Donnerstag, 29. November 2012

IndieserminutE

...die jetzt ist
...und nebenbei ist dort auch noch kultur in hampi...
und die du gleich darauf vergisst,
geht ein Kamel auf allen Vieren
im heißen Wüstensand spazieren.

In Hampi am Flussufer sitz ich etwas länger als eine Minute. Ich gestehe, dass ich sogar den dritten Morgen hier sitze, obwohl ich ursprünglich nur nur zwei Tage mit Doro bleiben wollte. Irgendetwas, magisches, verführerisches, gemütliches, sphärisches, weiß der Kuckuck was, hat mich aber hier gefesselt.
Nach nur zwei Stunden an diesem Ort ist mir klar, dass ich mein Zugticket verfallen lassen muss, dass ich Doro die grausame Wahl stellen muss entweder mit mir hier zu bleiben oder alleine vor zu reisen, dass ich den Zimmerpreis womöglich alleine zahlen muss, dass ich allein mit dem Zug reisen muss... dass ich hierbleiben muss. Doro mit meiner Entscheidung zu konfrontieren bereitet mir am meisten Gewissensbisse, weil ich irgendwie an Stefans Reaktion in der Türkei denken muss, als ich spontan eine andere Route eingeschlagen hab und ihn dadurch zwei Tage allein gelassen habe. Aber ich kenn sie gut genug um einschätzen zu können, dass sie mich nicht verzweifelt heulend verflucht, sondern ihren eigenen Weg entsprechend anpassen kann. Und sie kennt mich gut genug um zu wissen, dass sowas passieren kann und um mich zu verstehen. Das sind eben Freunde. Und so kommts dann auch.


Ich sitze hier den dritten Morgen und bin begeistert von der friedlichen und geschäftigen Stimmung. Die Menschen gehen gelassen und ruhig ihrer eigenen Beschäftigung nach.
Schon oben am Ghat (die Treppen zum heiligen Fluss) stehen kleine Chaiverkäufer, die um diese Uhrzeit noch zu müde sind die Touris anzujammern. So wirkt die Stimmung authetisch und erholsam für mich. Am Treppenaufgang hat sich der Friseur niedergelassen, der statt ´Bunte´ oder ´Focus´ eine XXL-Reality-Flatscreen mit Szenen vom Fluss bietet. Wahlweise mit Sunrise- oder Sunset-Modus. Wahrscheinlich mit Vorreservierung.


Und unten am Fluss, dessen magisch orangene Farbe eine unwirkliche Farbharmonie in die Szene zaubert wird der Tag begonnen.
Da wird Wäsche gewaschen und ausgeschlagen. Während der eine alte Mann lediglich seine zwei Unterhosen wäscht, die er nach seiner eigenen Morgendusche just in dem Moment unter seinem Rock ausgezogen hat, ist eine Gruppe Frauen mit einem Großauftrag von Bettwäsche beschäftigt. Die gereinigten Tücher liegen dicht an dicht über die Ghats des Flusses zum Trocknen ausgebreitet und erinnern mich mit ihrer streifenförmigen Farbigkeit an moderne Bilder von Gerhard Richter.

Eine junge dralle Frau wäscht sich. Es ist ein sinnlicher Anblick, wenn sie sich mit Wasser übergießt und langsam ihre Haare ausstreift. Ob sie weiß, wie sie wirkt? Wie sie allerdings sauber wird in ihrer vollen Montur an Unterröcken, Kleidern, Saris, Armreifen, Shirts bleibt wohl ebenso ihr Geheimnis, wie die Magie der Stadt die ich an nichts Konkretem festmachen kann.
Eine andere Frau hat ihr Bad beendet und wechselt umständlich ihre Kleidung. Sie ist mit ihrem Mann hier und beide harmonisieren wortlos miteinander, als würden sie dies seit Jahren so handhaben.
 


 Eine leicht verhärmt wirkende Frau hat ihre Wäsche und sich selbst gereinigt und malt sich mit weißer Farbe Muster auf Arme und Gesicht. Zwischendurch erhebt sie immer wieder in unterschiedlichen Gesten ihre Hände zum Himmel. Mein Kopf formt die merkwürdigsten Bedeutungen dieses Rituals aus - so vieles weiß ich nicht über die Kultur. Gestern erst hab ich mich mit einem Mann am Flussufer unterhalten, der mir erzählte, dass sein Vater gestorben ist und er nun neun Tage lang jeden Morgen für eine Stunde an den Fluss kommt, um mit einem kleinen Feuer seines Todes oder seines Lebens zu gedenken. Ich fand das beachtlich, wurde allerdings stutzig, als er so gar nicht in Trauer wirkend um ein paar deutsche Euromünzen bat, die er seinem Vater darbringen wollte. Leider wurde die Geschichte dadurch dann doch etwas unglaubwürdig und in mir wuchsen schon morgens um sieben latente Hassgefühle, auf diese Geldforderungsmaschinerie, die der Tourismus in Wallung gebracht hat. Aber der Frau konnte ich Tele-sei-Dank ins Gesicht blicken und ihr hätte ich ohne Zweifel diese Geschichte abgenommen.

Die Jugend ist auch dabei. Ein Junge pinkelt ins Wasser. Andere beschmieren sich Daumendick mit Creme und werfen die leere Tube in den Strom. Wen kümmert´s? Gewaschen wird zwei Meter Stromabwärts, da ist das schon verdünnt. 







Und den Mann, der daneben steht und betet, der ist grad eh in einer anderen Welt.





Der tempeleigene Elefant, der tagsüber für zehn Rupies den Spender mit seinem Rüssel segnet, liegt schon seit einer halben Stunde gemütlich auf der Seite und lässt sich von Kopf bis Schwanz mit einer Bürste abschrubben. Auf einen Stubser mit dem Stock des Pflegers hebt er in Zeittlupe das Bein, so dass auch die Kimme geschrubbt werden kann. Jeden Morgen kommt er in den Genuss dieser Wohltat. Nur gestern Morgen wurde er mit einem LKW abtransportiert. Wahrscheinlich zur wöchentlichen Pediküre. Hach - Einmal ein Tempelelefant sein, huscht durch den Kopf, während der Dicke sein Bein wieder in Zeitlupe ablegt. Gleichzeitig überlege ich, warum hier eigentlich kein Eintritt verlangt wird, denn zwei Hände voll Touris sitzen auf den Stufen und die Videokameras schnurren und ein Blitzlichthagel begleitet das Spektakel.



Ein Junge setzt in den klassischen runden Körben zur anderen Seite über. Das wirkt zwischen wild romantischem und hoffnungslosem Unterfangen, denn er dreht sich dabei hin und her. Trotzdem bin ich sprachlos, wie schnell er letzendlich in dem archaischen Stoh-Wok sein Ziel erreicht. Vielleicht sollte ich ein Foto mal Stefan Raabs Redaktion schicken, als neuer Herausforderung für seine Schwachsinns-Sport-Events, die das deutsche Winterloch während der Bundesligapause füllen können.
An diesem Morgen beschließe ich einfach mal zum anderen Ufer über zu setzen und dort den Tag zu beginnen. 
Mal sehn was da alles so in einer Minute passiert...

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