trotzdem irgendwie tot.

Etwas laendlicheres pures Neuzealand  verspreche ich mir von meinem nächsten Couchsurfingpartner.

Seine Wegbeschreibung ist ganz einfach: viertes Grundstück links mit dem grünen Bus. Viele Grundstücke scheint es in dem Ort also nicht zu geben und das gefällt mir. Dass ich im Zelt schlafen kann und muss, ist mir sehr lieb, denn dann hab ich meine Ruhe. Grüner Bus klingt auch sympathisch und noch sympathischer finde ich, dass es außer dem grünen Bus nichts dort gibt. Er ist WohnSchlafKochzimmer und alles wohnt dadrin mit seinem Sohn. Alles andere spielt sich im Garten ab, der eine bezaubernde Mischung zwischen gemütlichen, verlodderten Sitzecken, abgestelltem Kann-man-bestimmt-mal-brauchen-Krempel und freakingen Erinnerungen ist.
Ich bin noch nicht ganz ausgestiegen, da kommt sein neunjähriger Sohn auf mich zu, zeigt mir zwei daumennagelgroße Krebse uns erklärt mir, dass er die heut beim Muschelsuchen gefunden hat.
„Wow - what are you doing with them?“ Mal sehn, ob in diesem Neunjährigen ein angeborener Forscherinstikt oder eher ein Hang zur sozialen Epathie steckt.
„I want them to fight.“
UUUps, keins von beidem und mir wird mulmig.

 
Nein - Ich fühl mich sofort sauwohl.. Hier findet ein anderes Newzealand statt, als der glattgeleckte Aucklandzirkus und die weichgekochte Trekking-Organsation. Die ich wohlbemerkt zu schätzen weiß und genieße!
Mein Gastgeber hat mehr Tattoos auf dem Körper als Zähne im Mund, kommt mir mit Dosenbier entgegen, schmeißt verheißungsvoll seinen einen Dreadzopf auf den Rücken und fragt mich tatsächlich als erstes, ob ich duschen will. Wo, möcht ich aber erst noch in Ruhe herausfinden und stattdesse nehm ich ein Bier.

