Donnerstag, 8. November 2012

Rock´n´rolL

Ich fahr gemütlich nach einem dicken Frühstück, einer äußerst herzlichen Verabschiedung mit vielen Fotos und nach verstauen eines Lunchpaketes, bestehend aus einer halben Staude Banane, wie Mutti nicht besser hätte bieten können, um halb zehn los.
Der eine Bangalore sagte ich brauche einen Tag. Der nächste Keraler veranschlagt eineinhalb Tage. Ich indische-Straßen-erprobte kalkuliere zwei Tage. Zwischendurch bietet der Highway Anlass auf drei Tage zu kalkulieren.
„On the road again“
Zwanzig Kilometer lang, Verfahren sei Dank in Kerala, genieße ich herrlichen Kurvenspaß durch abgestorbene Bambuswälder. Leider war in diesem Jahr nach 45 Jahren die Zeit der Blüte, was dazu führt, dass sich der ganze Wald nicht in strahlendem satten grün präsentiert, sondern wie nach einer verunglückten Brandrodung. Die haushohen teilweise beindicken Bambusrohre staksen büschelweise schwarz in den Himmel und werden oft nur noch durch die auch abgestorbenen Schlingpflanzen gehalten. Ein trauriger Zeugnis von Vergängnis, aber für mich steht der Fahrspaß durch Mutter Natur an erster Stelle. 
„C´mon feel the noise“
 Am Liebsten hätte ich die Hupe festgetackert, da ich sie im Daureinsatz nutze um jeden entgegenkommenden zu warnen, dass hier ein Schwertransport mit Blitzgeschwindigkeit unterwegs ist. Eigentlich hoffe ich noch ein letztes mal eine kreuzende Elefantenfamilie zu entdecken, aber ich selbst tröte mir den Weg frei und will nur fahrenfahenfahren.
DA!
Ich stocke kurz, greif unüberlegt in die Eisen, halte mitten auf der Straße und dreh mich noch auf dem Moped sitzend unsicher um. Mein Blick wird festgehalten, unsere Pupillen versinken für eine Ewigkeit ineineander und ich bin überwältigt von den strahlend blauen Augen, die mit den Farben des Himmel konkurrieren. Groß, dunkel, überwältigend kräftig und entwaffnend gelassen geht der überwältigende Koloss einige Schritte auf mich zu.
Ein Büffel.
„Wenn er weiterschreitet geb ich Gas“, denk ich eingeschüchtert und nestel hektisch die Kamera aus dem Tanksrucksack. „Wenn ich Gas geben muss kann ich kein Foto machen“, denk ich weiter und entscheide mich für ein Bild. Scheiße, das falsche Objektiv – so ist das immer. Er scheint die Straße überqueren zu wollen, aber er zögert und trottet gespielt lässig weiter in meine Richtung. Anscheinend ist er wegen dem Unbekannten-Fahr-Objekt mindestens so irritiert wie die Einheimschen, die erstmals einer BMW gegenüber stehen.
Ich schieße einige Bilder aus der 180° Drehung von der Sitzbank aus mit laufendem Motor, packe schleunigst weg und gebe tatsächlich Gas. Ich bin auch irritiert.

