„Es wird brennen!“
Ich mache große Augen,
schaue erschrocken, denke aber innerlich nur, dass ich ja nicht von
diesem Glauben bin und solch Weissagungen bei mir nicht eintreten
können.
Was soll denn wie bei mir
brennen? Und warum? Weil ich in diesem Tempel in Udupi mit meinen
Füßen über fünf Stufen zu einem Schrein getreten bin? Weil hier die Statue einer
heiligen giftige Schlange, wohl eine der zig Darstellungsformen von
Vishnu, dargestellt und angebetet wid? Weil ich über die verbotene Schwelle zu ihrem Gemach, getreten
bin? Kann ich doch nicht wissen! Und der Wächter diesr ganzen heiligen
Angelegenheit hat nur eine zweideutige von mir fehlinterpretierte
Handbewegung gemacht und gezischt. Was heißt schon zischen?
Erst als ich
entschuldigend und peinlich berührt die Stufen hinabsteige und die
Gläubigen mit aneiandergelegten Händen zwischen ehrfurchtvoll und
entsetzt mich anstarren sehe, wird mir klar, dass ich hier in ein
fettes Fettnäpfchen getreten bin. Eine schöne wohlhabend wirkende
Inderin erklärt mir in perfektem Englisch, dass diese Gottheit Böses
vollbringen kann, wenn man sich ihr nähert.
„Dont go there,
otherwise you´ll get burning pain“.
Aha! Sie erklärt mir
mein vermeindliches Unheilsurteil in einem dermaßen nüchternen und
emotionlosem Tonfall, als erkläre sie einem Kind, das Gras grün
ist. Ist gut, ich weiß es jetzt und bin ich mir über das Maß
meines Vergehens bewusst.
Ich frage mich allerdings
ernsthaft, warum dieses „Unwesen“ an so einem friedlichen Ort
einen ebenbürdigen Platz wie wohlwollende und glückversprechende
Gottheiten bekommen.
In dem Krishna-Tempel hier in Udupi, eines der heiligsten
Zentren der Vaishnava in Südindien, herrscht ansonsten eine
wundervolle Athmoshäre. Die Stimmung ist friedlich harmonisch,
Kerzen leuchten zu Pyramiden aufgestellt in jedem Winkel,
abertausende von Blumen schmücken auf Ketten gefädelt die
Räumlichkeiten, die Gläubigen werfen sich nicht auf die Knie, sie
legen sich mit gekonnten Yoga-Bewegungen mehrfach hintereinander
hingebungsvoll vor die Gottheiten, Frauen singen hymnische Lieder und
Fotoausstellungen erzählen die Ausgelassenheit vom letzten Fest.
Warum auf einmal dieser
Schrein der Inkarntion als böse Schlange, die gemieden werden muss
und gleichzeitg angebetet wird?
Manchmal wächst dies über die Logik meines westlich gepägten Hirns hinaus.
Ich schleder noch etwas
weiter, genieße einige Tempel mehr in diesem herrlichen Ort, schwing
mich anschließend auf mein Bike und fahre nach Malde in mein Hotel.
Schließlich will ich morgen früh weiter und muss noch packen und es
wird gleich dunkel.
Nachts werd ich wach.
Das Licht brennt hell und
neben mir im Bett sitzt ein vermummter Mann, der unverständlich in
mantrischem Singsang auf mich einredet. Zuerst denk ich ich träume.
Dann denke ich der Hotelmanager will mich warnen. Dann krieg ich
Panik.
Wer ist das? Wie kommt
der hier rein? Was will der? Überflüssige Fragen.
Blöde Frage. Der Kerl
muss hier weg.
Soweit es mein
Seidenschafsack zulässt ohne meine Nacktheit preiszugeben drück ich
den Mistkerl weg und er leistet zum Glück keinen Widerstand. Sein
Tuch ruscht von Gesicht und bevor er es wieder umbinden kann, rieche
ich eine fürchterliche Fahne und sehe, dass er vielleicht erst
Anfang zwanzig ist. Ich drück ihn heftig zur Tür und will ihn
rausschmeißen, aber der Scheißer hat sie von innen verriegelt.
Paaani... aber ich brauch
das Wort Panik gar nicht zu Ende, denn in Trance schiebt er den
Riegel, den ich bisher noch gar nicht wahrgenommen hab, selbst
zurück. Er lässt sich nach draußen schieben. Tür zu. Knopf rein.
Überlegen.
Nein erst mal anziehen,
dann ist ein Wehren einfacher.
Ich hatte die Tür nicht
abgesperrt, wie ich es nie mache und jetzt hab ich dafür bezahlt.
Aber der Knopf bei diesem lächerlichen Türgriff ist jetzt
zugedrückt, ich scheine erstmal sicher zu sein, so dass ich mir
hektisch das Pfefferspray schnapp und die wichtigsten Sachen
kontrolliere. Typisch Single im Doppelbett, lagert alles, aber auch
alles Wertvolle auf dem zweiten Bett. Vom Laptop über die Kamera mit
allen Objektiven, die GoPro und mein Portemonai. Alles ist noch da.