Kueche, mein Schlafzimmer, Fussballfeld und Freilichtmuseum

„Food is nearly ready“, verkündet er mir und verschwindet im Bus.
Ich bin gespannt, denn noch hab ich das System hier nicht durchschaut. Hinten auf dem Grundstück steht unter einem dicken Baum ein aufgebautes Zelt neben einem selbstgebauten verrosteten Trike mit abertausend Spinnenweben dran, weiter hinten fristet ein Kinder Crossmoped ein trauriges Dasein und auf die Schnelle zähle ich vier Fahrräder verstreut in Ecken stehen. Unter demselben Baum steht aber auch ein Gasofen mit Töpfen und drei unterschiedlichen Stühlen drumrum. Alte gestapelte Farbeimer dienen als Ablage oder als Tisch oder als gar nichts – aha, hier ist also die Küche.
Erstmal folge ich aber in den Bus, denn irgendwas spannendes findet hier statt. Museum für angewandte Lebensphilosophie. Mich erschlägt die angenehme Atmosphäre, in der in liebevoller Kleinarbeit jede Lücke mit einem nutzbringenden lebensnotwendigen Utensil gefüllt ist, welches dann durch persönlichen Spirit in eine aussagekräftige individuelle Philosophe umgewandelt wird. Ein alter Eisenofen, der mit Holz gefeuert wird strahlt Geschichte und Gemütlichkeit aus, der Tisch ist eine skurrile Holzplatte, deren Rinde fließende Surrealistische Formen darstellt, der Schrank scheint Omas Lieblingsstück gewesen zu sein, passt sich aber in die halbrunde Form des Busdaches an, was wiederum aufgesägt und aufgestockt ist, damit man stehen kann, nicht allerdings ohne eine 360° Fenster-Ballustrade zu integrieren. Und jeder, wirklich jeder freie Zentimeter bietet Botschaften aus Darryls Leben, sei es nun ein Hirschgeweih oder ein Messer vor der Windschutzscheibe, ein Schaffell auf dem Sitz, ein Sticker von Bioheazard auf dem Kühlschrank, eine Postkarte aus Bayern am Schrank, ein Bild, was sein Sohn gemalt hat neben einer Kopie von zwei klugscheißernden Hunden. Leere Marmeladengläser dienen als Vorratsbehälter, in einer Ecke steht ein Bücherregal, ein alter Kupfer-Boiler und eine Plastik-Wasserpistole. Ich in erschlagen und begeistert.
Währenddessen setzt Jim die kämpfenden Bonsaikrebse auf die Ablage – einem fehlt schon die Schere und Darryl rührt eine undefinierbare Teigmischung an.
„Just basic Food“ erklärt er seine zähe Marinade und gibt einen Schuss Ketchup dazu. Ha! Junggesellenhaushalt versorgt Sohnemann. Dass hier Ketchup als Hauptnahrunsmttel eingesetzt wird ist sogar in down under so und ich vermute es gibt Nudeln mit Ketchupsauce.
„We found musceles today, so we prepare them now.“
Muscheln? In Pampe?
Ich gebe meine Story zum Besten, dass ich als Kind das Haus verlassen habe, wenn meine Eltern Muscheln gekocht haben, weil ich den Geruch unerträglich fand. Vorsicht, jetzt mach ich mir entweder Freude oder Feinde. Wir bleiben Freund, weil ich hinten anschließe, dass ich Muscheln jetzt natürlich liebe. Ich verschweige allerdings, dass mir rätselhaft ist, wie aus dem zähflüssigen Ketchupbrei eine Muschelsauce...
Schweigen ist manchmal Gold wert.
Darryl geht mit dem Topf zur Kochecke unter dem Baum, nimmt gemütlich Platz, erhitzt Öl in einer Pfanne und wirft riesige bereits gekochte Muscheln in die Pampe. Ich stutze. Neeeein. Aber alles wird gut, denn vorsichtig gibt er die ummantelten Muscheln in das Fett, brät sie aus und serviert sie heiß und fettig. Sie sind richtig gut. Dazu gibt’s Dosenbier. Wie es sich gehört.
„If you collect musceles tomorro again, I´d like to accompany you“, hör ich mich sagen.
Jetzt mach ich hier einen auf Muschelsucher – eigentlich ist es mein Job Fotos von denen zu machen, wenn sie in bunte Gewänder gehüllt am Strand im Sonnenuntergang nach dem glibberigen Kleingetier suchen. Das ist dann eine unglaublich romantisch verklärte und authentisch Idylle für Vorzeigebilder. Hier befürchte ich ein Kraxeln in ausgelatschten Gummistiefeln und zerrissenem Karohemd über glitschige Steine.
Aber erst gehen wir nach dem Dinner noch Aale beobachten. Die Autobatterie wird hierfür kurzerhand ausgebaut, eine ultrastarke Halogenlampe angeschlossen und dann stampfen wir zum nahegelegenen Fluss und Jim leuchtet die Oberfläche des Gewässers ab. Warum das ganze wird mir nicht klar, denn es werden weder welche geangelt, noch bekommen wir viele zu Gesicht. Dafür sammelt sich aber alles, was Flügel hat vor dem Scheinwerfer und zieht wunderbare Leuchtspuren, so dass Jim sich in Selbstverteidigung gegen Insektenalarm übt.
Der nächste Morgen beginnt mit Stress für mich. Ich hab kaum geschlafen, weil es extrem kalt war und liege dementsprechend so lange im Zelt, bis die Sonne es erwärmt.
lebende Schafe werden geschoren...

