Sonntag, 16. Dezember 2012

Chiapati-dinneR

orchha - die fröhlichkeit knallt einem direkt entgegen

Kette spannen mit kaputtem Werkzeug allein ist ja schon eine beschissene Angelegen-
heit. Wenn um mich rum allerdings ein Dutzend Inder mit guten Ratschlägen und gaffenden Gesichtsausdrücken stehen, der Staub des Platzes sich in jede frischgewaschene Pore setzt und die Tempelwand gegenüber tatsächlich bepisst stinkt, dann tun Menschen mit Herz und Verstand einfach nur gut.
Ohne Worte packt der 13-jährige Kapel mit an, weiß, was zu tun ist und redet nicht viel. Nur an der der Ratsche, die in Einzelteilen zerlegt ist, kann er auch nichts ändern. Die Nieten sind verloren und bei jeder Bewegung zerlegt sie sich erneut. Es macht keinen Spaß damit zu arbeiten und ich brauche dreimal so lang als sonst, bis die Einstellung der Kette zu stimmen scheint.
„My father is a mechanic“, sagt er schüchtern, „come“.
Ich staune! Immer, wenn ich was brauche, kommt es.
Ich könnt es später mal mit ´Ben-Herwünschen` versuchen, mal schaun, was passiert.
Erstmal aber folge ich dem Teenager in die Werkstatt seines Vaters. 

Eigentlich stellt er diese unwiderstehlichen Touristenfigürchen aller Gottheiten aus Bronze her, die ich mit Abscheu betrachte und zwischen überflüssigem Nippes und Umweltverschmutzung einordne. Aber er besitzt entsprechendes Werkzeug und Geschick und dängelt mir neue Nieten in meine Ratsche.
In der Zwischenzeit zeigt mir der Kleine das Haus. Vier Räume sind schmal und schlauchförmig hintereinander angelegt: zuerst die Werkstatt und Präsentationsraum des Vaters, dann folgt das Schlafzimmer mit einem riesen Holzbett ohne Bett, was tagsüber wohl als Wohnzimmer dient, dann kommt die Küche und dann der Stall. Der fünfte Raum ist ein Hof, in dem eine Kuh mit Kälbchen stehen. Die Großmutter scheint eine Seele von Mensch zu sein, sie lacht andauernd und scheint erfreut über meinen Besuch zu sein, denn obwohl sie nur wenig Brocken Englisch spricht, erklärt sie mir das Leben hier.
Und dann entdecke ich ihn. 
Klein und unscheinbar, übersehbar in die Ecke des Stalles gemauert; „What´s that?“
„For chiapati“, antwortet die Oma, die übrigens kaum älter als ich zu sein scheint.
„Ciaptti?? You make here?...“ „...Im Stall“, verkneife ich mir.
Ich kann mir das nicht vorstellen, denn er sieht aus wie drei U-förmig zusammengestellte Ziegelsteine in zwei Lagen, die mit Zement liebevoll verkleistert sind.
„Yes – every day we make.“
Mittlerweile ist auch der große Bruder aufgetaucht. Ich scheine eine Abwechslung zu sein.
„Really?“, ich wittere eine Chance, „Show me. Please. I want to see.“
„Not now. Every day at 6 pm. You come.“
Angebissen - Stefan würde mich hassen.
„Really?? At 6?? I do.“
Ich weiß nicht ob ich das glauben soll. Hab ich mich da jetzt frech selbst eingeladen, oder wollen die mich wirklich wiedersehen? Aber ich sehe in die Gesichter und sie strahlen.
Ich drohe nochmal:
„I come!“, die kennen mich nicht.
„Promise!“; der Kleine hält mir die Hand hin.
„Promise!“, der Große schließt sich an.
„I promise“ ich drück die Hand und mach das erste mal eine ernsthafte Versprechung in diesem Land.

eigentlich wollt ich hier nur frühstücken ;-)
Bei meinen Bummel durch diesen netten entspannten Ort, der mal wieder voll von Heiligkeiten zu sein scheint schließe ich einen Besuch in einer der zahlreichen Konditoreien ein. So kann ich mit diesem Mitbringsel gleichzeitig Dankeschön sagen und die Ernsthaftigkeit meines Besuchs unterstreichen, nicht dass die nur kurz ein Chiapatti backen und mich dann wegschicken, oder womöglich hinterher Geld für die Präsentation fordern. Ma weiset nit.
Und es wirkt.
Omi strahlt und packt die Schlemmerei sofort weg und setzt sich zu mir.
Ich fühl mich nur die ersten Minuten etwas hilflos, als Großmutter und ich uns dann doch recht schweigend gegenüber sitzen, weil wir an die Grenze unserer Kommunikationsfähigkeit gekommen sind. Da hilft auch nicht stundenlanges freundliches Angrinsen bis Muskelverhärtung droht. Action muss her. Recht unverhohlen forder ich sie auf anzufangen und voller Elan springt sie auf und wir machen wir schonmal Feuer.
vati wärmt sich nur... der tut nix
Und ab jetzt werden Umweltschutzgedanken und Hygienevorschriften bei Seite geschoben und Nachhaltigkeit bekommt einen anderen Stellenwert: Als Grillanzünder werden alte Plastiktüten verwendet, das funktioniert prima, stinkt nur fürchterlich und ich überlege natürlich NICHT, wie lange die Chemikalien der Dämpfe aufsteigen und das Essen treffen können. Diese vermeindliche Umweltsünde wird allerdings sofort mit gutem Karma ausgeglichen, indem getrocknete Kuhscheiße zum Anfeuern aufgelegt wird. 