Ich fahr weiter und erfahre erneut, dass die Bundesstaaten in Indien so verschieden sind wie die Länder Europas. Das fängt mit der Steuer für lebensnotwendige Genussmittel an, weshalb in Goa Bier, Sprit und Zigaretten so billig sind und hört bei lebensbegleitenden Grundelementen auf, weshalb direkt mit Grenzübertritt nach Karnataka der Straßenbelag grottenschlecht wird. 
"Highway to Hell" eben.
Anfangs ist der Belag noch ein abwechslungsreicher Hoffnungsschimmer und ich kann Phasenweise so fahren, dass man es zügig hätte nennen können. Bis Hassan habe ich dann das katastrophale Roadspektakel, dem locker für die Anfahrt zur Hölle im AC/DC Song gereicht hätte.
Mein Kopf bildet Tempozonen auf Straßenbelag ab und defniere in 20er, 40er, und 6oer Geschwindigkeitzonen. Gleichzeitig arbeitet meine mathematische Gehirnhälfte auf Hochtouren und berechnet je nah Straßenbelag, schneller als mein GPS, die Durchschnittsgeschwindigkeit und liefert minütlich neue Hochrechnungen für die potentielle Kilometerleistung des Tages. Die 2oer werden häufiger, so dass ich kaum vorwärts komme. Bei 4oer Bereichen fang ich schon an übermütig zu werden und ab einer Geschwindigkeit von 50 lege ich großzügig und zweckoptimistisch den 6oer Bereich zugrunde. Eine Tendenz von zweieinhalb Tagen pendelt sich beim Fahrzeug in Bewegung ein.
 "Fast as a shark“ ist das nicht.

Blöderweise hab ich mir eingeredet, dass das Fahren angenehmer wird, wenn ich möglichst viele Pausen mache um einerseits Fotos von schönen Motiven festzuhalten und mir andererseits kurzfristige Glücksgefühle aus der kalorienhaltige Ersatzbefriedigung zuführe. Und diese Rechnung geht definitiv zu Lasten der Ankunftzeit.

 Ich stoppe an einer Elefentenfarm, an der nicht nur Dickhäuter, sondern auch elternlose Kinder großgezogen und als Arbeitstiere benutzt werden. Ich fahre durch ranzige ärmliche Ortschaften und der Ochsenkarren wird zum Hauptbeförderungsittel. Dass ich auf einer Hocheebene bin, merkt man an den Berge am Horizont, der üppigen Landwirtschaft und an der üppigen Natur. 

 
Ringsherum ist es grün und saftig, Flüssläufe schlängeln sich über die Ebene und an manchen Orten stehen alte aber hochfrequentierte Tempel, an denen die Menschen im Fluss baden oder Kinder spielen. Ich halte an einer Ziegelfabrik, die in ihrer Farbgebung perfekt zu der roten Erde passt und beobachte begeistert die Arbeiter bei ihrer fast sinnlich wirkenden Arbeit.
 

Leider bekomme ich keine Genehmigung vom Manager, dort innerhalb des Geländes zu fotografieren. Die Jungs hätten mit Sicherheit ihren Spaß gehabt, denn die, die ich schnell mal vor die Linse bekomme, werfen sich beachtlich in Pose und die, die bemerken, dass ich von der Brücke fotografiere winken munter, trotz der zu schleppende Last. Andererseits könnten so unterm Strich doch wieder nur zweieinhalb Tage rauskommen. Dann verursache ich noch den nächsten Menschenauflauf, als ich meinen fünften Versuch starte eine externe Festplatte zu kaufen.

Ich erreiche erst am späten Nachmittag Hassan, knappe 120 km vom Start entfernt und ich bin verzweifelt. Laut meiner Hochrechnung brauche ich für die verbleibenden 480 Kilometer noch zwei Tage, wenn ich morgends um 6 starte und das war zwar meine Worstcaseberechnung, die eigentlich nicht eintreffen sollte. Also fang ich an über diese Arschloch-Großverdiener-Bürosesselfurzer aus Bangalore zu schimpfen, die mit Geldern der Chinesen einen funkelnagelneuen Highway vor die Tür gegossen bekommen haben und die mir armen in der Realität lebenden Wesen diese Strecke empfohlen haben. Ich vergesse hierbei absichtlich, dass einer mich vor der Strecke gewarnt hat.
Ich biege in Hassan zur Küste ab, diesmal den Worte eines Tankwartes vertrauend, der sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in der Gegend auskennt.
„Use your illusion“
Und er hat recht. 40 Kilometer fliege ich dahin und knutsche innerlich den Tankwart, der nun wirklich genausowenig für die gute Teerdecke kann, wie der Bürohengst für die schlechte. Kurzfristig finde ich mein Bikerlächeln wieder, bis die Straße sich blitzartg um 1000 Höhenmeter runterschraubt und der schlimmste Teil der Reise beginnt.