...tote bleiben einfach liegen
 Halb Zehn. Mist. Ich hab doch Termine. Um elf soll ich die beiden von der Schaffarm abholen, weil sie mit mir wandern und baden gehen wollen. Die Wegbeschreibung liegt wie abgesprochen auf dem Outdoorsessel, ich zauber schnell einen heißen Kaffee und ein Müsli, fahre zur nächsten ´public toilet´, denn sowas gibt’s hier nicht auf dem Grundstück, packe Schwimmsachen und Picnic ein und fahre los.
Deutsche Pünktlichkeit fährt gegen die Wand. Darryl ist mit drei Kumpels noch am Scheren und Jim hängt gelangweilt auf einem Sack Wolle ab. In buntem Neonlicht wäre das eine Touriattraktion, die übers ganze Land verbreitet angeboten wird. Ich kriegs im Original mit dosenbiertrinkenden, stinkenden, tätowierten Kerlen. Danke. Während dem zweistündigen Warten machen Jim und ich einen Fotoeinführungskurs auf der Farm, erklettern den Berg und besichtigen die Käserei im Ort.
darryl sucht
Endlich ist es soweit. Ich freu mich, kann mir aber so einen Heilewelt-Sonntagausflug mit den zwei Helden nicht richtig vorstellen.
Und so kommt es auch.
Wir halten an einer abgelegenen Stelle im Nichts, die Männer ziehen sich Gummisiefel über und wir kraxeln einen Grashang runter, dessen Steigung nur mit selbstmordverdächtigen Prozenten eingeordnet werden kann. Wir landen in der ´Small Piggons Bay´, die von riesigen Felsbrocken eingesäumt ist und von einen meterbreiten Seaweed-Gürtel geschmückt wird.

Wo sollen wir hier wandern?
Wo sollen wir hier schwimmen?
Für Jim und seinen Vater scheint das jedoch normal zu sein, denn sie spazieren munter über die Felsen und verschwinden abwechselnd mit Nase oder Arm im Wasser. Meine Vorstellung räumt gerade auf mit den verwendeten Begriffen wandern und schwimmen. Ich ordne neu: man kann hier schwimmen, wenn man sich über die spitzen Felsen und durch die mannsgroßen Algenblätter gekämpft hat. Ich aber nicht. Und klar läuft man hier rum, wenn man das geißbockartige Hüpfen so nennen kann.
Für mich ist das neu und allmählich dämmert es mir: Sie gehen Muscheln suchen. Für mich. Hab ich das in meinem Englisch nicht gerafft oder war es eine Überraschung.
Auf jeden Fall muss ich hier und jetzt ganz schnell von „erwatetem Sportprogramm“ auf „neue Erfahrung sammeln“ umswitchen, aber das wollt ich ja so.

jim praesentiert paua
Also hüpf ich hinterher von Fels zu Fels, steck regelmäßig meine Nase und meine Arme ins Wasser, schiebe metergroße Algenblätter auf Seite und stelle unendlich viel Fragen, weil ich auf meiner Muschelexpedition schließlich auch Erfolg haben will. Aha: nur handgroße, der Rest ist Kinderkram, nur die, die unter Wasser sind, sonst schmecken sie nicht und bloß nicht reißen...
„Dad, I´ve got a Paua!!“
Jims Ruf hallt über die Bucht. Ein dutzend Mal mindestens, denn Dad ist schon weit vorne. Aber er dreht um, ein Messer in der Hand und schaut bewundernd: Ein Paua scheint etwas besonderes zu sein. Darryl stiefelt mit dem Messer bewaffnet bis zum Bauchnabel ins Wasser und kämpft. Ich erwarte mindestens eine kleine Nessie, aber er taucht mit einem kleinen Wesen, einer ungefähr faustgroßen halben Muschelschale auf, die von außen wie ein Stein aussieht. Aaahhh, die kenn ich. Eine davon hat Claudi mir geschenkt, weil sie innen wunderschön perlmuttfarben schimmern. Sie sagte, die sind schwer zu finden, weil sie wie ein Stein aussehen.
Jim jubelt und ist stolz wie Oskar. Diese hier ist knapp zwei Fäuste groß. Er legt die offene Seite der Paua auf seine Hand und das Tier saugt sich in Sekunden so fest, das man es kaum lösen kann. Pures Muskelfleisch. Leider erinnert es mich an außerirdische Schneckenwesen und Schnecken würde ich genauso wenig essen wie Austern, aber das hier ist anders. Da muss ich heut abend durch.
Wir suchen weiter. Dad flitzt vor. Jim und ich bilden die Nachhut und …
„Dad. I´ve got a Paua.“
Wie sieht der die nur? Hier ist nix für meine Augen. Aber Dad reagiert nicht. Er scheint auf eine Muschelversammlung oder auf ein Pauanest gestoßen zu sein. Jim ordert mich an hier zu warten und läuft Papa holen.
Mir wird langweilig.
„Sein oder nicht sein?“
Vorbild oder Weichei?
Mann oder Memme?
 Traveller oder Tourist?
Sein!!! Ich werde vom Zuschauer zum aktiven Muschelsucher.
Ich zieh die Schuhe aus, stell mein Kameraequipment auf Seite und schnapp mir mein Singapore-Airline-Plastikmesser. Auf in den Zweikampf.

