Mittwoch, 7. November 2012

BrenneN

„Es wird brennen!“
Ich mache große Augen, schaue erschrocken, denke aber innerlich nur, dass ich ja nicht von diesem Glauben bin und solch Weissagungen bei mir nicht eintreten können.
Was soll denn wie bei mir brennen? Und warum? Weil ich in diesem Tempel in Udupi mit meinen Füßen über fünf Stufen zu einem Schrein getreten bin? Weil hier die Statue einer heiligen giftige Schlange, wohl eine der zig Darstellungsformen von Vishnu, dargestellt und angebetet wid? Weil ich über die verbotene Schwelle zu ihrem Gemach, getreten bin? Kann ich doch nicht wissen! Und der Wächter diesr ganzen heiligen Angelegenheit hat nur eine zweideutige von mir fehlinterpretierte Handbewegung gemacht und gezischt. Was heißt schon zischen?
Erst als ich entschuldigend und peinlich berührt die Stufen hinabsteige und die Gläubigen mit aneiandergelegten Händen zwischen ehrfurchtvoll und entsetzt mich anstarren sehe, wird mir klar, dass ich hier in ein fettes Fettnäpfchen getreten bin. Eine schöne wohlhabend wirkende Inderin erklärt mir in perfektem Englisch, dass diese Gottheit Böses vollbringen kann, wenn man sich ihr nähert.
„Dont go there, otherwise you´ll get burning pain“.
Aha! Sie erklärt mir mein vermeindliches Unheilsurteil in einem dermaßen nüchternen und emotionlosem Tonfall, als erkläre sie einem Kind, das Gras grün ist. Ist gut, ich weiß es jetzt und bin ich mir über das Maß meines Vergehens bewusst.
Ich frage mich allerdings ernsthaft, warum dieses „Unwesen“ an so einem friedlichen Ort einen ebenbürdigen Platz wie wohlwollende und glückversprechende Gottheiten bekommen. 
In dem Krishna-Tempel hier in Udupi, eines der heiligsten Zentren der Vaishnava in Südindien, herrscht ansonsten eine wundervolle Athmoshäre. Die Stimmung ist friedlich harmonisch, Kerzen leuchten zu Pyramiden aufgestellt in jedem Winkel, abertausende von Blumen schmücken auf Ketten gefädelt die Räumlichkeiten, die Gläubigen werfen sich nicht auf die Knie, sie legen sich mit gekonnten Yoga-Bewegungen mehrfach hintereinander hingebungsvoll vor die Gottheiten, Frauen singen hymnische Lieder und Fotoausstellungen erzählen die Ausgelassenheit vom letzten Fest.
Warum auf einmal dieser Schrein der Inkarntion als böse Schlange, die gemieden werden muss und gleichzeitg angebetet wird?
Manchmal wächst dies über die Logik meines westlich gepägten Hirns hinaus.
Ich schleder noch etwas weiter, genieße einige Tempel mehr in diesem herrlichen Ort, schwing mich anschließend auf mein Bike und fahre nach Malde in mein Hotel. Schließlich will ich morgen früh weiter und muss noch packen und es wird gleich dunkel.