Busse kämpfen um jeden Zentimeter und überholen waghalsig durch Riesenlöcher bretternd in den unüberschaubarsten Kurven. Und die Rechnung, sich hinter ein solches Monster zu klemmen, was den Weg freischafelt geht leider nicht auf, weil im Minutentakt wahlweise benutztes Plastikgeschirr, Bananenschalen im Kilopack oder Kotze aus dem Fenster fliegt. Mein neuer Todfeind entsteht und ich hab auch kein Mitleid mit den Höllenrasern, wenn ich mir einbilde, sie sind unter Zeitdruck leiden. Das ist einfach nur Wahnsinn auf acht Rädern.
„Screaming for vengance“
Total entnervt checke ich um kurz vor sechs in dem ersten Hotel ein, was mir am heutigen Tag begegnet ist, ignoriere die grobschlächtige Baurbeiteratmosphäre und den abgewrackten Charme der Bruchbude und freu mich letzten Endes überhaupt nicht über die gut gemeinte Warnung des Portiers, meine Tür abzuschließen und nicht mehr auszugehen, weil hier so viele betrunkene Männer sind. Da ich schon draußen war, um zu versuchen hatte in der Dunkelheit an irgend etwas Ess- und Trinkbares zu kommen, glaub ich dem Kerl. Zu lüstern kamen mir, trotz aller Freundlichkeit die Blicke aus den roten drogengeschwängerten Blicken der Typen hier vor. Und zu kurz ist die Erfahrung des nächtlichen Besuches erst her, um d jetzt lächelnd drüber zu stehen.
Also spiele ich die Nummer „mich gibt es gar nicht“. Ein Angestellter besorgt mir Wasser aus dem nahegelegenen Ort und nachdem ich das äußere Riegel mit meinem Schloss festgeschlossen habe, so dass mich auch keiner hier einsperren kann, verschwinde ich im Inneren der vier qm. Ich rauche durch einen Spalt der geschlossenen Vorhängen am Fenster, was nur zu einem Gang rausgeht. Ich versuche keine Geräusche zu machen und mich nicht durch eine Ritze sehen zu lassen. meine letzten Vorräte verputze. Gleichzeitig versuche nichts zu berühren, weil die Seuche mir aus jeder Ritze der abbröckelnen Farbe entgegenspringt, wenn sie nicht mit genug klebrigem Dreck dort angepappt ist.
Ich stelle den Wecker auf 5 Uhr morgens. Hier muss ich nicht gemütlich ausschlafen.
Um sechs sitz ich, gestärkt mit eigenem Kaffee und den restlichem Minibananen, auf dem Bike.
„Keep on running“
Nebelschwaden hängen im Wald, Hunde schlafen auf der Straße, vereinzelte Mopdfahrer zuckeln durch die Kehren - die kanatarkanische Hektik-Welt ist noch nicht erwacht und erreiche in einsamer Idylle den Küstenhighway. Aber es bleibt auch irgendwie fast langweilig schläfrig. Kaum Trucks, wenig Busse, reparierte Schlaglöcher.
Das läd zum Heizen ein und ich bin so schnell und gut gelaunt, dass ich bis Mittags ohne Stopp fahre. Und dann gönne ich mir einen zwanzig Kilometer langen Umweg zum OmBeach, um eine wohlverdiente Frühstückspause einzulegen. 
Zweihuntertsiebzig Kilometer in sechs Stunden hab ich noch nie in Indien geschafft. Irgendjemand meint es gut mit mir.
„Such a perfect day“
Sogar ein Bad in den Wellen, ein kurzes Dösen am Strand und einige Starfotos mit schnittigen Männerfiguren sind im Zeitfenster drin. Und dann schmeckt auch noch mein feuriges Masala zum Frühstück.



Um vier lauf ich in Palolem ein und es empfängt mich Doro mit einem kühlen deutschen AC/DC Bier.

Rock´n´Roll halt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen