Ich fahr gemütlich nach
einem dicken Frühstück, einer äußerst herzlichen Verabschiedung
mit vielen Fotos und nach verstauen eines Lunchpaketes, bestehend aus
einer halben Staude Banane, wie Mutti nicht besser hätte bieten
können, um halb zehn los.
Der eine Bangalore sagte
ich brauche einen Tag. Der nächste Keraler veranschlagt eineinhalb
Tage. Ich indische-Straßen-erprobte kalkuliere zwei Tage.
Zwischendurch bietet der Highway Anlass auf drei Tage zu
kalkulieren.
„On the road again“
Zwanzig Kilometer lang,
Verfahren sei Dank in Kerala, genieße ich herrlichen Kurvenspaß
durch abgestorbene Bambuswälder. Leider war in diesem Jahr nach 45
Jahren die Zeit der Blüte, was dazu führt, dass sich der ganze Wald
nicht in strahlendem satten grün präsentiert, sondern wie nach
einer verunglückten Brandrodung. Die haushohen teilweise beindicken
Bambusrohre staksen büschelweise schwarz in den Himmel und werden
oft nur noch durch die auch abgestorbenen Schlingpflanzen gehalten. Ein trauriger Zeugnis von Vergängnis, aber für mich steht der
Fahrspaß durch Mutter Natur an erster Stelle.
„C´mon feel the noise“
Am Liebsten hätte ich
die Hupe festgetackert, da ich sie im Daureinsatz nutze um jeden
entgegenkommenden zu warnen, dass hier ein Schwertransport mit
Blitzgeschwindigkeit unterwegs ist. Eigentlich hoffe ich noch ein
letztes mal eine kreuzende Elefantenfamilie zu entdecken, aber ich
selbst tröte mir den Weg frei und will nur fahrenfahenfahren.
DA!
Ich stocke kurz, greif
unüberlegt in die Eisen, halte mitten auf der Straße und dreh mich
noch auf dem Moped sitzend unsicher um. Mein Blick wird festgehalten,
unsere Pupillen versinken für eine Ewigkeit ineineander und ich bin
überwältigt von den strahlend blauen Augen, die mit den Farben des
Himmel konkurrieren. Groß, dunkel, überwältigend kräftig und
entwaffnend gelassen geht der überwältigende Koloss einige Schritte
auf mich zu.
Ein Büffel.
„Wenn er
weiterschreitet geb ich Gas“, denk ich eingeschüchtert und nestel
hektisch die Kamera aus dem Tanksrucksack. „Wenn ich Gas geben muss
kann ich kein Foto machen“, denk ich weiter und entscheide mich für
ein Bild. Scheiße, das falsche Objektiv – so ist das immer. Er
scheint die Straße überqueren zu wollen, aber er zögert und
trottet gespielt lässig weiter in meine Richtung. Anscheinend ist er
wegen dem Unbekannten-Fahr-Objekt mindestens so irritiert wie die
Einheimschen, die erstmals einer BMW gegenüber stehen.
Ich schieße einige
Bilder aus der 180° Drehung von der Sitzbank aus mit laufendem
Motor, packe schleunigst weg und gebe tatsächlich Gas. Ich bin auch
irritiert.
Ich fahr weiter und
erfahre erneut, dass die Bundesstaaten in Indien so verschieden sind
wie die Länder Europas. Das fängt mit der Steuer für
lebensnotwendige Genussmittel an, weshalb in Goa Bier, Sprit und
Zigaretten so billig sind und hört bei lebensbegleitenden
Grundelementen auf, weshalb direkt mit Grenzübertritt nach Karnataka
der Straßenbelag grottenschlecht wird.
"Highway to Hell" eben.
Anfangs ist der
Belag noch ein abwechslungsreicher Hoffnungsschimmer und ich kann
Phasenweise so fahren, dass man es zügig hätte nennen können. Bis
Hassan habe ich dann das katastrophale Roadspektakel, dem locker für
die Anfahrt zur Hölle im AC/DC Song gereicht hätte.