Nachts werd ich wach.
Das Licht brennt hell und neben mir im Bett sitzt ein vermummter Mann, der unverständlich in mantrischem Singsang auf mich einredet. Zuerst denk ich ich träume. Dann denke ich der Hotelmanager will mich warnen. Dann krieg ich Panik.
Wer ist das? Wie kommt der hier rein? Was will der? Überflüssige Fragen.
Blöde Frage. Der Kerl muss hier weg.
Soweit es mein Seidenschafsack zulässt ohne meine Nacktheit preiszugeben drück ich den Mistkerl weg und er leistet zum Glück keinen Widerstand. Sein Tuch ruscht von Gesicht und bevor er es wieder umbinden kann, rieche ich eine fürchterliche Fahne und sehe, dass er vielleicht erst Anfang zwanzig ist. Ich drück ihn heftig zur Tür und will ihn rausschmeißen, aber der Scheißer hat sie von innen verriegelt.
Paaani... aber ich brauch das Wort Panik gar nicht zu Ende, denn in Trance schiebt er den Riegel, den ich bisher noch gar nicht wahrgenommen hab, selbst zurück. Er lässt sich nach draußen schieben. Tür zu. Knopf rein. Überlegen.
Nein erst mal anziehen, dann ist ein Wehren einfacher.
Ich hatte die Tür nicht abgesperrt, wie ich es nie mache und jetzt hab ich dafür bezahlt. Aber der Knopf bei diesem lächerlichen Türgriff ist jetzt zugedrückt, ich scheine erstmal sicher zu sein, so dass ich mir hektisch das Pfefferspray schnapp und die wichtigsten Sachen kontrolliere. Typisch Single im Doppelbett, lagert alles, aber auch alles Wertvolle auf dem zweiten Bett. Vom Laptop über die Kamera mit allen Objektiven, die GoPro und mein Portemonai. Alles ist noch da. Ich muss mich wirklich nicht fragen, was er hier wollte.
Scheiße, seine Schuhe stehen hier.
Da springt die Tür auch schon wieder auf und er drängt rein.
Noch in Unterhose stürm auf ihn zu, schmeiß ihm die Schuhe ins Gesicht, schubs ihn raus und halt ihm das Pfefferspray vor die Fresse. Ich brüll ihn an, dass er sich verpissen soll, so dass es mindestens bis zum Hafentor zu hören sein müsste. Und aus irgendeinem Grund zieht er sich zurück. Er kann das Spray nicht kennen, also vielleicht bin ich ihm zu zickig. Das wär ja schön. Die Frage ist, wie er die Tür jetzt in Bruchteilen von Sekunden auf bekommen hat. Die Schlösser scheinen ein Fake zu sein.
Also schieb ich den Riegel, den ich ja jetzt kennengelernt habe auch noch vor, zieh mir die Jeans an und ne Zigarette rein. Ein Uhr. Diese beschissene Nacht kann noch lang werden. Was mach ich nur?
Draußen steht der Kerl und murmelt benommen aber hartnäckig durch die verschlossene Tür. Ich versteh „sorrow“, aber wer noch nicht mal „go“ mit 120 Dezibel versteht, der wird sich nicht mit diesem Wort entschuldigen. Ich brüll ihn von drinnen an, dass ich ihn töten werde und hoffe, dass irgendeiner vom Hotel das hört und kommt. Aber außer dem monotnen Gebrabbel ist alles totenstill.
Dann wird es wirklich still. Ich probier das Spray aus und es funktioniert. Und dann fällt mir nichts besseres ein, als nen Kaffee zu kochen und zu rauchen, schließlich will ich auf gar keinen Fall hier auch nur eine Sekunde in Schlaf fallen. 
Dann leg ich mich aufs Bett. Das Pfefferspray ist in einen einen Pulswärmer an meiner rechten Hand geklemmt, so dass ich es beim Einschlafen nicht aus der Hand verliere. Die Eisenkette fürs Moped ist um die linke Hand gewickelt neben mir deponiert. Der Kerl kann kommen.
Ich döse vor mich hin, werde trotz Kaffee müde und denke zaghaft und viel zu träge darüber nach schon zu packen, da hör ich das Arschloch wieder an meiner Tür rütteln.
Ich spring auf.
In dem Moment kracht die Tür auf, er hat das Schloss und den Riegel zerschmettert und stürmt rein. Ich lauf ihm entgegen, drücke das Spray und pfeffer ihm alles entgegen, was die Dose zu bieten hat. Ich huste, ich würge und die Augen brennen, aber er muss mindestens das Gleiche spüren und er flieht. Ich knall die Tür ins Schloss und renne zum Fenster, nicht wissend, ob ich heulen, husten oder kotzen muss. Scheiße hoch drei. Mein Gesicht und meine Hände brennen wie Feuer und ich bekomm keine Luft. Röchelnd reiß ich alle vier Fenster auf und heulend stell ich den Ventilator auf vollste Umdrehung. Dafür liegt meine Kneifzange bereits da, weil der Knopf fehlt und die Zange landet sofort als neue Zweitwaffe in meiner Hosentasche.Minutenlang steh ich um Luft kämfend am Fenster.
Wie muss er sich jetzt fühlen? Ich hoffe natürlich, dass leidet. Und ich hoffe, dass er keine rachelüsternen Kumpels bei sich hat. Denn entweder er und seine Kumpels machen mir jetzt die Hölle heiß, oder er schmort jetzt in der Hölle und gibt auf. In vier Stunden wird es hell. Das kann lang sein.
Ich fang an zu packen. Zuerst die schwere Tasche, die mit den Endurostiefeln gekrönt auf den Stuhl vor die Tür gestellt wird. Falls er kommt, soll er erst mal stolpern. Eine normale Türklinke wäre mir jetzt lieber zum verbarrikadieren. Während dem Packen muss ich überlegen, wie ich alles aufs Moped bekomme ohne irgendwelche Dinge unabgeschlossen und unbewacht zu lassen. In Kinderrätseln ist die Lösung immer versteckt, fluche ich vor mich hin und muss an das Rätsel mit dem Mann denken, der einen Salat, eine Ziege und einen Wolf über einen Fluss bringen muss, aber immer nur zwei ins Boot bekommt. Und dann hab ich die Lösung, als ich entdecke, dass man die Badezimmertür von außen mit einem Riegel verschießen kann, der einer Atombombe standhält, während der Türriegel aus Marzipan zu sein gewesen scheint.
Der Täter leckt wohl eine Wunden, denn ich hab Ruhe. Ich spring sogar blitzschnell unter die Dusche, denn mein rechtes Bein und vor allem meine Füße, die bei dem Angriff nackt waren, brennen noch fürchterlich von dem Pfefferspray und die hab ich eben nicht gewaschen.
Gemächlich und das Hörorgan in Alarmbereitschaft arbeite ich vor mich hin.
Um fünf rüttelt wieder jemand an der Tür.
„Fuck you – GO!“ brülle ich. Ruhe. Mehrere scheinen zur Arbeit zu gehen und ich gönne ihm, jetzt verheult und wehleidig dadurch zu müssen.
Um halb sechs hohle ich bis an die Zähne bewaffnet und das Treppenhaus mit Flutlicht ausgestrahlt meine Wäsche vom Dach. Ich kann wieder richtig schauen nur mein Bein und Füße brennen noch.
Um fünf nach halb sechs schließe ich mein Gepäck im Badezimmer ein und bringe die erste Fuhre zum Moped im Hinterhof. Ich wende die treue BMW in Fluchtrichtung und lade auf. Das Pfefferspray ist bei jeder Bewegung durch den Pulswärmer fest in der Hand gesichert, die Zange watet in der Hosentasche auf ihren Einsatz und die Kopflampe ist auf Spot gestellt, dass der Angreifer geblendet wird. Ich ziehe alle Register der Selbstverteidigung und bin baff über meine Klarheit in den Gedanken nach nur zwei Stunden Schlaf, dieser Teufelsnacht und den immer noch brennenden Füßen.
Um zehn vor sechs verzurre ich die letzten Dinge. Alles bleibt ruhig.
Um sechs sitze ich auf dem Bike. Jetzt bloß nicht in den matschigen Spurrillen der Einfahrt langlegen. Mit viel Phantasie fängt es an zu dämmern.