meine stolze beute

Ich kann unter Wasser deutlich sehen, wie der Saugfuß arbeiten und den Stein abgrast. Dann strecke ich langsam meine Hand aus, meine Finger berühren zaghaft den Panzer und `Zack` in Bruchteilen von Sekunden schließt die Muschel an den Felsen an, saugt sich fest, sitzt bombenfest und sieht aus wie ein Mitesser des überwachsenen Felsens. Kein Wunder, das ich die nicht sehe. Und ein Wunder, wenn meine Plastikwaffe den Kerl hier gelöst bekommt.
Ich schiebe das Messer an einer Stelle unter den Saugfuß und hebel ihn vorsichtig los, um meine einzige Waffe nicht zu zerstören. Dann zieh ich schnell das Messer raus um eine andere Stelle zu lösen und `Zack` sitzt die erste Stelle wieder fest. Ach so geht das Spielchen... jetzt verstehe ich auch Darryls Kampf unter Wasser. Auf diese Weise bin ich chancenlos dem Tier gegenüber, denn der Saugfuß ist Handtellergroß. Also müssen beide Hände her, die eine zieht die losgelöste Seite weg, hält sie hoch und die andere hebelt mit wohldosierter Kraft neue Stellen los. Ich spüre minimalen Erfolg und wie beim Armdrücken verleiht dies zu noch ein bisschen mehr Kraft. Mitleid kommt auf. Hier kämpfen grad zwei ungleiche Partner miteinander. Wenn ich verlieren soll, dann muss jetzt das Messer brechen. Ich selbst bin grad zu sehr emotional an diesem Kampf beteiligt, als dass ich jetzt nicht auch den Sieg davontragen möchte. (Hach – das sind Momete in denen ich meine Schüler verstehen kann.)
Kraft, Druck, Anspannung.
Ich taumel nach hinten. Der Widerstand ist gebrochen. Messer oder Paua?
Paua.
Lächeln, Schulterklopfen, mentales Fotoshooting.
Ich bedank mich für den Sieg, für das Erlebnis, für den Stolz, den ich davontragen kann und entschuldige mich bei dem Paua. Dann schiebe ich den Gedanken beiseite, ob ich doch ehr der Supermarkt-Typ bin (ausgenommen und filetiert) und folge dem Männerduo.
ausgenommen
Das bessere ist des gutem Feind. Die zwei lösen eine friedliche Paua-Party auf und der Rucksack quillt über. Und wer zwanzig Pauas hat, schenk einer Einzelnen keine Bedeutung, also feier ich meinen Sieg alleine.

Ich weiß was es heut zum Dinner gibt.
filletiert

Und ich weiß, warum ich sowohl beim Auslösen als auch beim Zubereiten nur fotografierender Zaungast bin, aber geschmeckt, in Ketchup-Pampe ausgebraten und mit Dosenbier, haben sie hervorragend.




thanx darryl
Wie hervorragende Kalamati. Und weil ich jetzt weiß, dass das Kilo teurer gehandelt wird als Austern, schmecken sie auch am nächsten Abend, nach einer Radtour mit Jim, wieder herrlich. Mit Spaghetti und natürlich mit Dosenbier.



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