bei der arbeit...

...und das ergebnis
In manchen Gegenden sieht man sie zu Hauf am Straßenrand die halbmondartigen Fladen aus Dungbrei formen und zum Trocknen in Pyramiden aufstellen. Ich frage mich ERNSTHAFT, warum bei uns über Windenergie und Methangasanlagen diskutiert wird und Pallets ein industriell teuer hergestelltes Brennmittel ist. Beim deutschen Durchschnittsfleisch-Verbrauch muss doch sowas locker drin sein. Vielleicht einfach mal bei Mäces anfragen. Ich entdecke Marktlücken für Industrieländer hier im Schwellenland. Ich muss Doro anrufen und die neue Geschäftsidee kundtun.
Omi lächelt etwas verlegen, als ich beginne ihr beim Zerteilen der Brennfladen zu helfen und lacht laut auf, als ich mich bei diese kinderleichten Übung recht dämlich anstelle.
kapel zeigt mir wie´s geht
Nachdem das Feuer gemütlich lodert wird das Gemüse geschnitten. Die Arbeitsplatte ist der Fußboden und als Werkzeug wird neben einem Kartoffelschüler eine Fußsichel benutzt. Ich pack natürlich fleißig mit an und schäme mich fast zu erwähnen, dass ich mit zwischendrin nicht die Hände gewaschen hab. Ohje, wie komm ich da jetzt raus? Kuhscheiße zwischen Koreander und Kartoffelscheiben.
Ich schweige, während Kapel mir zeigt, wie das Fußmesser funktioniert. „No Problem mit meinen Händen“, denk ich, „der Lehmfußboden ist mit Sicherheit nicht hygienisch rein und seine Füße sind auch den ganzen Tag durch die vollgerotzten staubigen Straßen gelaufen. 

Meine auch. Daher versuche ich mich ohne schlechtes Hygienegewissen an der Sichel. Das dauert aber so lange und meine Scheiben werden mal dick und mal dünn, dass ich genervt dieses Monstergerät zurückgebe. Ich lass mich ja gern begeistern von fremden Erleuchtungen, sonst hätt ich keine Parathapfanne gekauft, aber ein simples Messer hat sich einfach überall auf der Welt bewährt. Warum sollte hier auf einmal etwas besseres auftauchen, von dem die Welt nichts wissen will. Ich zücke mein Taschenmesser und leg angeberisch den Turbogang ein.
Während wir schnibbeln, bereitet die Großmutter nebenan eine Marinade aus Zwiebeln, Knoblauch und Chilly, indem sie auf dem Boden hockend alle Zutaten auf einem alten Holzbrett mit einem Stein zermantscht. Dies duftet phänomenal und das Prinzip mit dem Stein gefällt mir außerordentlich, da bei einem herkömmlichen Mörser immer alles daneben fällt und ich beschließe in Köln nach einem entsprechenden Stein am Rhein suchen.
Alsdann werfen wir alles in einen Topf, um es auf dem auf der Kuhfladenfeuer im Stall zu Kochen. Wir hocken gemütlich drumrum und quatschen.
„It´s better here, because the Moskitos dont like Cowshit.“
Das freut mich. Die Viecher sind bestimmt deutsche Aristokraten und stellen sich an. (Später fahr ich durch Dörfer, in denen die Terrasse vor den Häusern nach einem perfekt braunen Anstrich aussieht. Guddu erklärt mir dazu, das die Frauen jeden Morgen Kuhmist vor den Häusern verstreiche, weil das die Moskitos fernhält. Wieder eine Marktlücke... wer brauch Autan und AntiBrumm?)
„Chai?“, werd ich gefragt.
„Oh. Yes please“
„Black or white?“
„White please.“
„No problem.“