Die Straßen sind leer, Nebel hängt über dem Wald und über den Flussmündungen und die kühle Luft tut gut. Ich schicke ein fettes Danke gen Himmel. Mein fünfter Schutzengel hat gute Arbeit geleistet. Und dann tätschel ich meiner Dicken noch liebevoll den dicken Faketank und danke ihr, dass sie fährt und fährt und fährt und ohne zu mucken anspringt und mir so ermöglicht einfach abzuhauen ohne auf irgendeinen beschissenen Bus zu warten.
Ich fahr an dem Tag über die schönsten Straßen und durch die hübscheste Landschaft Indiens und treffe auf überfreundlich Menschen, als wolle das Land sich für dieses Arschloch entschuldigen. Ich komme durch eine Stadt, in der Abschlussparade von einem riesigen heilige Fest ist, hübsche Inder wollen mich einladen darn teilzunehmen und mir blitzt durch den Kopf, dass ich mir so gewünscht habe. Aber ich will nur fahren und irgendwo an einem absolut ruhigen, wohltuenden und gepflegten Ort zu sein. Ich bilde mir ein, das sind die Berge. Ich fahre 11 Stunden. Ich halte nur zum Tanken und Essen. Nachmittags versuche ich am Straßenrand unter Bäumen zu schlafen, weil ich hundemüde bin. Aber ich komme nur dazu die Augen etwas zu schließen, weil meine Füße immer noch berennen. Sogar anhaltende Jungs, die schnell mal ein Foto von der Dicken oder von mir schießen, bringen mich nicht dazu nur einmal zu blinzeln. Das gibt etwas Kraft für die letzten Kilometer.
Und dann stellt sich an meinem Etappenziel Mananthavadi als überfüllte hektische Kleinstadt heraus. Frust. Das kann nicht ein und das soll nicht sein. Ich halte ein zweites Mal um dem Schicksal eine Chance zu geben und -ich glaube nicht an Zufälle- halte dirket vor dem Menschen am Straßenrand, der für eine Handvoll Rupies mit seinr Enfield vorfährt und mich wenige Kilometer bis Karikulam zu dieser paradiesischen Farm mitten im Wald bringt. Mich begrüßt ein sauberes gepflegtes Zimmer, freundlichen Menschen und herrlichem Essen - alles inclusive für 8 Euro am Tag. Hier bliebe ich und lecke meine Wunden. 
Der einzige Wermutstropfen sind die immer noch brennenden Füße vom Pfefferspray, was erst aufhört, als ich hier in der Ruhe die Stiefel ausziehe und Kühle an die Haut strömt.

Und dann irgendwann später, bei einem kühlen Bier am Abend, erinnere ich mich ganz plötzlich an die Worte der schönen Frau in dem Tempel: „Es wird brennen“. 
Und ich glaube nicht an Zufälle

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