Ich muss mich wirklich nicht fragen, was er hier wollte.
Scheiße, seine Schuhe
stehen hier.
Da springt die Tür auch
schon wieder auf und er drängt rein.
Noch in Unterhose stürm
auf ihn zu, schmeiß ihm die Schuhe ins Gesicht, schubs ihn raus und
halt ihm das Pfefferspray vor die Fresse. Ich brüll ihn an, dass er
sich verpissen soll, so dass es mindestens bis zum Hafentor zu hören
sein müsste. Und aus irgendeinem Grund zieht er sich zurück. Er
kann das Spray nicht kennen, also vielleicht bin ich ihm zu zickig.
Das wär ja schön. Die Frage ist, wie er die Tür jetzt in
Bruchteilen von Sekunden auf bekommen hat. Die Schlösser scheinen
ein Fake zu sein.
Also schieb ich den
Riegel, den ich ja jetzt kennengelernt habe auch noch vor, zieh mir
die Jeans an und ne Zigarette rein. Ein Uhr. Diese beschissene Nacht
kann noch lang werden. Was mach ich nur?
Draußen steht der Kerl
und murmelt benommen aber hartnäckig durch die verschlossene Tür.
Ich versteh „sorrow“, aber wer noch nicht mal „go“ mit 120
Dezibel versteht, der wird sich nicht mit diesem Wort entschuldigen.
Ich brüll ihn von drinnen an, dass ich ihn töten werde und hoffe,
dass irgendeiner vom Hotel das hört und kommt. Aber außer dem
monotnen Gebrabbel ist alles totenstill.
Dann wird es wirklich
still. Ich probier das Spray aus und es funktioniert. Und dann fällt
mir nichts besseres ein, als nen Kaffee zu kochen und zu rauchen,
schließlich will ich auf gar keinen Fall hier auch nur eine Sekunde
in Schlaf fallen.
Dann leg ich mich aufs Bett. Das Pfefferspray ist
in einen einen Pulswärmer an meiner rechten Hand geklemmt, so dass
ich es beim Einschlafen nicht aus der Hand verliere. Die Eisenkette
fürs Moped ist um die linke Hand gewickelt neben mir deponiert. Der
Kerl kann kommen.
Ich döse vor mich hin,
werde trotz Kaffee müde und denke zaghaft und viel zu träge
darüber nach schon zu packen, da hör ich das Arschloch wieder an
meiner Tür rütteln.
Ich spring auf.
In dem Moment kracht die
Tür auf, er hat das Schloss und den Riegel zerschmettert und stürmt
rein. Ich lauf ihm entgegen, drücke das Spray und pfeffer ihm alles
entgegen, was die Dose zu bieten hat. Ich huste, ich würge und die
Augen brennen, aber er muss mindestens das Gleiche spüren und er
flieht. Ich knall die Tür ins Schloss und renne zum Fenster, nicht
wissend, ob ich heulen, husten oder kotzen muss. Scheiße hoch drei.
Mein Gesicht und meine Hände brennen wie Feuer und ich bekomm keine
Luft. Röchelnd reiß ich alle vier Fenster auf und heulend stell ich
den Ventilator auf vollste Umdrehung. Dafür liegt meine Kneifzange
bereits da, weil der Knopf fehlt und die Zange landet sofort als neue
Zweitwaffe in meiner Hosentasche.Minutenlang steh ich um Luft kämfend
am Fenster.
Wie muss er sich jetzt
fühlen? Ich hoffe natürlich, dass leidet. Und ich hoffe, dass er
keine rachelüsternen Kumpels bei sich hat. Denn entweder er und
seine Kumpels machen mir jetzt die Hölle heiß, oder er schmort
jetzt in der Hölle und gibt auf. In vier Stunden wird es hell. Das
kann lang sein.
Ich fang an zu packen.
Zuerst die schwere Tasche, die mit den Endurostiefeln gekrönt auf
den Stuhl vor die Tür gestellt wird. Falls er kommt, soll er erst
mal stolpern. Eine normale Türklinke wäre mir jetzt lieber zum
verbarrikadieren. Während dem Packen muss ich überlegen, wie ich
alles aufs Moped bekomme ohne irgendwelche Dinge unabgeschlossen und
unbewacht zu lassen. In Kinderrätseln ist die Lösung immer
versteckt, fluche ich vor mich hin und muss an das Rätsel mit dem
Mann denken, der einen Salat, eine Ziege und einen Wolf über einen
Fluss bringen muss, aber immer nur zwei ins Boot bekommt. Und dann
hab ich die Lösung, als ich entdecke, dass man die Badezimmertür
von außen mit einem Riegel verschießen kann, der einer Atombombe
standhält, während der Türriegel aus Marzipan zu sein gewesen
scheint.
