Freitag, 30. November 2012

RahuL

Mehrere SMS, einige etwas wirr, erneutes Fahren in der Dunkelheit durch das Gewirr von Pune, aber dann warte ich auf meinen Couchsurfing-Gastgeber so gegen acht, vor dem Filminstitut.
Auf dem Moped kommt er angebraust, die lagen Haare zum Zopf gebunden und ein breites Stirnband bändigen die langen Strähnen, die ihm sonst lässig um das Gesicht fallen würden. Ein Intellektuellenziegenbart und schwarze Hornbrille betonen sofort das Kreatvie des Filmmachers und der äußerst westliche Modstil mit Jeans und engem Windbreaker lassen ihn vom ersten Moment an äußerst interessant, wenn nicht anziehend wirken. So anders als der Durchschnittsinder.
Er knallt eine Vollbremssung hin und schmeißt mir seine Kiste vor die Füße und lächelt verlegen. „Dipankar“, stellt er sich vor. „Hoppla. Nervös der Kleine?“, geht mir durch den Kopf, „Wirk ich etwa auf den ersten Blick so aufregend auf ihn, dass er seine Sinne nicht beisammen hat?“ Dreizehn Stunden Fahrt über staubige Straßen hinter Dieselwolken, um fünf aufstehen und drei Nächte Party in Goa machen mein Gesicht nicht laufstegverdächtig – das weiß ich genau.

Kinosaalfassade
„Kirsten“, meine Rückantwort.
meine Passiererlaubnis vom Ftii
Und dann redet er in einem Fluss, abwechselnd mit mir in Englisch und mit den Jungs, die mich hierher geführt haben auf Hindu. Und das in einem Tempo, dass ich nur die Hälfte verstehe. Zwischen den Sequenzen meine ich herauszuhören, dass sein Freund, Mentor und eine Ftii (Name des Filminstitites)-Legende heute einen Kollaps erlitten hat und im Krankenhaus liegt. Schlimme Sache das.
Gleichzeitig erfahre ich, dass Dipankars Zimmer nicht aufgeräumt ist und ich daher das Gästezimmer in einem anderen Wohnblock bekomme was sonst der Unterbringung von Gastschauspielern und ähnlichem Geläut, also auch mich, dient. Ein Prosit auf den Gott der Unordnung. Herrliche Sache das.
Dann zeigt er mir mein Zimmer. Das ist schwer, denn jedem dem er begegnet, wird die der unheilvolle Kollabs von Rahul erzählt, er hält die Mensch an dazu an nochmal ins Krankenhaus zu gehen, dass ich allmählich das Gefühl habe, die Sache ist ernster, als ich bisher verstanden hatte. In „meinem Zimmer“ hat bis heute morgen ein niederländischer Couchsurfer gewohnt, der den Schlüssel im Fensterrahmen innen hinterlegt hat. Dipankar will ihn sich angeln, erklärt mir währenddessen das hervorragende Prinzip der Schlüsselübergabe und schwupp - der Schlüssel fällt nach innen ins Zimmer. OMG – was für ein fahriger Typ. Da stimmt doch was nicht.
Aber flexibel, denn schneller, als ich denken kann, hat er eine Brechstange in der Hand und filmreif biegt und haut abwechselnd auf das Schloss ein. Er ist vom Fach, stelle ich fest. Aber eben Film und nicht Einbrecher, denn das Schloss hält stand. In Kürze versammeln sich allerdings durch den Krach angezogen die die Nachbarstudenten, die fasziniert oder fassungslos zuschauen, das Schloss aber immer noch unversehrt ist. Ich weiß, in Filmen klappt das immer. Ich hatte auch mal versucht mir einer EC-Karte meine zugefallene Tür zu öffnen, weil sich das immer so lässig und leicht anschaut. Ich hatte nur die Karte zerbrochen. Er weiß sich allerdings zu helfen, holt eine Eisensäge und macht sich erneut an der Tür zu schaffen.
„Why do you break this door?“, fragt einer.
„Cause she stays there for some nights“, antwortet Dipankar. Mir kommen Frage und Antwort komisch vor, denn vorgestellt wurde ich doch bereits.
„But this is the ecuipiment room!“
Dipankar hat begonnen das Schloss der Nachbartür aufzusägen. Mein Gott – was ist mit dem los?

Ruhe.
Ich dusche mir den Tag vom Leib, nachdem ich endlich im richtigen Raum bin, damit ich beim Essen gehen wenigstens fühle, dass ich bin.
Aber wir gehen nicht essen, sondern wir fahren.
Angst.
Ich sitz mit meinen legendären unpositiven Gefühlen als Sozia bei ihm hinten drauf und die Tatsache, dass er sich eben beim Bremsen abgelegt hat, die falsche Tür aufgesägt hat und allgemein recht hektisch wirkt, macht mich nicht im minimal zuversichtlicher. Und es stimmt: die Maschine stockt und ruckelt wie ein ungezähmtes wildes Pferd, dass ich ihm entweder in die Rippen knalle oder hinten runterfliege. „The clutch is broken“, sind seine Worte, aber ich glaube eher, dass er ein gebrochenes Verhältnis zum Motorradfahren hat. Er lässt die Kupplung flitschen, dass die Funken fliegen, bremst heftig unmotiviert und gibt dann wieder unnötig Vollgas, Autos stocken und hupen noch wilder, als normal, weil seine Fahrweise unberechenbar ist. Gleichzeitig erzählt er immer wieder von Rahul und weil ich nichts verstehe ist er so freundlich und dreht sich zu mir um. Mama...
Ich bete, dass wir heil ankommen und ich bete auch, dass er mich nie fragt, ober die BMW mal fahren kann - ich dürfte und könnte es ihm nicht abschlagen. (Btw: Beten hat nichts genutzt, er hat mich zu allem Unglück noch hintendrauf genommen - Ich hab mich sicherer gefühlt zu dritt auf einem Mofa mit Martin und Anav in Goa).
Und dann beim mit Abstand besten und mit noch mehr Abstand teuersten Thali, was ich je in Indien gegessen habe versteh ich endlich, was los ist.
Rahul ist tot.
Seit einer Stunde ist er Thema Nummer eins und ich dachte ich hab alles verstanden. Dass er nach dem Tod seiner Freundin sich von Allem losgesagt hat, dass er im Institut aufgefangen wurde, dass er nach seinem Kollaps im Krankenhaus mit Elektroschocks reanimiert wurde, dass dabei eine Rippe gebrochen ist und die sich in die Lunge gebohrt hat und sich dann Bläschen gebildet haben und dass die Ärzte gesagt haben, dass sich heute Nacht alles entscheidet... Alles – nur nicht das Entscheidende, dass er tatsächlich gestorben ist. In den Armen Dipankars. Zehn Minuten bevor ich angekommen bin.
Bang!
Ich krieg eine Gänsehaut und weiß nicht ganz wie ich mich für dieses peinliche Missverständnis entschuldigen soll. Nicht ich ab ihn nervös gemacht. Nicht grundsätzlich ist er ein hektischer Konfuzius.
Es ist Rahul. - Und dann darf man das Moped hinfallen lassen und die falsche Tür aufsägen.

Und von dem Moment an steckt Rahul in so vielen Momenten des Besuchs, dass er am Schluss zu etwas Besonderem geworden ist.
Am nächsten Morgen besuche ich das Osho-Ashram, weil dort eine Schnupperstunde angeboten werden soll. Das Angebot findet allerdings nicht mehr statt und die Preise sind so gesalzen, dass ich in mich reinhorche und schlagartig sowohl meine innere Ruhe sehr deutlich spüre als auch eine heftige Abneigung gegen die die modisch ins Klo gegriffenen roten Gewänder, die man natürlich tragen muss. 
Auch der anschließende Besuch am Bahnhof verläuft ergebnislos, außer, dass ich allmählich fundierte Erhebungen über die Effizienz indischer Bahnfahrkartenkauf aufstellen könnte. Zum Entspannen begebe ich mich auf einen Altstadtbummel und merke, dass mir die Stadt gefällt. 



 Entgegen aller Reiseführeraussagen mag ich das Nebeneinander von Tradition und Moderne, von alter Brüchigkeit neben glänzender Pracht. Wie ganz Indien eben – authentisch. 
Und ich merke aber auch, dass allzu gern Mäuschen spielen möchte, wie die Sache mit Rahul weiter geht. Wahrscheinlich SOLL ich nicht ins Ashram und SOLL ich keinen Zug bekommen. Irgendwie SOLL ich das mitbekommen.
Zurück im Filminstitut begegnet mir der Leichenzug von Rahul. Eigentlich wollte ich mit Dipankar Fotos und Filme schauen, weil mich seine Arbeit interessiert und ich in mein Indien-Bildungspaket die alternative Filmindustrie neben Bollywood aufnehmen wollte. Aber hier kann ich jetzt nicht stören. Mehrere Hundert Menschen haben sich von gestern auf heute versammelt um Rahul auf seinem letzten Weg zu begleiten. Hierfür wurde er noch einmal in der Halle des Wohnheims in dem er mit seinen Studenten gewohnt hat, aufgebahrt. Ein Satz persönliche Kleider, einige Bilder, Kerzen und Blumen sind zu einem kleinen Schrein arrangiert, der die ganze Nacht dort bleibt. Der Leichenzug zieht an meinem Fenster vorbei und nicht Stille begleitet den Sarg auf dem Weg zum Krematorium, sondern von Zeit zu Zeit ertönt etwas, was ich Schlachtrufen zuordnen würde. Ich hab vergessen zu fragen, was das war. Zu fremd fühl ich mich leider noch, um jetzt runter zu gehen und spontan daran teilzuhaben. Aber die Neugierde ist groß.
„You could have come...“ erklärt mir Dipankar beim Essen abends in einem Restaurant, was qualitativ alles indische übertrifft, was ich bisher hatte, aber auch mehr als mein Tagesbudget und eineinhalb Monatsmieten Dipankars ausmacht. Müssen Männer immer so... Wahrscheinlich kann er sich das deshalb leisten.
Aber so reden wir wieder über Rahuls Da´s Filme, den westlichen Einfluss, den er nach Indien gebracht hat, sein Leben und sein intensives Arbeiten. Sein Verhältnis zu den Studenten. Bei seinem Kollaps war er mitten bei Dreharbeiten. Der Mann nimmt immer mehr Form und Gestalt an.
Und dabei erfahre, dass die Kondolenzveranstaltung auf den nächsten Tag um elf verschoben wurde (ich grinse innerlich) und zusätzlich hat Dipankar mir versprochen, dass wir abends zusammen kochen (da isses: ich SOLL beiben). Das ist allemale spannender, als noch n Tempel und noch ne Höhle und dafür bleibe ich mal wieder einen Tag länger. Fahr ich eben hinterher schneller beschließ ich.

Um elf bin ich vor dem Kinosaal des Instituts, vor dem sich schon etliche Menschen versammelt haben. Es dauert noch die indische halbe Stunde bis zum Einlass und im Geiste verlege ich meinen Höhlenbesuch auf morgen früh. Die besten Zeiten hat der Saal hinter sich, aber Dapankar meint er sei neu - so um die dreißig Jahre alt. Bei uns würde es entweder Kinokarten zum Schnäppchenpreis geben, oder überteuert, weil in historischem Antiquariat vorgeführt. Die Sessel sind nahezu durchgefurzt und die Metallumrandung der Polster sieht aus, als hätte sie einen Kugelhagel an der Front überstehen müssen, aber sie lassen sich praktischerweise mit ein wenig Schwung in Halbliegeposition bringen. Die Soundanlage klingt verzerrt und bringt nur schwer die Worte zu mir so dass ich manche Redner gar nicht versehe. Dennoch bin ich beeindruckt von den Worten, die für den Filmmacher gefunden wurden. Beeindruckt davon, welche Worte er für das Leben gefunden hat und was für eine warmherzige Persönlichkeit mit allen Macken des künstlerischen Daseins er verkörpert haben muss. Ein Leben für die Kunst, die sich der Gesellschaftskritik hingibt – sowohl im eigenen Land, dessen weltberühmten fast monopolistischen Filmstil er abgelehnt hat, als auch weltpolitisch. Beim anschließenden Film "Genesis", der aus den Siebzigern stammt wird mir dann deutlich, dass er die drogenumnebelte, symbolschwangere Ausdrucksweise des Westens nicht nur mitgelebt haben muss, sondern auch in seinen Filmen umgesetzt hat. Mode, Musik und die zeitgemäße Antikriegshaltung erinnern an europäisches Kulturgut – nicht an Bollywoodkitsch. Ich bin schwer beeindruckt und dankbar dafür, dass ich wieder mit einem Teil Klischee über die Kultur eines Landes aufräumen musste.
erst der mopedgeile Vierbeiner...
...dann die Kumpel
Als Gegenleistung des Kulturaustausches darf Dipankar dann BMW fahren, der dritte Inder, der in den Genuss kommt und er ist so glücklich darüber „A dream become true“ ruft er mir nach hinten mit einem Strahlen zu, dass ich weiß,dass alles richtig war. Denn seit die Kondolenzveranstaltung vorbei ist, ich seh ihn zum ersten Mal in den zwei Tagen Lachen. Und wenn das Fahren der BMW dazu beiträgt... 

Er bleibt sogar mit in der Werkstatt und hilft so richtig Künstler-untypisch mit die Bremseläge zu wechseln, das seine Finger hinterher so schwarz sind, wie seine Haare, aber er lacht.
Abends besteige ich den Nachbarberg im Sonnenunteergang, um ein bisschen Bewegung zu haben. Gut dass mir Dipankar vorher noch steckt, dass dieser Berg DER Berg in Rahuls Film ´Genesis` ist.  Rahul steckt mittlerweile im Detail.


Beim abendlich geplanten Kochen, was fast schon den Charakter eines Rahulschen Leichenschmauses hat, kann er dann allerdings wieder nicht mitmachen, weil er ein spontanes Testshooting mit einer Studentin machen muss.
Er bleibt also doch ein Chaot.
Bei mir ist allerdings wieder ein neuer Eindruck Indiens hängen geblieben. Danke Rahul – ohne deinen Tod zu genau dem Zeitpunkt wäre mir dieser Teil der Kultur verborgen geblieben. 
Und noch etwas ist geblieben: Einige von Rahuls Worten, die zitiert wurden, haben wir noch in unseren folgenden SMS verwendet.

http://en.wikipedia.org/wiki/Rahul_Dasgupta

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