Ich bin sprachlos, denn die Milch steht direkt nebenan, sagt nur kurz „MUH“ und ist mit Sicherheit die frischeste, die je in meinem Chai gelandet ist.
Während wir gemütlich plaudern, holt die Hausherrin die Zutaten fürs Brot. Der kleine Kapel fragt mich inzwischen leise und interessiert über die Kamasutratempel aus, die ich morgen besuchen fahre und scheint an den sinnlichen Darstellungen großen Gefallen zu finden.
„Pscht“ und ein Klaps auf den Oberschenkel beenden das Gespräch schlagartg, als die Omi zurückkommt. Und als wäre er beim Lesen eines Pornoheftes erwischt worden, vergräbt er den Kopf an meiner Schulter. Süß, denke ich und bin erstaunt, welch Charisma diese Tempel vierhuntdert Kilometer weiter westlich bei der Local-Jugend ausstrahlen.
Aber geschickt wie Teenager sind wechselt er das Gesprächsthema zum Rettich und schnell planen sein Bruder und ich in zwei Jahren ein Bio-Resto mit Zutaten seine Farm aufzumachen, Kochkurse für gelangweilte Touris, die schon alles kennen, anzubieten und den Orchha-Besucher mit einem gekonnten Marketingkonzept so richtig auszunehmen. Und während der Teig geknetet wird sehen wir die Dollar fließen und lachen uns kaputt.
Und dann kommt mein persönlicher Luftanhalter. Die Chiapatis werden rundausgerollt, mit Mehl bestäubt und über eine halbrunde umgestülpte Tonform über dem Feuer gelegt. Ganz kurz nur auf jeder Seite. Das Besondere an Chiapati ist aber, wenn sie frisch sind, dass sie sich aufblähen. Und das bekommt man nur, indem man ihnen Raum und Hitze dazu gibt. Und das ist genau da am Feuer, wo die Kuhladen brennen und ihre persönliche Duftnorte in einer Mischung aus Asche, Glut und Organischem Restmüll abgeben.
Zack-zack stellt die Küchenmeisterin die Halbfertigen an diese Stelle, legt schnell den nächsten oben drauf, während der untere sich aufbläht, wendet den halbaufgeblähten gekonnt, schlägt ihn auf dem Handrücken aus, Sauberkeit muss sein und „flatsch“, schleudert ihn auf meinen Teller.
„Start eating“, sagen die Jungs im Chor und stellen mir Masala und frisches Gemüse dazu. Ich aber muss erstmal veschnaufen und bin mir unklar darüber, was mich mehr erstaunt, die traditionelle Backweise oder die Tatsache, dass ich als Erste bekomme und loslegen soll zu essen.
Ich zöger, mentale Verarbeitung des Gesehenen oder anerzogener Anstand zu Warten.
Es ist die Erziehung. Denn der Vater wird sofort im Anschluss bedient und zögert nicht den Bruchteil einer Sekunde damit die Nahrung in sich hinein zu schaufeln.
Mir fällt es schwer zu verstehen, dass ich als Besucher dem Familienoberhaupt in der Essensrangfolge überlegen bin und noch schwerer fällt es mir zuzusehen, wie die Jungs mir beim Essen zusehen. Denn erst wenn ich und der Vater satt sind, dürfen sie beginnen. Ich glaube ich hab heilige Familienregeln gebrochen, als ich beide auffordere von meinem Teller mit zu essen, weil dieser immer wieder gefüllt wird und ich bereits platze, währen ihre hungrigen Blicke diszipliniert auf meinem Teller ruhen.
Die Jungs lachen, als ich erzähle, dass bei uns erst gegessen wird, wenn jeder hat und dass in der Wirtschaft derjenige die Runde zahlen muss, der antrinkt ohne dass die anderen mit anstoßen. 
Dieser Ausflug in die deutsche Kultur wird übrigens nicht übersetzt. Das würde der Hauptakteurin des Abends auch wenig schmecken, denn sie backt Brot, bis der Teig aufgebraucht ist, bewirtet uns, räumt weg, beginnt zu spülen, putzt und lässt sich dabei partout nicht helfen und dann... wenn dann alles erledigt ist und die Jungs mit mir weg sind und der Mann sich die Eier krault und das Essen kalt ist... dann.... dann... dann... darf sie essen.

Und von den zwölf mitgebrachten Törtchen landen abgezählte sechs auf dem Tisch (äh.. Boden) und nur der Vater nimmt zwei. Ob die anderen jemals in den Genuss kommen werden?

Zum Abschluss entführ ich die Brüder tatsächlich noch auf einen Tee ins BlueSky, meinen Wifi-Laden von heute Nachmittag, weil Kapel doch unbedingt wissen will wie mein Mann aussieht. Er hat mindestens so lang mit Ben gescyped wie ich, während es dem großen zu langweilig wurde und er schon ging. Anschließend bringt er mich ganz weltmännisch zum Hotel.
Das wird bestimmt mal n toller Mann.



Ich hab den Abend sehr genossen und werd dieses einfache Essen mindestens so in Erinnerung behalten, wie manches Luxusdinner. Ich bin nur traurig, dass die facbookadresse vom Bruder Deepak nicht funktioniert – das wäre mal ne wichtige Verbindung gewesen – schon wegen unserer Gechäftsidee...

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