Der Täter leckt wohl
eine Wunden, denn ich hab Ruhe. Ich spring sogar blitzschnell unter
die Dusche, denn mein rechtes Bein und vor allem meine Füße, die
bei dem Angriff nackt waren, brennen noch fürchterlich von dem
Pfefferspray und die hab ich eben nicht gewaschen.
Gemächlich und das
Hörorgan in Alarmbereitschaft arbeite ich vor mich hin.
Um fünf rüttelt wieder
jemand an der Tür.
„Fuck you – GO!“
brülle ich. Ruhe. Mehrere scheinen zur Arbeit zu gehen und ich gönne
ihm, jetzt verheult und wehleidig dadurch zu müssen.
Um halb sechs hohle ich
bis an die Zähne bewaffnet und das Treppenhaus mit Flutlicht
ausgestrahlt meine Wäsche vom Dach. Ich kann wieder richtig schauen
nur mein Bein und Füße brennen noch.
Um fünf nach halb sechs
schließe ich mein Gepäck im Badezimmer ein und bringe die erste
Fuhre zum Moped im Hinterhof. Ich wende die treue BMW in
Fluchtrichtung und lade auf. Das Pfefferspray ist bei jeder Bewegung
durch den Pulswärmer fest in der Hand gesichert, die Zange watet in
der Hosentasche auf ihren Einsatz und die Kopflampe ist auf Spot
gestellt, dass der Angreifer geblendet wird. Ich ziehe alle Register
der Selbstverteidigung und bin baff über meine Klarheit in den
Gedanken nach nur zwei Stunden Schlaf, dieser Teufelsnacht und den
immer noch brennenden Füßen.
Um zehn vor sechs
verzurre ich die letzten Dinge. Alles bleibt ruhig.
Um sechs sitze ich auf
dem Bike. Jetzt bloß nicht in den matschigen Spurrillen der Einfahrt
langlegen. Mit viel Phantasie fängt es an zu dämmern.
Die Straßen sind leer,
Nebel hängt über dem Wald und über den Flussmündungen und die
kühle Luft tut gut. Ich schicke ein fettes Danke gen Himmel. Mein
fünfter Schutzengel hat gute Arbeit geleistet. Und dann tätschel
ich meiner Dicken noch liebevoll den dicken Faketank und danke ihr,
dass sie fährt und fährt und fährt und ohne zu mucken anspringt
und mir so ermöglicht einfach abzuhauen ohne auf irgendeinen
beschissenen Bus zu warten.
Ich fahr an dem Tag über
die schönsten Straßen und durch die hübscheste Landschaft Indiens
und treffe auf überfreundlich Menschen, als wolle das Land sich für
dieses Arschloch entschuldigen. Ich komme durch eine Stadt, in der
Abschlussparade von einem riesigen heilige Fest ist, hübsche Inder wollen mich einladen darn teilzunehmen und mir blitzt
durch den Kopf, dass ich mir so gewünscht habe. Aber ich will nur fahren und irgendwo an einem absolut
ruhigen, wohltuenden und gepflegten Ort zu sein. Ich bilde mir ein,
das sind die Berge. Ich fahre 11 Stunden. Ich halte nur zum Tanken
und Essen. Nachmittags versuche ich am Straßenrand unter Bäumen zu
schlafen, weil ich hundemüde bin. Aber ich komme nur dazu die Augen
etwas zu schließen, weil meine Füße immer noch berennen. Sogar anhaltende Jungs, die schnell mal ein Foto von der Dicken oder
von mir schießen, bringen mich nicht dazu nur einmal zu blinzeln.
Das gibt etwas Kraft für die letzten Kilometer.
Und dann stellt sich an
meinem Etappenziel Mananthavadi als überfüllte hektische Kleinstadt
heraus. Frust. Das kann nicht ein und das soll nicht sein. Ich halte ein
zweites Mal um dem Schicksal eine Chance zu geben und -ich glaube
nicht an Zufälle- halte dirket vor dem Menschen am Straßenrand, der für eine Handvoll Rupies mit seinr Enfield vorfährt und mich wenige Kilometer bis Karikulam zu
dieser paradiesischen Farm mitten im Wald bringt. Mich begrüßt ein sauberes gepflegtes
Zimmer, freundlichen Menschen und herrlichem Essen - alles inclusive für 8 Euro am Tag. Hier bliebe ich und lecke meine Wunden.
Der
einzige Wermutstropfen sind die immer noch brennenden Füße vom
Pfefferspray, was erst aufhört, als ich hier in der Ruhe die Stiefel
ausziehe und Kühle an die Haut strömt.
Und dann irgendwann
später, bei einem kühlen Bier am Abend, erinnere ich mich ganz plötzlich an die Worte der schönen
Frau in dem Tempel: „Es wird brennen“.
Und ich glaube nicht an Zufälle
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