Mein Kopf bildet
Tempozonen auf Straßenbelag ab und defniere in 20er, 40er, und 6oer
Geschwindigkeitzonen. Gleichzeitig arbeitet meine mathematische
Gehirnhälfte auf Hochtouren und berechnet je nah Straßenbelag,
schneller als mein GPS, die Durchschnittsgeschwindigkeit und liefert
minütlich neue Hochrechnungen für die potentielle Kilometerleistung
des Tages. Die 2oer werden häufiger, so dass ich kaum vorwärts
komme. Bei 4oer Bereichen fang ich schon an übermütig zu werden und
ab einer Geschwindigkeit von 50 lege ich großzügig und
zweckoptimistisch den 6oer Bereich zugrunde. Eine Tendenz von
zweieinhalb Tagen pendelt sich beim Fahrzeug in Bewegung ein.
"Fast as a shark“ ist das nicht.
Blöderweise hab ich mir
eingeredet, dass das Fahren angenehmer wird, wenn ich möglichst
viele Pausen mache um einerseits Fotos von schönen Motiven
festzuhalten und mir andererseits kurzfristige Glücksgefühle aus
der kalorienhaltige Ersatzbefriedigung zuführe. Und diese Rechnung
geht definitiv zu Lasten der Ankunftzeit.
Ich stoppe an einer
Elefentenfarm, an der nicht nur Dickhäuter, sondern auch elternlose
Kinder großgezogen und als Arbeitstiere benutzt werden. Ich fahre
durch ranzige ärmliche Ortschaften und der Ochsenkarren wird zum
Hauptbeförderungsittel. Dass ich auf einer Hocheebene bin, merkt man
an den Berge am Horizont, der üppigen Landwirtschaft und an der
üppigen Natur.
Ringsherum ist es grün und saftig, Flüssläufe
schlängeln sich über die Ebene und an manchen Orten stehen alte
aber hochfrequentierte Tempel, an denen die Menschen im Fluss baden
oder Kinder spielen. Ich halte an einer Ziegelfabrik, die in ihrer
Farbgebung perfekt zu der roten Erde passt und beobachte begeistert
die Arbeiter bei ihrer fast sinnlich wirkenden Arbeit.
Leider bekomme
ich keine Genehmigung vom Manager, dort innerhalb des Geländes zu
fotografieren. Die Jungs hätten mit Sicherheit ihren Spaß gehabt,
denn die, die ich schnell mal vor die Linse bekomme, werfen sich
beachtlich in Pose und die, die bemerken, dass ich von der Brücke
fotografiere winken munter, trotz der zu schleppende Last.
Andererseits könnten so unterm Strich doch wieder nur zweieinhalb
Tage rauskommen. Dann verursache ich noch den nächsten
Menschenauflauf, als ich meinen fünften Versuch starte eine externe
Festplatte zu kaufen.
Ich erreiche erst am
späten Nachmittag Hassan, knappe 120 km vom Start entfernt und ich
bin verzweifelt. Laut meiner Hochrechnung brauche ich für die
verbleibenden 480 Kilometer noch zwei Tage, wenn ich morgends um 6
starte und das war zwar meine Worstcaseberechnung, die eigentlich
nicht eintreffen sollte. Also fang ich an über diese
Arschloch-Großverdiener-Bürosesselfurzer aus Bangalore zu
schimpfen, die mit Geldern der Chinesen einen funkelnagelneuen
Highway vor die Tür gegossen bekommen haben und die mir armen in der
Realität lebenden Wesen diese Strecke empfohlen haben. Ich vergesse
hierbei absichtlich, dass einer mich vor der Strecke gewarnt hat.
Ich biege in Hassan zur
Küste ab, diesmal den Worte eines Tankwartes vertrauend, der sich
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in der Gegend
auskennt.
„Use your illusion“
Und er hat recht. 40
Kilometer fliege ich dahin und knutsche innerlich den Tankwart, der
nun wirklich genausowenig für die gute Teerdecke kann, wie der
Bürohengst für die schlechte. Kurzfristig finde ich mein
Bikerlächeln wieder, bis die Straße sich blitzartg um 1000
Höhenmeter runterschraubt und der schlimmste Teil der Reise beginnt.
Busse kämpfen um jeden
Zentimeter und überholen waghalsig durch Riesenlöcher bretternd in
den unüberschaubarsten Kurven. Und die Rechnung, sich hinter ein
solches Monster zu klemmen, was den Weg freischafelt geht leider
nicht auf, weil im Minutentakt wahlweise benutztes Plastikgeschirr,
Bananenschalen im Kilopack oder Kotze aus dem Fenster fliegt. Mein
neuer Todfeind entsteht und ich hab auch kein Mitleid mit den
Höllenrasern, wenn ich mir einbilde, sie sind unter Zeitdruck
leiden. Das ist einfach nur Wahnsinn auf acht Rädern.
„Screaming for
vengance“
Total entnervt checke ich
um kurz vor sechs in dem ersten Hotel ein, was mir am heutigen Tag
begegnet ist, ignoriere die grobschlächtige Baurbeiteratmosphäre
und den abgewrackten Charme der Bruchbude und freu mich letzten Endes
überhaupt nicht über die gut gemeinte Warnung des Portiers, meine
Tür abzuschließen und nicht mehr auszugehen, weil hier so viele
betrunkene Männer sind. Da ich schon draußen war, um zu versuchen
hatte in der Dunkelheit an irgend etwas Ess- und Trinkbares zu
kommen, glaub ich dem Kerl. Zu lüstern kamen mir, trotz aller
Freundlichkeit die Blicke aus den roten drogengeschwängerten Blicken
der Typen hier vor. Und zu kurz ist die Erfahrung des nächtlichen
Besuches erst her, um d jetzt lächelnd drüber zu stehen.
Also spiele ich die
Nummer „mich gibt es gar nicht“. Ein Angestellter besorgt mir
Wasser aus dem nahegelegenen Ort und nachdem ich das äußere Riegel
mit meinem Schloss festgeschlossen habe, so dass mich auch keiner
hier einsperren kann, verschwinde ich im Inneren der vier qm. Ich
rauche durch einen Spalt der geschlossenen Vorhängen am Fenster, was
nur zu einem Gang rausgeht. Ich versuche keine Geräusche zu machen
und mich nicht durch eine Ritze sehen zu lassen. meine letzten
Vorräte verputze. Gleichzeitig versuche nichts zu berühren, weil
die Seuche mir aus jeder Ritze der abbröckelnen Farbe
entgegenspringt, wenn sie nicht mit genug klebrigem Dreck dort
angepappt ist.
Ich stelle den Wecker auf
5 Uhr morgens. Hier muss ich nicht gemütlich ausschlafen.
Um sechs sitz ich,
gestärkt mit eigenem Kaffee und den restlichem Minibananen, auf dem
Bike.
„Keep on running“
Nebelschwaden hängen im
Wald, Hunde schlafen auf der Straße, vereinzelte Mopdfahrer zuckeln
durch die Kehren - die kanatarkanische Hektik-Welt ist noch nicht
erwacht und erreiche in einsamer Idylle den Küstenhighway. Aber es
bleibt auch irgendwie fast langweilig schläfrig. Kaum Trucks, wenig Busse, reparierte Schlaglöcher.
Das läd zum Heizen ein und ich bin so schnell und gut gelaunt, dass ich bis Mittags ohne Stopp fahre. Und dann gönne ich mir einen zwanzig Kilometer langen Umweg zum OmBeach, um eine
wohlverdiente Frühstückspause einzulegen.
Zweihuntertsiebzig
Kilometer in sechs Stunden hab ich noch nie in Indien geschafft.
Irgendjemand meint es gut mit mir.
„Such a perfect day“
Sogar ein Bad in den
Wellen, ein kurzes Dösen am Strand und einige Starfotos mit
schnittigen Männerfiguren sind im Zeitfenster drin. Und dann
schmeckt auch noch mein feuriges Masala zum Frühstück.
Um vier lauf ich in
Palolem ein und es empfängt mich Doro mit einem kühlen deutschen
AC/DC Bier.
Rock´n´Roll halt.
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